Ein Zuhause für Straßenkinder

Peru: Mit Kochkunst aus der Armut

Der 15-jährige Angel lebte in Lima auf der Straße. Seine Mutter starb, als er drei Jahre alt war. Mehrmals brach er die Schule ab. Heute lernt er mit Begeisterung und hat seine Leidenschaft fürs Kochen entdeckt.

veröffentlicht am 31.12.2018

Angel* kennt den Weg wie seine Westentasche. Jedes Wochenende macht er sich auf zu seiner Familie. Je weiter er sich vom Stadtzentrum Limas entfernt, desto trister wird die Umgebung. Das Armenviertel Rosa Luz befindet sich in einem Vorort der peruanischen Hauptstadt. Es wurde mitten in einer Fels- und Geröllwüste errichtet. Kein Grün, keine Vegetation, nur Schutt und Geröll. Graubrauner Staub überzieht die Straßen und ärmlichen Hütten.

Um zur Holzhütte seiner Familie zu gelangen, muss Angel eine steile Gasse erklimmen. Die letzten Meter legt er auf einer klapprigen Holzleiter zurück. Dann ist er zu Hause angekommen. Die Hütte besteht aus einer Küche, einem kleinen Wohnraum und zwei winzigen Schlafzimmern. Neun Menschen leben hier unter einem Dach. Sie teilen sich eine Waschstelle und eine Toilette, die sich vor dem Haus befinden. Schmutzige Plastikplanen dienen als Abtrennung.

Auch Angels Großmutter wohnt hier. Seit dem Tod von Angels Mutter kümmert sie sich um ihre drei Enkel. Eine große Verantwortung für die betagte Frau, die immer noch arbeiten gehen muss. Tagsüber verkauft sie auf dem Markt gekochte Wachteleier. Von dem kleinen Einkommen sichert sie das Überleben der ganzen Familie. Sie wünscht sich für ihre Enkel eine bessere Zukunft, weiß aber auch, dass die Chancen schlecht stehen. Viele Kinder und Jugendliche in Lima leben auf der Straße, nehmen Drogen und halten sich mit kleinen Diebstählen über Wasser. Angel hat glücklicherweise den Absprung von der Straße geschafft.  

In der Hütte wohnen seit Kurzem noch Verwandte. In den zwei Zimmern stehen Stockbetten, damit alle Platz zum Schlafen haben. Privatsphäre gibt es kaum: Doch Angel freut sich trotzdem, wenn er am Wochenende nach Hause kann. Er spielt dann mit seinem vierjährigen Neffen Fußball und kümmert sich liebevoll um dessen einjährigen Bruder.

Gewalt, Verwahrlosung, Drogen

Von seiner Kindheit spricht Angel nicht gern. Mit drei Jahren verlor er seine Mutter. Sie starb bei der Geburt seines jüngeren Bruders. Das Schlimmste ist wohl, dass er keine Erinnerungen mehr an seine Mutter hat. Als er größer war, lebte er eine Zeit lang beim Vater. Eine Zeit, die geprägt war von Gewalt, Schlägen und Verwahrlosung und die er lieber vergessen möchte.

Bei der Großmutter ging es ihm besser. Doch die drei Brüder waren viel allein. So verbrachte Angel viel Zeit auf der Straße. Stundenlang saß er in Internetcafés, spielte gewaltverherrlichende Computerspiele. Da er kein Geld hatte, kamen bald kleinere Diebstähle dazu. Durch seinen älteren Bruder kam er schließlich auch in Berührung mit Drogen. Seine Großmutter war überfordert, wusste nicht mehr, was sie tun sollte. Schließlich fasste sie einen Entschluss: Der Junge sollte in ein Internat gehen, die Schule besuchen und später eine Ausbildung machen. So kam er schließlich zu den Salesianern Don Boscos. „Seit Angel bei den Salesianern ist, kann ich wieder ruhig schlafen. Ich weiß, dass er jetzt Chancen bekommt, die ich ihm nicht bieten kann. Und ich bin sicher, dass er sie nutzen wird“, freut sie sich.

Seit einem Jahr ist Angel jetzt in der Casa Don Bosco in der Peripherie von Lima. Von dem rebellischen und unruhigen Jugendlichen von früher ist kaum noch etwas zu spüren. Der 15-Jährige wirkt entspannt, gelassen und freundlich. Bei den Mitbewohnern ist er sehr beliebt. Am Billardtisch und beim Kickern ist er unschlagbar, was ihm viel Respekt bei den anderen Jungen verschafft. Spaß macht ihm auch das Sportangebot. Seine Freizeit verbringt er am liebsten auf dem Fußballplatz oder beim Basketball. Auch in der Schule hat er große Fortschritte gemacht. Dreimal wurde er wegen mangelnder Leistungen in der Grundschule nicht versetzt. Jetzt lernt der 15-Jährige sehr motiviert und möchte eine Ausbildung zum Koch erfolgreich abschließen.

Ein Zufluchtsort für Straßenkinder

Zurzeit leben rund 70 Jungen im Don Bosco Familienhaus in Lima, die meisten sind Straßenkinder. Sie können im Familienhaus wohnen, bekommen warme Mahlzeiten, psychologische Betreuung und medizinische Versorgung. Die 47-jährige Sozialarbeiterin Susana Durand arbeitet seit neun Jahren bei Don Bosco. Sie ist alleinerziehende Mutter von drei Kindern und versteht die Lebenswelt und Probleme der Kinder sowie anderer Mütter, deren Männer das Weite gesucht haben, sehr gut. „Die Arbeit mit den Jugendlichen gibt mir viel Energie und Kraft. Ich möchte den Jugendlichen helfen, bessere Zukunftsperspektiven zu haben. Vor allem sollen sie sich aktiv in die Gesellschaft einbringen können.“ Ihr ist es wichtig, mit den Familien der betroffenen Jungen zusammenzuarbeiten. „Die Familie ist entscheidend, um gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen“, so Susana Durand.

Viele der Kinder und Jugendlichen im Don Bosco Haus stammen aus der Andenregion. Das Leben der indigenen Bevölkerung dort ist geprägt von extremer Armut. Auf der Suche nach einer besseren Zukunft machen sich viele Familien auf den Weg in die peruanische Hauptstadt. Doch ihre Hoffnungen werden nicht erfüllt. Die Eltern finden keine Arbeit und überleben nur dank Gelegenheitsjobs. Viele Familien zerbrechen an der Situation, rutschen in die Alkoholsucht ab und sind nicht mehr in der Lage, sich um ihre Kinder zu kümmern.

Diego Andres Pinto Vascez arbeitet seit sechs Jahren in der Casa Don Bosco, zunächst als Freiwilliger, dann als Erzieher. Früher verdiente der 29-Jährige als Designer viel Geld, das er vor allem in Autos, Handys und andere Statussymbole investierte. Dann trafen ihn gleichzeitig mehrere private Schicksalsschläge und er erlitt einen schweren Autounfall, den er nur wie durch ein Wunder überlebte. Das veranlasste ihn, sein Leben zu ändern. „Als ich im Don Bosco Haus angefangen habe zu arbeiten, war es wie Liebe auf den ersten Blick. Ich war beeindruckt von der Art und Weise, wie hier mit den Jugendlichen umgegangen wird, und hatte sofort das Bedürfnis, mich stärker einzubringen. Den Kindern wird vermittelt, was wirklich wichtig im Leben ist. Dazu gehören Werte wie Gemeinschaftssinn, Solidarität oder auch Bescheidenheit. Die Jugendlichen können hier ihre oft schwierige Geschichte abstreifen. Und durch den Zugang zu Bildung haben sie die Chance auf eine bessere Zukunft.“

Zur Casa Don Bosco gehören eine Bäckerei und eine Konditorei. Viele Jugendliche arbeiten in der Backstube mit und helfen beim Verkauf der Backwaren. Die Salesianer kooperieren auch mit der lokalen Textilindustrie. Die Jungen können dort eine Ausbildung machen, und die Kleidung wird teilweise den Kindern im Don Bosco Haus zur Verfügung gestellt. Wer nach dem Sekundarschulabschluss eine technische Laufbahn einschlagen möchte, kann im Don Bosco Ausbildungszentrum z. B. Elektrotechnik studieren. Zudem werden die Jugendlichen in ökologischem Gemüseanbau geschult. Die Jungen erhalten auch Unterstützung beim Einstieg ins Berufsleben.

Angel fühlt sich wohl bei Don Bosco und hat auch schon Zukunftspläne: „Neben der Schule macht mir vor allem die Arbeit in der Küche Spaß. Ich koche regel-mäßig zusammen mit anderen Jungs Mittagessen für ein benachbartes Schülerkolleg. Ich würde gerne meine Kochkünste erweitern und später als Koch arbeiten.“ Die Gemüsesuppe, die er heute zubereitet hat, kommt bei den Jungen jedenfalls sehr gut an. Bald will er weitere Rezepte ausprobieren – auch zu Hause. Seine Großmutter freut sich über seine Kochkünste und vor allem über seine Chancen auf eine bessere Zukunft.

*Name von der Redaktion geändert

Mehr Informationen über die Arbeit der Salesianer Don Boscos und der Don Bosco Schwestern in Peru bei Don Bosco Mission Bonn, Don Bosco Mission Austria und der Missionsprokur der Don Bosco Schwestern.

Das Don Bosco Haus in Lima

In einer Sommernacht im Jahr 1993 sah Salesianerpater Pedro Dabrowski, wie Polizeipatrouillen Straßenkinder in Lima verfolgten. Sie wollten sie festnehmen und ins Gefängnis schicken. Der Pater zögerte nicht lange, sondern versteckte die Kinder und Jugendlichen im Innenhof des Gebäudes. Seitdem bieten die Salesianer Straßenkindern ein Zuhause. In der peruanischen Hauptstadt leben Zehntausende von Kindern auf der Straße.
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