Persönlichkeit

Genderbewusst erziehen

Jungs spielen mit Autos, Mädchen mit Puppen. Jungs sind wild und Mädchen brav. Längst überholte Stereotype? Keineswegs, weiß Erzieher Christian Huber. Und hat Ideen, wie Persönlichkeitsentwicklung jenseits von Geschlechterklischees funktionieren kann.

veröffentlicht am 14.06.2021

Jungs spielen mit Autos und Mädchen mit Puppen. Jungs sind wild, klettern auf Bäume und raufen auch mal, während Mädchen zurückhaltend sind, sich in der Puppenecke im Kaffeekochen und Kuchenbacken üben und natürlich stets brav sind. Jungs tragen T-Shirts mit Superhelden oder coolen Sprüchen wie „Your solution is coming“ (Deine Lösung ist im Anmarsch), Mädchen rosa Oberteile mit Aufdrucken wie „Just cute“ (Einfach nur süß).

Bestimmt denkt nun die eine oder der andere, so etwas sei längst überholt und absolut nicht mehr zeitgemäß, und dieser Annahme würde ich auch gerne zustimmen. Doch es ist Realität.

Werfen wir zunächst einmal einen Blick auf das Betreuungspersonal. Männer als Kinderpfleger oder Erzieher sieht man mittlerweile zwar deutlich häufiger als noch vor einigen Jahren, Tendenz steigend. Jedoch sind nach wie vor deutlich mehr Frauen in Kitas, Schulen und anderen pädagogischen Einrichtungen tätig. Die Gründe dafür erahnen wir alle: Prägung durch gesellschaftliche Standards, unser näheres Umfeld und die Vorbilder, die dieses Umfeld geboten hat, unsere Erziehung – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Fast jede und jeder wird sich bei genauerem Hinsehen immer wieder dabei erwischen, dass sie oder er in solche Stereotypen rutscht. Nahezu niemand ist frei davon.

Individuelle Interessen und Fähigkeiten fördern

Durch das Gendern in der Sprache, das derzeit viel besprochen und kontrovers diskutiert wird, versuchen viele Menschen dem entgegenzuwirken. Viel weniger kontrovers wäre die Ausgangsfrage beispielsweise nach dem Hobby oder dem Beruf. Kaum jemand würde heute noch sagen, dass es bestimmte Hobbys und Berufe für Mädchen und andere wiederum nur für Jungen gibt. Es geht dabei vor allem um die jeweilige Persönlichkeit, die für die Berufswahl oder das Interesse an einem Hobby ausschlaggebend ist. So ist es heute völlig normal, dass Mädchen Fußball spielen und Jungs auch Spaß am Tanzen haben können. Es gibt Mädchen, die ein Praktikum als Automechatronikerin machen und Jungs, die sich im Beruf des Erziehers ausprobieren. Die häufig einhergehende positive Bestärkung von außen zeigt trotzdem, dass das noch immer etwas Besonderes ist.

Wie können wir Kinder und junge Menschen darin bestärken, ihre eigene Persönlichkeit frei zu entdecken und sich ihren Vorlieben entsprechend zu verwirklichen? Petra Focks, Professorin für soziale Arbeit an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin, sagt dazu: „Das Ziel geschlechter- bzw. genderbewusster Pädagogik ist es, Kinder – jenseits von Geschlechterklischees – in ihren individuellen Interessen und Fähigkeiten zu fördern. Es geht darum sie bei der Ausgestaltung ihrer individuellen Geschlechtsidentitäten zu unterstützen – unabhängig von den jeweils herrschenden Vorstellungen vom richtigen Mädchen und richtigen Jungen.“ Es geht also überhaupt nicht darum, eine Ideologie umzusetzen oder ähnliches. Im Gegenteil. Es geht darum, dem, was in unseren Kindern an Talenten und Fähigkeiten, an Vorlieben und Interessen wohnt, auch Taten folgen zu lassen.

Wie aber kann dies im Kita-Alltag Einzug finden, ohne dass es künstlich wirkt oder nur für eine kurze Zeit aktuell bleibt? Und was können Sie als Eltern tun, um Ihrem Kind fern von Stereotypen zu Selbstbewusstsein zu verhelfen? Grundlegend sollte die Meinung sein, dass es eben keine geschlechterspezifischen Berufe oder Hobbys, um beim Beispiel zu bleiben, gibt. Erschrecken Sie nicht, wenn Ihr Sohn plötzlich mit einem Puppenwagen spielt, weil er das Verhalten seiner Mutter nachahmt, die sich um die kleine Schwester kümmert. Mehr noch: Zeigen Sie Ihrem Kind als Vater, dass es auch für Sie normal ist, den Abwasch und das Kochen zu übernehmen. Sie wären überrascht, wie häufig ich Sätze wie „Das ist eigentlich Frauenarbeit“ oder „Das können eigentlich nur Männer“ im Kita-Alltag mitbekomme.

Der Erzieher wischt die Tische ab, die Erzieherin greift zum Schraubenzieher

Auch das Kita-Personal hat hier eine wesentliche Vorbildrolle. Wenn es ganz normal und alltäglich ist, dass auch die Erzieherin beim Werken zu Säge und Schraubenzieher greift oder auf eine Leiter steigt, während der Kinderpfleger die Tische abwischt oder ein weinendes Kind tröstet, werden Stereotypen abgebaut. In solch einem Umfeld können Jungs ohne Scham etwas in der Puppenecke kochen und Mädchen nebenan etwas Spannendes in der Bauecke konstruieren.

Wir wünschen uns für unsere Kinder, dass sie soziale Kompetenzen erlangen und auch an Fachgebieten wie Naturwissenschaften oder Technik Interesse entwickeln. Verschiedene Spielzeuge und gezielte Angebote fördern jeweils bestimmte dieser Bereiche. Es ist also eine wirkliche Chance für Kinder, wenn diesbezüglich ein offenes Klima herrscht.

So könnte in der Kita einfach mal jemand eingeladen werden, wenn das Thema Berufe besprochen wird. Eine Feuerwehrfrau vielleicht oder ein Friseur. Dabei lernen die Kinder einen Beruf kennen und erleben zugleich, dass es Frauen und Männer gibt, die ihn ausüben. Oder wie wäre es mit einem Mädchen-Tag in der Bauecke? Häufig ist man überrascht, welche Vorlieben und Fähigkeiten sich plötzlich zeigen.

Was vielleicht oft kompliziert wirkt, kann ganz einfach sein. Zeigen Sie Ihren Kindern, dass zählt, was in ihnen steckt und nicht, was „man“ von ihnen erwartet.


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