Mein Kind, meine Entscheidung

Wie Eltern am besten auf ungefragte Ratschläge reagieren können

Gut gemeint, aber oft unpassend: Familienberaterin Veronika Rieckh erklärt, wie Eltern mit ungebetenen Ratschlägen umgehen können und wie sie selbst anderen Eltern Tipps geben können, ohne sie dabei vor den Kopf zu stoßen.

Es sind Familienmitglieder, Freunde und manchmal auch wildfremde Personen. Ungefragt geben sie uns Eltern Tipps, worauf wir in der Erziehung achten sollten, weisen uns darauf hin, was wir im Alltag mit Kindern falsch machen, und lassen uns wissen, was bei ihnen immer super funktioniert hat – ob wir wollen oder nicht.

„Wisch ihm doch mal den Mund ab. Sie muss in ihrem eigenen Bettchen schlafen. Bei uns hätte es das damals nicht gegeben.“ Sätze wie diese kennt auch die Ehe-, Familien- und Lebensberaterin Veronika Rieckh. „Wenn man selber Kinder gehabt hat, kommt man vielleicht auf die Idee, dass man doch eigentlich weiß, wie es besser geht“, erklärt die Fachreferentin des Instituts für Familienberatung und Psychotherapie der Diözese Graz-Seckau. Doch sie warnt: „Ungefragt eine Meinung zu ­sagen oder einen Rat zu geben, ist schnell übergriffig.“

Besonders in Erziehungsfragen erleben Eltern häufig Grenzüberschreitungen, zum Beispiel durch die Groß­eltern. „In der Erziehung hat sich doch einiges geändert“, betont Rieckh. „Es ist wichtig, die Kindseltern zu akzeptieren. Und darauf kann ich als Mutter oder Vater auch pochen und sagen: ‚Vielen Dank, ich möchte es mit meinem Kind so machen.‘“ Eltern sollten hier „gut bei sich bleiben und überlegen: Nehme ich es an oder setze ich sanft die Grenze?“

Die Möglichkeit, Ja oder Nein zu sagen

Wenn wir dann wirklich eine Grenze ziehen wollen, sollten wir darauf achten, „dem anderen gegenüber wertschätzend zu bleiben und zu sagen: ‚Danke fürs Mitdenken, ich möchte es gerne so machen‘“, rät die Expertin. Nicht immer lässt die Situation das zu, etwa weil wir gerade überfordert oder sehr gestresst sind. „Ich halte es aber für ganz wichtig, zumindest abzustoppen und zu sagen: ‚Danke, ich schau schon auf mein Kind.‘“

Dass Eltern das Recht haben, selbst darüber zu entscheiden, wie sie die Erziehung ihrer Kinder gestalten möchten, bedeutet aber nicht, dass Erfahrungen anderer keine Hilfe sein können. „Wenn ich frage, was ist deine Meinung dazu, oder wenn ich um Hilfe bitte, ist das etwas anderes“, sagt Rieckh. 

Und wenn wir ehrlich sind, kennen wir Gedanken über die Erziehung anderer auch von uns selbst. Wie können diese Eltern aus dem Kindergarten ihrem Kind nur jeden Tag ein Brot mit Schokoaufstrich in die Brotzeitdose legen? Warum ist dieses andere Kind immer so frech? Dem setzen die Eltern doch bestimmt nie Grenzen. Und diese Jugendlichen auf der Parkbank mit der lauten Musik haben ja wirklich gar keine Manieren.

Aber sollten wir solche Gedanken wirklich mitteilen? Und wie können wir das am besten tun, wenn es uns wichtig ist? Am besten in Form einer Frage, etwa: „Möchtest Du meine Meinung dazu hören?“, empfiehlt Rieckh. „Sobald ich das tue, hat mein Gegenüber die Möglichkeit, Ja oder Nein zu sagen.“ Das gilt auch für Unter­stützungsangebote. „Mütter und Väter kommen zeit­weise in Situationen, die sie sich nicht wünschen. Und dann kann ich fragen, ob ich helfen kann“, sagt Rieckh. Wir sollten aber auch akzeptieren, wenn die Gefragten unser Angebot ablehnen.

Natürlich gibt es auch Situationen, in denen ein Hinweis oder sogar ein Eingreifen geboten ist. „Wenn es in Richtung Gewalt geht, ist es ganz klar notwendig, einzuschreiten und klar zu sagen, das geht zu weit“, stellt Veronika Rieckh klar.

Erziehungsgespräche als Mehrwert

Wenn wir Gefahr wittern, etwa wenn ein Kind scheinbar unbemerkt auf einen hohen Baum klettert, kann es wieder sinnvoll sein, die vielleicht ins Gespräch versunkenen Eltern mit einer Frage darauf hinzuweisen. „Es gibt einfach Kinder, die sind unheimliche Klettermaxis. Da wissen die Eltern, das Kind kann das“, sagt Rieckh. „Aber ich kann es natürlich nicht wissen.“ Mit der Frage an die Eltern, ob sie gesehen haben, wie hoch ihr Kind gerade klettert, können wir sicher sein, dass die Eltern die Gefahr nicht einfach übersehen.

Wenn die Eltern nicht anwesend sind, können wir je nach Situation Kinder und Jugendliche auch direkt ansprechen. Dann gehe es darum, „den richtigen Ton zu treffen“ und sich so an sie zu wenden, „wie man selber angesprochen werden möchte“, so Rieckh. „Wenn ich sage, ihr müsst, kann es sein, dass bei den Kindern sofort die Haare senkrecht stehen. Wenn ich aber sage, könnt ihr da bitte weggehen, die Gefahr ist zu groß, dann ist es vielleicht leichter zu nehmen.“ Die Kinder und Jugendlichen sollten „nicht das Gefühl haben, da kommt schon wieder so ein öder Erwachsener, der uns irgendwas aufdrängen will“. Sie sollten merken, dass es um ihr Wohl geht. Und wenn sie dennoch ablehnend reagieren? „Je nachdem, welche Reaktion kommt, kann ich dann weiter beschließen, ob ich die Pflicht habe, das irgendwo zu melden“, ergänzt die Familienberaterin.

Aber egal, ob im Umgang mit Kindern und Jugendlichen oder im Gespräch mit Eltern: In Erziehungsfragen lohnt es sich immer, eigene Gewohnheiten und Ansichten kritisch zu hinterfragen. Das gilt für alte Weisheiten ebenso wie für neue Erziehungstrends. „Ich erlebe jetzt, dass viele alte Dinge wiederkommen“, berichtet Rieckh. „Aber nicht, weil ‚man‘ das so macht, sondern weil Altes überlegt und für sinnvoll befunden wurde. Und manches wiederum hat sich Gott sei Dank verändert.“ 

So betrachtet können Gespräche über die eigene Erziehung auch ein Mehrwert sein, solange sie aus freien Stücken, offen und wertschätzend geführt werden. „Mir aus mehreren verschiedenen Ansichten eine eigene Meinung zu bilden, halte ich für sehr sinnvoll“, hebt Rieckh hervor. „Möglicherweise erfahre ich so Dinge, auf die ich sonst nicht gekommen wäre.“ Die Entscheidung, welche Anregungen sie übernehmen und welche nicht, sollte aber dennoch bei den Eltern selbst liegen.


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