Begegnung

Stressfrei essen – So werden Mahlzeiten zu schönen Ritualen im Familienalltag

Mit Kindern zu essen kann eine echte Herausforderung sein. Ständiges Gezappel und Gemecker – für gemütliches Beisammensein gibt es da kaum eine Chance. Psychologin und Familienberaterin Veronika Burtscher-Kiene hat Ideen, wie es trotzdem klappen kann.

veröffentlicht am 26.01.2024

Zusammen am Tisch sitzen und essen kann sehr schön sein. Warum fällt es vielen Familien so schwer und führt oft zu Streit?
Mahlzeiten sind tatsächlich wichtige Zeitpunkte in der Familie. Es lohnt sich, sich diese Zeiten zu nehmen, weil es Zeiten der Begegnung und des Austauschs sind. Zugleich gibt es aber auch viele Konfliktpunkte. Das beginnt schon bei der Vorbereitung. Wer deckt den Tisch? Wer hilft, das Essen zu machen? Dürfen die Kinder noch spielen? Hinzu kommen Diskussionen darüber, was es zu essen gibt, oder wie die Situation des Essens gestaltet wird. Startet man mit einem Ritual? Welche Regeln gibt es am Tisch? Ich denke hier zum Beispiel an das große Thema Handy. Das sind viele Momente der Auseinandersetzung miteinander.

Viele Eltern sind unzufrieden mit dem eigenen Essverhalten oder dem ihrer Kinder. Manche machen sich Sorgen, dass sie oder ihre Kinder sich nicht gesund genug ernähren. Inwiefern sollte das bei den Mahlzeiten ein Thema sein?
Ich würde versuchen, diese Dinge vorher zu besprechen und sie bei der Mahlzeit herauszunehmen. Wir sollten uns zunächst als Eltern selbst fragen, wie wir zum Essen stehen. Wie und was möchte ich essen? Koche ich frisch? Schaue ich, dass viel Gemüse auf dem Tisch ist? Koche ich vielfältig? Ein typischer Konfliktpunkt, wenn mehrere Personen da sind, ist auch: Koche ich für jede Person etwas Eigenes oder gibt es ein Essen, bei dem garantiert für jeden und jede irgendetwas dabei ist? Wir merken in der Beratung, dass oft schon früh damit begonnen wird, für jeden etwas extra zu machen. Und ich rede hier jetzt nicht von Allergien oder Unverträglichkeiten. Wichtig ist, dass die Eltern mitessen, dass sie mit am Tisch sitzen. Dass Essen für sie etwa Positives, Lustvolles ist.

Gerade das Thema Diäten ist bei einigen Eltern sehr präsent. Da wird dann bei jedem Bissen die Kalorienzahl quasi gleich mitgeliefert.
Das sehe ich sehr kritisch und würde es mit viel Vorsicht behandeln. Es ist okay, wenn ich auf das Gewicht achte, für mich und meine Kinder. Aber dann sollte ich eine entsprechende Grundeinstellung haben und ein Essen machen, das ich gut vertreten kann für meinen Körper und den meiner Kinder. Ich muss mir sonst bewusst sein, dass ich meine eigenen Sorgen und negativen Gefühle in die Köpfe meiner Kinder einpflanze. Da können unter Umständen ganz schnell die Weichen so gestellt werden, dass die Kinder eine bedenkliche Beziehung zum Essen entwickeln. Wenn ich versuche, weniger zu essen, sollte ich das nicht allzu sehr ausbreiten, sondern es einfach tun, ohne groß darüber zu reden.

Wie sinnvoll sind feste Benimmregeln beim Essen?
Grundsätzlich gibt es Dinge, die wichtig sind, damit ein Essen gut funktioniert. Die Regeln sollten natürlich altersangepasst sein. Den Kindern sollte bewusst sein, dass jetzt ein Zeitraum ist, in dem gegessen wird. Dabei müssen sich die Eltern auch an der eigenen Nase fassen. Wenn ich als Mutter beim Essen bin, dann bin auch ich präsent, mit dem Kopf und mit dem Körper. Die Kinder sollten sitzenbleiben, während sie essen. Wobei man überlegen kann, ob sie schon aufstehen dürfen, wenn sie fertig sind. Durch das Sitzenbleiben kommt eine Ruhe in die Situation. Und es ist auch gut, wenn die Kinder das so kennen und es funktioniert, wenn sie mal woanders sind oder wenn die Familie ins Gasthaus geht.

Welche Regeln halten Sie für wichtig, wie streng sollten Eltern dabei sein und wo lassen sich vielleicht Kompromisse finden?
Die Eltern können sich überlegen, welche Werte ihnen wichtig sind. Vieles in diesem Zusammenhang hat mit Respekt zu tun, voreinander, aber auch vor den Nahrungsmitteln. Die Eltern können zum Beispiel festlegen, dass mit dem Essen nicht gespielt wird. Essen ist etwas Wertvolles, es ist ein Geschenk und wir sind glücklich, dass wir es haben, deshalb spielen wir nicht damit. Ein ganzzentraler Punkt sind die Handys. Weg vom Tisch! Am besten stumm schalten, sodass es auch nicht bimmelt und ich sofort zucke.

Bei kleineren oder vermeintlich kleineren Dingen wie Ellbogen vom Tisch oder nicht mit vollem Mund sprechen – da muss ich für mich abwägen: Ist es den Konflikt wert, der dann jedes Mal entsteht, oder gehe ich einen Kompromiss ein und sage, die Kinder sind in einem Alter, in dem ich darüber hinwegschaue, erwähne es vielleicht oder achte bei mir darauf, aber mache es nicht zum Dauerthema. Die großen Grundregeln halte ich für sinnvoll, bei den kleinen muss man im Detail schauen. Das muss jede Familie für sich entscheiden.

Manche Eltern geben erst ihren Kindern zu essen und essen danach selbst. Ist das eine gute Lösung?
Ich finde es schade um die Zeit, die man miteinander verbringt. Wenn man sich den Tagesablauf anschaut, gibt es – je älter die Kinder werden oder auch abhängig von der Berufstätigkeit der Eltern – immer weniger Kontaktmöglichkeiten. Deshalb finde ich es schade, zu sagen, esst zuerst ihr und ich bin so lange in der Küche oder anderswo und anschließend essen die Eltern. Natürlich ist das gemeinsame Essen weniger entspannt für die Eltern, das ist klar. Gewisse Themen können nicht besprochen werden, es ist quirliger. Aber man könnte entscheiden, gemeinsam zu essen, und wenn die Kinder fertig sind, dürfen sie gehen, und dann hat man Zeit mit dem Partner oder der Partnerin.

Essen und gleichzeitig fernsehen, auf dem Handy Filme anschauen oder auf Social Media sein – wie wirkt sich das auf das Essverhalten aus?
Auf das Essverhalten wirkt es sich massiv aus. Das kann man ganz einfach einmal in einem Selbstversuch testen. Man kriegt gar nicht mehr mit, was man isst, wie viel man isst, ob es einem schmeckt. Man hat keine Beziehung zum eigenen Körper, bemerkt das Sättigungsgefühl nicht. Es führt zu der Gefahr, dass man kein gesundes Essverhalten entwickelt.

Auf der Beziehungsebene bewirkt es das, was ich schon ein paar Mal angesprochen habe: Man geht nicht mehr in Kontakt zueinander, man verliert sich. Man ist körperlich da, beschäftigt sich aber mit etwas anderem. Das ist nichts Gemeinsames.

Muss das Essen immer harmonisch ablaufen? Was ist, wenn jemand völlig gestresst aus der Arbeit kommt oder ein Kind gerade unglücklich ist über eine Note und diese Gefühle sozusagen mit am Tisch sitzen?
Das ist super, vollkommen fein. Es muss ja authentisch sein. Damit lerne ich meine Familienmitglieder kennen. Man muss nicht total glücklich sein am Tisch. Wenn ich traurig bin, bin ich traurig und dann bin ich das auch beim Essen. Wenn das Kind oder auch der Partner oder die Partnerin traurig oder gestresst sind, registriere ich das und lasse denjenigen oder diejenige dann auch so sein. Man trifft sich in der Emotion. Das ist eigentlich perfekt. Denn dann weiß ich, wie es den anderen geht. Ich kann mich öffnen, ich kann nachfragen, ob der oder die Betreffende etwas erzählen möchte – und wenn nicht, dann ist das auch okay.

Porträt Veronika Burtscher-Kiene

Veronika Burtscher-Kiene ist Klinische Psychologin, Gesundheitspsychologin und Notfallpsychologin. Sie arbeitet seit 2007 in der Beratungsstelle des Ehe- und Familienzentrums der österreichischen Diözese Feldkirch.

So werden gemeinsame Mahlzeiten zu schönen und verbindenden Ritualen im Familienalltag – 5 Tipps von Veronika Burtscher-Kiene

1. Schon die Vorbereitung ist etwas Gemeinsames. Alle helfen mit.
2. Der Tisch ist einladend gestaltet. Es gibt einen gemeinsamen Start.
3. Medien kommen weg vom Tisch. So gelingt echte Begegnung.
4. Alle haben Respekt vor dem Essen. Sie sind dankbar für die gemeinsame Mahlzeit.
5. Die Mahlzeit wird bewusst zusammen beendet. Wer mag, darf dann aufstehen.


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