Generationenbeziehungen

Warum Großeltern und Enkelkinder so wichtig füreinander sind

Sie sind eine gegenseitige Bereicherung: Großeltern schlagen eine Brücke in die Vergangenheit. Enkelkinder tragen zu einem besseren Lebensgefühl von Oma und Opa bei. Zwei Großeltern berichten – aus eigenen Erfahrungen und wissenschaftlicher Sicht.

veröffentlicht am 15.11.2023

Ihr Markenzeichen sind die ausgefallenen Ohrringe. Mal sehen sie aus wie kleine rote Tassen mit weißen Punkten, mal wie süße Baiserkringel oder grün glitzernde Tannenbäume. Renate Kaufmann hat den Schalk im Nacken und eine große Leidenschaft – das Kochen und Backen. Außerdem hat sie eine Mission: Sie will ihr Wissen an die nächsten Generationen weitergeben. 2019 hat die Wienerin ihren Blog „Frag die Oma“ gestartet, mit vielen Rezeptideen und Tipps zu alten Hausmittelchen. Doch das war ihren vier Enkel­kindern noch nicht genug. 2022 überredeten sie ihre Oma, kurze ­Videos in den sozialen Netzwerken TikTok und Instagram zu posten. „Die Enkelkinder haben mir gezeigt, wie’s geht, und das hat dann sehr schnell geboomt“, erzählt Renate Kaufmann. Mittlerweile hat die Oma-Influencerin bei TikTok mehr als 100.000 Follower und bei Instagram sogar 158.000.
 
Ihren Erfolg sieht sie darin begründet, dass sie die Rezepte komplett erklärt und sich auch Zeit nimmt, auf Fragen zu antworten. „Außerdem sind es viele Rezepte oder Tipps, die man heute nicht mehr kennt. Ich zeige zum Beispiel, wie man Erdäpfelkas macht. Das ist ein alt-österreichisches Rezept. Oder Powidltascherl – das gibt es heute kaum noch, aber viele erinnern sich daran, dass sie das bei ihrer eigenen Oma gegessen haben, und das ruft positive Erinnerungen hervor.“
 
Als klassische Oma, die strickend neben dem Ofen sitzt, sieht sich die 68-Jährige allerdings nicht. „Mein Ziel ist es vielmehr, so lange wie möglich mit der Jugend im aktiven Leben zu bleiben.“ Ob das jetzt in den sozialen Medien ist oder ganz real mit ihren eigenen Enkelkindern, mit denen sie viel unternimmt. Gemeinsam wird gespielt, in den Urlaub gefahren und natürlich gekocht. Außerdem springen Renate Kaufmann und ihr Mann gerne ein, wenn im Alltag einmal Hilfe benötigt wird. „Großeltern haben einen Vorteil: Sie tragen nicht die Verantwortung, die liegt bei den Eltern“, sagt die frühere Lehrerin und Politikerin. „Großeltern hingegen können  mit Liebe und Zeit vieles ausgleichen, was durch Erziehung, durch Lernen und Probleme in der Schule sonst nicht durchs Elternhaus geht. Wenn beide Elternteile berufstätig sind, kann nicht alles gleichzeitig gestemmt werden. Wenn mein Mann und ich da als Oma und Opa etwas unterstützen können, sind wir sehr glücklich.“

Enkelkinder wirken wie Jungbrunnen – Großeltern stiften Identität

Für alle Seiten eine Win-win-Situation. Das kann Anton A. Bucher wissenschaftlich bestätigen. In seinem Buch „Lebensernte. Psychologie der Großelternschaft“ können sich „alle, die in ihre Enkel vernarrt sind, informieren, warum sie damit sehr richtig liegen“. So heißt es im dazugehörigen Klappentext. „Enkel können für ihre Groß­eltern regelrechte Jungbrunnen sein“, führt der Autor aus. „An erster Stelle sind die Zufriedenheit und Dankbarkeit, dass das Leben in einer nächsten Generation weitergehen darf, zu nennen. Wer glücklich und dankbar ist, ist auch eher vor depressiven Verstimmungen und Schwermut gefeit. Darüber hinaus sind Großeltern nachweislich physiologisch gesünder als Nicht-Großeltern. Man ist einfach fitter, wenn man sich gemeinsam mit den Enkeln bewegt und den Kleinen hinterherrennen muss.“

Großeltern profitieren demnach körperlich und seelisch von ihren Enkelkindern. Aber auch für die Enkelkinder haben Oma und Opa einen unschätzbaren Wert. „Großeltern können Familiengeschichten erzählen und somit Heimat stiften. Sie vermitteln Verbundenheit, Geborgenheit und eine starke Identität, welchen Platz man in der Kette des Lebens einnimmt. Diese Sehnsucht nach Beheimatung ist ein tiefes menschliches Bedürfnis“, sagt Anton A. Bucher, selbst vierfacher Großvater. Wenn der 62-Jährige nicht gerade Bücher schreibt, arbeitet der gebürtige Schweizer als Professor für Religionspädagogik an der Universität Salzburg. Auch aus dieser Profession heraus sieht er einen Vorteil von Großeltern: „Vielerorts sind es heute vor allem die Großeltern, die ihren Enkelkindern biblische Geschichten erzählen, mit ihnen in die Kirche gehen und dort eine Kerze anzünden. Sie versuchen, ihre Enkelkinder christlich zu prägen und ihnen den Zugang zu religiösen Traditionen zu ermöglichen.“
 
Da die Lebenserwartung und somit die gemeinsam verbrachte Zeit wesentlich gestiegen sind, vertiefe das die Großeltern-Enkelkinder-Beziehung, so Anton A. Bucher. Außerdem seien Großeltern heute einfach viel jugendlicher und vitaler.

Gegenseitiger Respekt fördert den Familienzusammenhalt

Renate Kaufmann ist dafür ein gutes Beispiel. Sie will jungen Leuten etwas beibringen, bleibt dabei aber selbst offen und lässt sich von ihren Enkelkindern regelmäßig beraten. „Manche Videos schicke ich ihnen vorher und frage, ob ich das veröffentlichen kann oder ob ich etwas ändern soll“, verrät sie. „Das ist für mich ganz selbstverständlich.“ Ihr Enkel Lukas schaut fast jedes Video seiner Oma an. „Manchmal gibt’s Kritik, aber meistens Lob“, erzählt der Zwölfjährige. Er ist sichtbar stolz auf seine Oma – und auch im normalen Familienleben weiß er, was er an ihr hat: „Sie ist sehr lustig und kann bei fast allem mitspielen. Nur bei ganz wenigen Sachen kann sie nicht mitmachen, weil sie einfach ein bisschen zu patschert ist“, sagt er und grinst. Seine zehnjährige Schwester Lena hält ebenso große Stücke auf ihre Oma: „Es ist halt so toll, dass sie immer so viel Zeit mit uns verbringt. Und wir dürfen bei der Oma die Spaghetti mit der Schere schneiden.“
 
Mehr Ausnahmen gebe es aber nicht, stellt Renate Kaufmann lächelnd klar. Sie will als Oma keine Regeln, die die Eltern aufgestellt haben, torpedieren. „Mir ist ein natürliches und bodenständiges Leben wichtig. Auch wenn ich in den sozialen Medien aktiv bin, will ich meinen Enkelkindern zeigen, dass das Leben nicht nur digital und im Internet stattfindet, sondern dass das Miteinander zählt. Sie sollen Familie als Basis für das ganze Leben erfahren – als Kraftquelle und Schutz.“
 
Großeltern und Enkelkinder können wechselseitig viel voneinander lernen – eine Chance für Alt und Jung. Doch neben allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zieht Anton A. Bucher ein ganz persönliches Fazit: „Es macht einfach richtig Spaß, Opa zu sein. Mein ältester Enkel wird bald 20 Jahre alt. Ich will also noch Uropa werden. Das ist durchaus realistisch.“

Buchcover Lebensernte

Buchtipp

Der Theologe und Pädagoge Anton A. Bucher verwebt in seinem Buch „Lebensernte. Psychologie der Großelternschaft“ soziologische, literarische und psychologische Aspekte, um Klischees über Omas und Opas durch die Vielfalt gelebter Großelternschaft zu ersetzen. Dabei lässt er sowohl Großeltern als auch Enkel zu Wort kommen (Springer, € 19,99 [D], € 20,55 [A]).


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