Magische Momente

Ankommende willkommen heißen

Der junge Irani Benjamin kam vor drei Jahren per Familienzusammenführung nach Wien. Heute ist er Klassenbester. Unser Autor Hannes Pernsteiner freut sich sehr. Und erinnert an kleine und große Ankunftssituationen.

veröffentlicht am 22.12.2022

Unlängst überraschte mich ein Anruf aus der Berufsfachschule. „Ich muss Ihnen gratulieren. Benjamin ist Klassenbester, wir sind alle von ihm begeistert“, sagte der Elektrotechnik-Ausbildungsleiter. Benjamin ist ein 17-jähriger Irani, der vor drei Jahren per Familienzusammenführung nach Wien gekommen war. Obwohl damals alle Deutschkurse wegen Corona abgesagt waren, hatte ihm die Schule den Quereinstieg ermöglicht, woraufhin er schon im ersten Jahr in Mathe glänzte und sich mit einem Übersetzungsgerät auch durch die anderen Fächer kämpfte. Ich freute mich riesig. Dass der Lehrer mir danken wollte, wies ich vehement zurück: Viel mehr als zwei, drei Telefonate anfangs und einmal Begleiten zur Schule hatte ich nicht für ihn getan. Der Junge selbst war es, der so viel Intelligenz, Fleiß und Durchhalten gezeigt hatte, und sein Lehrer hat an ihn geglaubt.

Und dennoch: Die damalige Ankunftszeit Benjamins war entscheidend. Es war ein Moment, der lange herbeigesehnt und vorbereitet war von seinem Vater. Der hatte schon im Vorfeld unzählige rechtliche Hürden überwunden und nach seiner eigenen Flucht in Österreich eine bescheidende Existenz aufgebaut – ebenso wie einen Freundeskreis, zu dem ich auch mich und meine Familie zählen darf. „Ich bin so stolz darauf, dass wir in ein gutes Land gekommen sind, in dem die Menschen nett sind“, sagte mir Benjamins Vater erst kürzlich und stellte damit mein eigenes Bild von meiner Heimat gehörig auf den Kopf. Sogar als „Glaubenserfahrung“ bezeichnete er den herzlichen und selbstlosen Einsatz vieler Helfer zur Zeit der „Flüchtlingswelle“. Er habe damals erkannt, dass er weiterkommen werde, wenn er auch seinen eigenen Beitrag dazu leiste.

Ein Vorschuss an Freundlichkeit

Aus anderer Perspektive erlebte ich dasselbe vor 17 Jahren, als ich nach unserer Hochzeit meine Frau aus Mexiko in meine Heimat brachte. Auch damals waren wir auf materielle und praktische Hilfe, vor allem aber auf Gesten des Willkommens angewiesen. Uns wurde die Hand gereicht, was meiner Liebsten und mir für den Neubeginn Geborgenheit gab und Zuversicht, dass wir es schaffen würden. Mit vielen Bekanntschaften von damals sind wir heute noch freundschaftlich verbunden. Kurz gesagt, im O-Ton von Benjamins Vater: „Das Wichtigste ist, Menschen zu finden, die mit dir lachen und weinen, die in dir einfach einen Menschen sehen.“ In hohem Maß können Kontakte der ersten Zeit dazu beitragen, dass Menschen ihren Mantel des Fremdseins abstreifen, sich mit ihrer neuen Umgebung identifizieren und in dieser auch aufblühen.

Und es fällt nicht sonderlich schwer, auch in vielen anderen kleinen und großen Ankunftssituationen solche magischen Momente zu entdecken, bei denen ein Vorschuss an Freundlichkeit und Großherzigkeit den Ankömmlingen über die Schwelle hilft und damit vieles in gute Bahnen lenken kann. Angefangen mit der Geburt eines Kindes, das für seine gesunde Entwicklung genauso wie Nahrung und Wärme auch ausgestreckte Hände und Liebe braucht. Daran erinnere ich mich, wenn ich in der Weihnachtskrippe das irdische Empfangskomitee für das Christuskind betrachte. Die gleich nach seiner Ankunft herbeigeeilten Hirten und Könige waren so wichtig, dass sie es als einzige Besucher bei Jesus in dessen Kindheitsberichte geschafft haben. Gut möglich, dass sie später einmal genauso über die weitere Entwicklung gestaunt und sich gefreut haben wie ich über Benjamin.


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