Schuld und Versöhnung

Die Beichte – eine persönliche Annäherung

Ist beichten veraltet oder zeitgemäß, was bringt es und wie bereitet die Kirche Kinder darauf vor? Unsere Redakteurin nähert sich ihren Fragen zu dem Sakrament aus einem persönlichen Blickwinkel.

veröffentlicht am 28.06.2020

Die Auseinandersetzung mit Schuld und Scham gehört zum Leben dazu. Ob wir wollen oder nicht: In unserem Alltag kommt es immer wieder vor, dass wir Mitmenschen verletzen oder, dass jemand uns verletzt. So gesehen dürfte kaum ein anderes Sakrament der Kirche so nah an der Lebenswirklichkeit sein wie die Beichte, das Sakrament der Vergebung. Dennoch gehen heute tendenziell weniger Menschen als früher zur Beichte – auch, wenn es hier Ausnahmen gibt. Und wenn ich ehrlich bin, auch meine letzte Beichte ist bereits mehr als zehn Jahre her. Warum ist das so? Es fehlt jedenfalls nicht an Themen und Situationen, in denen auch ich mir einer Schuld bewusst bin.

Ich versuche, mich an meine Erstbeichte zurückzuerinnern. Aufgewachsen bin ich in einem Dorf im westfälischen Münsterland. Einmal in der Woche hatte ich gemeinsam mit anderen Kindern aus dem Ort Kommunionsunterricht: Wir haben gebastelt, Gottesdienste vorbereitet und natürlich auch über die Erstbeichte gesprochen. Der Gedanke, einem Priester von meinen Sünden zu erzählen, hat mich damals sehr nervös gemacht. Ich fragte mich, was ich ihm überhaupt erzählen sollte.

Diese Unsicherheit ist bei Kindern ganz normal, berichtet Marie-Christin Stein. Die 36-Jährige ist Gemeindereferentin und im Pastoralverbund Olpe-Dahl für die Kommunionsvorbereitung zuständig. Von ihr wollte ich wissen, wie die Kinder heute auf die Erstbeichte vorbereitet werden. Ein ganzes Jahr lang, erzählt mir die Diplom-Religionspädagogin, haben die Schüler in ihrer Gemeinde eine sogenannte Seelsorge-Stunde. In sechs bis acht Unterrichtsstunden steht das Thema Beichte im Vordergrund. Es werden Situationen und Themen diskutiert und Beispiele aus dem Schulalltag aufgegriffen. In der letzten Stunde kommt auch der Priester in den Unterricht und es wird eine Beichtsituation nachgespielt. „So bekommt das Kind eine bessere Vorstellung davon.“

Der Fokus liegt auf den Stärken des Kindes

Wichtig ist der Gemeindereferentin bei der Vorbereitung der Fokus auf das Positive, auf die Stärken der Kinder. „Es ist nicht selbstverständlich, dass man den Kindern sagt, was sie gut können.“ Erst über dieses Positive, sagt sie, machten sie sich gemeinsam Gedanken darüber, was jeder von ihnen besser machen kann. Doch können Kinder in ihrem so kurzen Leben überhaupt schon so etwas Abstraktes wie Schuld einordnen? Überfordert sie das nicht?

Es sind gerade Eltern, die der Pädagogin solche Fragen stellen. Wesentlich sei, betont sie, die Sprache der Bibel und Kirche so zu übersetzen, dass Kinder sie verstehen. Früher war das laut Marie-Christin Stein häufig nicht der Fall: Die Kinder haben ihre „Sünden“ im Vorfeld auswendig gelernt, den Hintergrund des Sakramentes nicht wirklich verstanden und die Beichte deswegen eher als Zwang erlebt. Diese Ereignisse hätten sich eingeprägt und führten dazu, dass viele Erwachsene die Erstbeichte heute eher skeptisch sehen, so die Erfahrung der Gemeindereferentin. Auch der Missbrauch in der Kirche spiele hier mit rein. „Und ich verstehe, dass das die Eltern beschäftigt.“

Doch die Auseinandersetzung mit der Schuld ist für die Kinder in ihren Augen sehr wichtig. Das werde zu Hause wie auch in der Schule häufig vernachlässigt, findet sie. Die 36-Jährige ist davon überzeugt, dass Kinder sehr wohl dazu in der Lage sind, solche Fragen zu reflektieren. „Kinder merken schon sehr früh, wenn sie etwas gemacht haben, das nicht gut ist.“

Ich selbst kann mich nicht mehr daran erinnern, was ich damals bei meiner Erstbeichte gesagt habe. Ich weiß jedoch, dass ich danach sehr erleichtert gewesen bin. Eine ähnliche Reaktion fällt auch Gemeindereferentin Marie-Christin Stein bei ihren Kommunionskindern auf. Nach der Beichte, die sie in der Sakristei ablegten, kämen sie strahlend und lächelnd heraus, erzählt Marie-Christin Stein – ganz so, als sei im Gespräch das Eis gebrochen worden. Nur noch ein kleiner Bruchteil von ihnen kommt dann jedoch zur Zweit- und Drittbeichte, wie die Pädagogin berichtet. Das mag mit den Herausforderungen des Alltags zusammenhängen oder damit, dass auch die Eltern selbst nicht beichteten. „Der Glaube hat sich heute verändert. Viele brauchen nicht mehr den Kirchenraum, um ihren Glauben auszuleben.“

Statt der Beichte nutzen viele Menschen heute auch das seelsorgerische Gespräch mit dem Pfarrer. So etwa in der Gemeinde Olching bei München, wo Ferdinand Bergrab seit 2018 Kaplan ist. Dabei kämen oft sehr persönliche Dinge zur Sprache, erzählt mir der 29-Jährige. Nach wie vor findet er das Sakrament der Beichte für den Glauben aber essenziell. „Es ist eine Möglichkeit, um über sich selbst nachzudenken und zu reden.“ Ferdinand Bergrab lässt mich anschließend einen Blick ins Beichtzimmer werfen: Zuerst ist eine Holzwand mit einem Gitter zu sehen, schräg dahinter befindet sich ein Tisch mit zwei Stühlen. Hier sitzen sich Mensch und Priester wie bei einem gewöhnlichen Gespräch gegenüber. Das sei heute üblicher, sagt der Kaplan.

Auch für Bernhard Hesse ist der klassische Beichtstuhl nicht mehr zeitgemäß. Den Pfarrer aus Kempten und Leiter der Charismatischen Erneuerung in der Diözese Augsburg treffe ich auf der MEHR-Konferenz in Augsburg. Mit ihm spreche ich auch über den Begriff der Erneuerung. „Es geht um die Vision einer lebendigen Jesusbeziehung“, erläutert er. In seinen Augen braucht es in vielen Bereichen der Kirche eine Umkehr. Das betreffe für ihn gerade auch das Sakrament der Beichte – er verwendet dafür bewusst den Begriff der Gesprächsbeichte. „Man muss auf gleicher Ebene miteinander sprechen.“ Es kommt für ihn einer persönlichen Begegnung gleich, in der es um Themen geht und nicht darum, einen Katalog aus Sünden aufzusagen. Gerade für Kinder beinhaltet das Beichtgespräch seiner Ansicht nach einen Wachstumseffekt. „Es verhilft ihnen zu einem reifen und verantwortungsbewussten Handeln.“

Über 500 Beichten auf der MEHR-Konferenz

Auch auf der MEHR-Konferenz selbst können Erwachsene und Kinder beichten. Fernab des Trubels und Lärms in den großen Messehallen befindet sich der Raum der Stille. Vor einem Altar sind Hunderte schwarze Klappstühle aufgebaut. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes ist rund ein Dutzend Stuhlpaare in einigem Abstand zueinander aufgestellt. Dort findet in einer halben Stunde die Beichte statt, wie ich einem Aufsteller entnehme.

Bald darauf bildet sich dort eine Schlange von Menschen, die mit jeder Minute länger wird. Ich spreche eine Frau mit langen blonden Haaren an. Sie heißt Denisa Bolcakova, kommt aus der Slowakei und lebt derzeit in Wien. Sie erzählt mir, dass die Beichte für sie etwas ist, das sie für ihr Inneres tut – in etwa so, wie man sich regelmäßig um seinen Körper kümmert. „Man bleibt kurz stehen und schaut auf seine Fehler, um ein besserer Mensch zu werden“, so formuliert es die 42-Jährige. Gerade mit dem Beginn des neuen Jahres erlebt sie das wie einen Neuanfang. Für eine 56-jährige Frau aus Würzburg liegt die letzte Beichte dagegen über zehn Jahre zurück. Die Frau mit den kurzen braunen Haaren erzählt mir, dass sie vor vielen Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten ist. Damals habe sie sich in einer schwierigen Lebensphase befunden, in der sie sich von der Kirche im Stich gelassen fühlte. „Heute ist das Angebot nicht mehr so festgefahren.“ Mit Blick auf die besetzten Beichtstühle gesteht sie, dass sie schon ein wenig nervös ist.

Ich bin erstaunt darüber, wie viele Menschen hier die Möglichkeit zum Beichten nutzen. An allen Messetagen werden von über 50 Priestern rund 500 Beichten durchgeführt, sagt mir Lukas Lorenz. Der Theologe aus München begründet das zum einen damit, dass sich die Beichte hier aufgrund des besonderen Rahmens außerhalb des Alltags für viele besonders anbietet. Zum anderen haben die Besucher der Konferenz laut Lukas Lorenz ohnehin eine größere Sensibilität für das Sakrament.

Spontan stelle auch ich mich in der Schlange an. Umso weiter sie mit mir voranschreitet, desto unruhiger werde ich. Während des Wartens komme ich mit einem 21-jährigen Mann ins Gespräch. Der junge Theologe gesteht mir, dass er sich trotz der Absolution schwer damit tue, die Schuld komplett abzustreifen. Irgendwann bin ich an der Reihe. Ich habe ein sehr nettes und angenehmes Gespräch mit dem Priester, bei dem ich einige Dinge ansprechen kann, die mich aktuell beschäftigen. Als ich mich verabschiede, bin ich dennoch sehr nachdenklich. Sollte ich nicht erleichtert sein? Ich muss daran denken, was mir der junge Theologe kurz vorher geschildert hat.

Das Bedürfnis zum Austausch ist da

Zurück in München spreche ich mit Alexander Reischl, Diakon in der Pfarrei Christkönig, über andere beichtähnliche Gesprächsformen sowie Hemmschwellen, die laut Reischl gerade bei der Beichte eine Rolle spielen. Seit Längerem veranstaltet seine Pfarrei eine „Nacht der Lichter“, bei der Gläubige bei Musik, Kerzen und Gebet eine besondere Atmosphäre der Stille und Ruhe erleben können und dabei auch die Gelegenheit zu einem seelsorgerischen Gespräch und einem persönlichen Segen bekommen. Angelehnt ist diese Idee an die Gebetsform der Gemeinschaft in Taizé. Diesen Ansatz findet auch Alexander Reischl richtig: „Die Beichte muss wieder zurück auf die Straße, dorthin, wo die Menschen leben, arbeiten und wir ihnen begegnen.“ Zentral ist für ihn, dass die Kirche wieder auf die Menschen zugeht – so wie es auch Jesus getan habe. Denn das Bedürfnis zum Austausch ist da, wie der Diakon in seiner alltäglichen Arbeit feststellt. Doch er hat den Eindruck, dass die klassische Beichte von vielen nicht mehr als die richtige Form empfunden wird. „Sie suchen einen vertraulichen, offenen Raum und Menschen mit einer Sprache und Ausdrucksform, die sie verstehen und die mit ihrem Leben zu tun hat.“

Die Themen, mit denen die Menschen zu ihm kommen, seien zwar vielfältig, doch im Grunde genommen führen sie alle wieder zurück zu denselben Fragen. Alexander Reischl bezeichnet es als die Wurzel dessen, warum wir uns manchmal ungerecht oder blöd verhalten: Es sind Verletzungen, die wir im Laufe unseres Lebens erlebt haben. Im Grunde haben alle die Sehnsucht, versöhnt und glücklich zu leben.


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