Junge Europäer

So denken wir über Europa

Stimmen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, eingefangen von unserer Autorin Simone Utler während des salesianischen Jugendtreffens "Confronto" im Sommer 2017 nahe der italienischen Hauptstadt Turin.
  • Simone Utler

veröffentlicht am 31.12.2017

Die offenen Grenzen bedeuten Lebensqualität

Susana lebt Europa. Mit 18 ging die Spanierin für ein Jahr nach Finnland, im Studium nach Leeds und Dublin. „Europa ist für mich ein offener Raum. Perfekt, um andere Kulturen, andere Sprachen,anderes Essen kennenzulernen.“ Susana sieht sich als Weltenbürgerin und will an jedem Ort wirklich ankommen. „Als Erstes lerne ich in der Landessprache Begriffe, die Menschen zum Lachen bringen. Das sind Eisbrecher“, sagt Susana.

Sie lacht und gestikuliert viel, sprüht vor Energie, Lebenslust und Humor. Noch lebt sie in Madrid, macht Tai-Chi oder hängt mit Freunden ab. Gerade sucht sie einen Job als Lehrerin, am liebsten an einer Don Bosco Schule. Gerne Bilbao. Oder Leeds. „Ich würde gerne in Spanien bleiben, aber es ist wahnsinnig schwer, einen Job zu finden. Unsere Regierung ruiniert das Land.“ Viele Freunde sind schon im Ausland. „Gerade bei Jobs bedeutet die EU für uns Freiheit.“ Susana ist sich sicher, dass Europa in 20 Jahren durchmischt sein wird, sieht aber in der gemeinsamen Wirtschaft ein Problem: „Einigen Ländern geht es richtig gut, andere können nicht folgen.“

Susana (25) aus Spanien

Man muss sich ausprobieren, um seinen Weg zu finden

David ist noch auf der Suche. „Ich denke, in meinem Alter muss man auch suchend sein“, sagt der 19-Jährige, der nach dem Abitur und dem Zivildienst in einem Altenheim ein Jurastudium begonnen hat. Er hatte auch  mal überlegt, sein Hobby zum Beruf zu machen: die klassische Musik. David spielt Klavier, singt, er liebt Schubert und italienische Arien. „Aber beim Singen muss man immer auch versuchen, anderen zu gefallen. Ich möchte lieber mit mir selbst im Reinen sein.“ Später einmal möchte David eine Familie gründen. Eine Stelle im Auswärtigen Amt oder bei der UNO in Wien würde ihn interessieren. Er kann sich aber auch vorstellen, als  Anwalt zu arbeiten.

„Man muss sich ausprobieren, um seinen Weg zu finden.“ Obwohl ihn die Unsicherheit nach dem Regierungswechsel in seiner Heimat und die Flüchtlingswelle beschäftigen, blickt David positiv in die Zukunft. Er kann sich gut vorstellen, in Österreich zu bleiben, möchte aber auch die Freizügigkeit nutzen, die Europa bietet. „Ich glaube, nirgendwo anders auf der Welt gibt es eine so hohe Vielfalt auf so engem Raum."

David (19) aus Österreich

„Europa ist Vielfalt – auch beim Humor“

Auf den ersten Blick sieht Sonia bei jungen Menschen aus Europa vor allem Ähnlichkeiten. „Doch beim näheren Kennenlernen sind kulturelle Unterschiede zu erkennen – etwa beim Humor“, sagt die 24-Jährige. „Als  Italienerin mache ich viele Witze und bin gern sarkastisch. Menschen aus anderen Ländern schauen mich manchmal erstaunt an und halten mich für unhöflich.“ Für Sonia bedeutet Europa vor allem Vielfalt und  Reichtum.

Als Literaturübersetzerin möchte sie Menschen aus unterschiedlichen Sprachkreisen verbinden. Doch gerade in ihrer Heimat Norditalien sei die Zukunft für junge Leute eine Herausforderung: Nebenjobs im Tourismus gebe es in der Region um Venedig im Überfluss, aber kaum feste Jobs. Frauen stehen vor einem weiteren Problem: „Man hört immer wieder, dass sie im Vorstellungsgespräch gefragt werden, ob sie Kinder wollen. Oder
dass eine Frau gefeuert wurde, weil sie schwanger war.“ Sonia kritisiert mangelnde Aktion in der Gesellschaft: „Wir Italiener können sehr gut über Dinge reden. Aber wenn es ums Handeln geht, kommt nicht viel.“

Sonia (24) aus Italien

„Die Probleme der Welt sind nicht national zu lösen“

Jakob ist ein besonders engagierter Europäer. Nach dem Abitur war er mit dem Freiwilligendienst der Salesianer Don Boscos ein Jahr in Südindien. Jetzt studiert er in Münster Mathematik und Physik – und engagiert sich ehrenamtlich in mehreren politischen Projekten. Zum einen leitet er einen antirassistischen Stadtrundgang für Schüler, bei dem er über Alltagsrassismus, die europäische Grenzlandschaft und globale Ungerechtigkeit informiert. Zum anderen ist er Mitgründer eines Stammtischs zum Thema Rassismus, bei dem es vor allem um Flucht und Migration geht. „Da kommen automatisch Diskussionen über Europa auf, denn die Flüchtlingsthematik muss man auch strukturell betrachten.“ Jakob ist Fan der europäischen Idee: „Es geht darum, von den Nationalstaaten wegzukommen, sich als Europäer zu fühlen und gemeinsam zu handeln, um Probleme der Welt zu lösen.“ Doch er sieht auch Herausforderungen, wie die „nicht immer sinnvollen“ Auswüchse der Bürokratie. Seine eigene Zukunft ist für Jakob noch vage: „Mathe und Physik machen mir viel Spaß – aber ich weiß nicht, wie ich damit Kinder und Jugendliche erreichen und die Welt zu einem besseren Ort machen kann.“

Jakob (20) aus Deutschland

„Das Christentum ist ein wesentlicher Aspekt Europas“

Nikolina sind christliche Werte sehr wichtig. Die 22-Jährige ist ein Familienmensch, engagiert sich in der Don Bosco Jugendarbeit und besucht mit ihrem Freund in der Pfarrei einen Vorbereitungskurs für Verlobte. In ihrem Medizinstudium sieht sich die junge Christin manchmal auf besondere Weise gefordert: „Bei Themen wie Abtreibung und Sterbehilfe stehe ich öfter auf verlorenem Posten.“ Nikolina möchte ihren Glauben und die Botschaft Don Boscos an künftige Generationen weitergeben – als Mutter und als Ärztin. „Vielleicht bin ich etwas zu idealistisch, aber prinzipiell ist es in Slowenien möglich, als Mutter zu arbeiten. Frauen werden kaum diskriminiert.“ Trotzdem machen sich viele ihrer Bekannten Sorgen um die Zukunft: „Viele junge Menschen dehnen ihr Studium aus, um den Berufseinstieg hinauszuzögern.“ Nikolina mag die Europäische Union. „Weil sie Frieden schafft und jungen Menschen Möglichkeiten bietet.“ Außerdem habe die EU „ein Auge“ auf die slowenische Regierung. „Aber ich habe Angst, dass Europa seine Leidenschaft für Jesus verliert. Und das Christentum ist für mich ein wesentlicher Aspekt Europas, den es zu bewahren gilt.“

Nikolina (22) aus Slowenien

„Ich möchte nicht nur Gast in Europa sein“

Daniel ist gerade beruflich in der Schwebe. Die vergangenen zwei Jahre arbeitete der studierte Lehrer in einer Pfarrei mit, nun macht er eine Weiterbildung in Religionslehre. „In Großbritannien ist es selten, dass man aus der Uni in eine Festanstellung geht“, sagt der 26-Jährige aus der kleinen Stadt Warrington. Zwar seien die offiziellen Arbeitslosenzahlen niedrig, doch es gebe fast nur qualitativ schlechte Jobs oder schlechte Verträge. „Viele Freunde arbeiten als Barkeeper, Verkäufer oder Putzkraft.“

2011 seien die Gebühren an britischen Universitäten so gestiegen, dass heute viele junge Menschen bei Abschluss ihres Studiums bis zu 50.000 Britische Pfund Schulden hätten. „Die Schere zwischen Arm und Reich wird größer. Und es gibt so eine Grundstimmung bei jungen Menschen, dass die älteren Generationen all die Jobs und all das Geld haben und wir in die Röhre gucken.“ Die Entscheidung für den Brexit mache alles noch schlimmer. „Eine kleine Mehrheit hat dafür gestimmt und wir anderen haben das Gefühl, reingelegt worden zu sein“, sagt
Daniel. Er sei in dem Bewusstsein aufgewachsen, ein Bürger Europas zu sein. „Der Gedanke, wieder als Gast nach Europa zu fahren, gefällt mir nicht.“

Daniel (26) aus Großbritannien

Nicht zu viel planen

„Bei mir überwiegt die Freude auf die Zukunft. Bei uns ist es normal, dass jede Frau studiert und arbeitet. Aber ich verplane mein Leben nicht völlig. Ich versuche, Gott Platz zu geben, das heißt für mich, dass ich Raum lasse, etwas zuzulassen, wenn sich was ergibt. In Europa haben wir so viele Länder um uns herum, die für uns viel näher sind, als sie es noch für unsere Großeltern waren. Ob die Europäische Union allerdings Bestand hat, muss man sehen. Ich bin unsicher, ob es funktioniert.“

Theresa (18) aus Österreich beendet in diesem Jahr die Schule. Anschließend möchte sie ein Freiwilliges Soziales Jahr oder ein Volontariat in Afrika machen.

Das Ziel sollte Zufriedenheit sein

„Einerseits wäre es toll, der EU beizutreten, weil das für uns viele Möglichkeiten bringen würde. Auf der anderen Seite ist vieles einfach nur Politik. Und das Ziel sollte doch eigentlich die Zufriedenheit der Menschen sein. Die meisten meiner Freunde und ich glauben, dass es nicht schwer sein wird, später einen Job zu bekommen – weil es an uns liegt. Wenn man das macht, was einem Spaß bringt, dann ist man auch gut darin. Man sollte keine Angst haben, sich auszuprobieren oder Fehler zu machen. Die Jugend in der Ukraine ist sehr offen und mutig. Und wir glauben an uns!“

Anastasia (20) aus der Ukraine macht gerade den Bachelor in Übersetzungswissenschaften.

Junge Menschen profitieren von der EU

„Junge Menschen profitieren ganz klar von der EU. Zum Beispiel durch das Studienprogramm Erasmus. Ich sehe die Vorteile der Gemeinschaft und lasse mich auf sie ein – auch wenn es durchaus kulturelle Unterschiede gibt. Aber meine Generation vermisst irgendeine Form von Stabilität. Viele Eltern lassen sich scheiden, die Ehe hat für viele an Bedeutung verloren. Auch die Flüchtlinge, die auf Malta ankommen, sind eine Herausforderung. Wir sind damit von der EU relativ alleine gelassen. Malta hat weder viel Platz noch viel Geld, aber wir versuchen, zu helfen. Zum Beispiel, indem wir Jobs schaffen.“

Jeanine (26) aus Malta ist Lehrerin und studiert Kinder- und Jugendpsychologie.


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Die offenen Grenzen bedeuten Lebensqualität

Susana lebt Europa. Mit 18 ging sie für ein Jahr nach Finnland, im Studium nach Leeds und Dublin. Gerade sucht sie einen Job als Lehrerin, am liebsten an einer Don-Bosco-Schule. Im  Video erzählt sie, wie sie die Zukunft Europas einschätzt.

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Gemeinsame Lösung für die Probleme der Welt

Jakob ist ein Fan der europäischen Idee. Der 20-jährige Student führt Schüler bei antirassistischen Stadtrundgängen durch Münster und ist Mitgründer eines Stammtischs zum Thema "Rassismus". Diskussionen über Europa kommen da oft auf. Für ihn ist klar: "Es geht darum, von den Nationalstaaten wegzukommen, sich als Europäer zu fühlen und gemeinsam zu handeln, um Probleme der Welt zu lösen."