Medientipps

Aktuelle Bücher, Serien, Filme und Podcasts für Eltern, empfohlen von Müttern und Vätern oder von Menschen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten.

Bilderbuch

Was Kinder fühlen

Leben mit Kindern heißt, oft Zeuge gewaltiger Gefühlsausbrüche zu sein. Bei uns zuhause vergeht kaum ein Tag ohne Tränen, ohne Geschwisterstreit, ohne Wutanfälle oder Schreierei. Gerne würde ich meinen Töchtern ein bisschen mehr Orientierung auf der Gefühlsklaviatur geben – zwischen Angst und Wut gibt’s einerseits noch mehr, was man fühlen kann, andererseits muss man durch manche Gefühle auch einfach durch.

Deswegen mögen wir die Ameisen in Adas Bauch. Die Kapitel sind oft ganz kurz – eins davon schafft man auch, wenn’s abends eigentlich schon wieder viel zu spät zum Vorlesen geworden ist. Und jedes Mal geht es in wunderschöner Sprache darum, was Ada fühlt. Da duftet es nach flaumig-flauschigen Hühnerpopo-Federn und Geborgenheit oder nach Freibad-Pommes. Adas Arme können Max ganz fest boxen oder sie können „Große-Schwester-Arme“ sein, die den kleinen Bruder vor den nächtlichen Monstern beschützen.

Überhaupt geht es oft um Familiengefühle, um ungerechte Mamas, nervige kleine Brüder oder kranke Omas. Die Zeichnungen von Philipp Waechter sind großartig und so ist das Buch auch schon für Kinder geeignet, die noch Bilderbücher bevorzugen. 

Ein tolles Buch zum Ferienstart oder zum Schulanfang oder für Erwachsene, die vergessen haben, wie sich Kindergefühle äußern. 

Ulla Fricke

Ulla Fricke hat zwei Töchter und lebt in Köln. Sie liest leidenschaftlich gerne und wäre fast Buchhändlerin geworden. In der Leitung von Don Bosco Mission Bonn ist sie für Kommunikation, Bildung und Freiwilligendienst zuständig.

Cover Ameisen in Adas Bauch

„Ameisen in Adas Bauch“ von Stefanie Höfler, illustriert von Philip Waechter (Beltz Verlag, € 18,00)


Miniserie

Feinsinnige Hommage an das Leben

Leise und kraftvoll, poetisch und alltäglich: Die ARD-Serie „Marzahn Mon Amour“ beeindruckt mit ihrer unaufgeregten und empathischen Erzählweise, die mich sofort in ihren Bann gezogen hat.

Kathi, 44 Jahre, wohnt in Berlin-Marzahn, einst die größte Plattenhaussiedlung der DDR, und muss neu anfangen. Ihr Mann ist abgehauen und mit ihrer Schriftstellerei allein kann sie sich finanziell nicht über Wasser halten. Also fängt sie als Fußpflegerin in einer Beauty Oase an. Ihre fast erwachsene Tochter ist davon mäßig begeistert.

Doch genau in dieser Umgebung findet Kathi neuen Halt und erkennt, dass nicht alles so ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Im Salon trifft sie auf einen ehemaligen DDR-Funktionär, der vor allem eins ist – einsam. Sie lernt ein altes Ehepaar kennen, das sich nicht trennen möchte, obwohl der Ehemann dringend professionelle Pflege bräuchte. Sie erlebt mit, wie die Hoffnungen einer lebenslustigen Rentnerin durch einen einzigen Telefonanruf zerstört werden.

„Marzahn Mon Amour“ richtet den Schweinwerfer auf die kleinen Leute – respekt- und liebevoll. Die Serie ermutigt, nicht sofort die Schublade aufzumachen und andere einzusortieren, sondern nach den Beweggründen zu forschen und einander zu verstehen.

„Marzahn Mon Amour“ ist eine Hommage an das Viertel und die Menschen, „die dort vor 40 Jahren hingezogen sind und jetzt mit Rollator, Sauerstoffgerät und Mindestrente tapfer ihr Leben zu Ende bringen“, resümiert die Protagonistin Kathi. „Die manchmal tagelang mit niemandem reden, die uns, wenn sie ins Studio kommen, ihre hungrigen Herzen ausschütten, jede Berührung dankbar aufsaugen und glücklich sind an diesem Ort, an dem sie nicht wie die Vollidioten der Nation behandelt werden.“

Nicole Stroth

Nicole Stroth war jahrelang Redakteurin bei Don Bosco Medien. Sie ist Mutter von Zwillingen und lebt mit ihrer Familie in München.

Marzahn Mon Amour Key Visual

„Marzahn Mon Amour“, Regie: Clara Zoë My-Linh, auf Basis des Buches von Katja Oskamp (ARD-Mediathek)


Bilderbuch

Mit Mopsfisch durch den Gartenteich

Dieses Buch ist schon jetzt mein Kinderbuch des Jahres. Wer auf hemmungslose Sprachspiele, witzige Bilder und allgemeine Blödeleien steht, liegt mit Mopsfisch genau richtig.

Mopsfisch losflieg.
Mopsfisch land.
Mopsfisch hängt in Efeuwand!

Der vielfach ausgezeichnete österreichische Autor Clemens J. Setz, der bisher vor allem mit Erwachsenenliteratur in Erscheinung getreten ist, hat hier eine gereimte Geschichte vorgelegt, die zum Schießen komisch ist, illustriert wurde sie von Stefanie Jeschke. Mopsfisch erlebt darin allerhand Abenteuerliches und schließlich ein entzückendes Happy-End.

Das alles macht großen Spaß. Mangels kleiner Kinder habe ich das Buch mit meinem 16-jährigen Sohn gelesen. Wir lagen beide prustend auf dem Sofa. Der Verlag empfiehlt das Buch für Kinder ab drei Jahren. 

Christina Tangerding

Christina Tangerding ist freie Journalistin und lebt mit ihrem Mann und ihren beiden großen Kindern in München.

Cover Mopsfisch

„Mopsfisch“ von Clemens J. Setz, illustriert von Stefanie Jeschke (Insel Verlag, € 15,00) 


Sachbuch

Kinder an die Macht!

„Kinder an die Macht“ sang Herbert Grönemeyer bereits 1986. Doch in der heutigen Realität ist eher das Gegenteil der Fall. In unserer alternden Gesellschaft sind Kinder und Jugendliche in der Minderheit, ihre Bedürfnisse werden kaum wahrgenommen. Die Soziologen Aladin El- Mafaalani und Klaus Peter Strohmeier sowie der Politikwissenschaftler Sebastian Kurtenbach nehmen in ihrem Buch die Perspektive von Kindern und Familien ein, zeigen was bei uns schiefläuft und was dagegen unternommen werden kann.

Kinder wachsen heute „superdivers“ auf, das zeigen die Autoren am Beispiel einer Grundschulklasse. Die Kinder haben die unterschiedlichsten Familien- und Herkunftshintergründe, die es schwer machen, eine gemeinsame kulturelle Basis zu finden. Das ist eine immense Herausforderung – nicht nur für Lehrkräfte. Allein der Begriff „Migrationshintergrund“ unterstellt Menschen eine Gemeinsamkeit, die es so gar nicht gibt, führt El-Mafaalani aus.

Das Phänomen der „Überdifferenzierung“ hat bestimmt jede Mutter und jeder Vater schon erlebt: Für jedes Problem der Kinder gibt es ein Angebot einer Beratungsstelle, ein Förderprogramm, eine Studie usw. Wer behält da den Überblick, vor allem in „Familien mit Migrationshintergrund“?

Einen von vielen Lösungsansätzen sehen die Experten im Engagement der älteren Generation. Die sogenannten „Boomer“ sind zahlenmäßig am stärksten und verstehen sich so gut mit den Jüngeren wie nie zuvor eine Generation. Sie können dabei helfen, die Zukunft für die Jüngeren lebenswert zu machen.

Die Autoren analysieren wissenschaftlich und detailliert, aber äußerst verständlich und nachvollziehbar die Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen und ziehen Schlüsse daraus, wie die Gesellschaft der jungen Generation gerecht werden könnte. Denn unsere Zukunft steht auf dem Spiel!

Das Buch war nominiert für den Deutschen Sachbuchpreis 2025. 

Marion Neuwirth

Marion Neuwirth arbeitet in der Redaktion von Don Bosco Medien. Sie hat zwei Töchter und lebt mit ihrer Familie in Taufkirchen bei München.

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„Kinder – Minderheit ohne Schutz“ von Aladin El-Mafaalani, Sebastian Kurtenbach und Klaus Peter Strohmeier (Kiepenheuer & Witsch, € 24,00)


Wendebuch

Tipps zum Beten mit Kindern und Vorlesegeschichte

Beten, mit Gott sprechen ist etwas sehr Individuelles. Die Form muss zu mir und meiner Lebenssituation passen, sonst ähnelt es mehr einem schlechtsitzenden Paar Schuhe. Die Konsequenz: Ich schlüpfe nicht mehr hinein. Gerade wenn die Familie wächst und Kind(er) dazukommen, werden zwangsläufig Routinen in allen Lebensbereichen durcheinandergewirbelt. Da stellt sich vielleicht auch die Frage: Wie möchten wir jetzt mit als Familie beten? Welche Formen und Rituale passen zu uns?

Genau zu dieser Suche will Josephine Teske in ihrem Buch ermutigen. Sie teilt ihre Erfahrungen aus dem Familienalltag und Kitatagen und inspiriert mit einer Auswahl an klassischen und eigenen Gebeten sowie kleinen Ritualen. Ergänzt wird es durch eine Kindergeschichte von Elena Huger zu der Frage, wer Gott (eigentlich) ist.

Das Wendebuch mit zwei Covern lädt Klein und Groß ein, genau darüber nachzudenken und einander zuzuhören. Ich finde, es ist ein tolles Geschenk, zum Beispiel zur Taufe.

Martina Edenhofer ist Pastoralbeauftragte im Salesianum in München und lebt in einem Dorf im Münchner Umland.

Cover "Mit Kindern beten – aber wie? & Wer ist Gott, fragt Ben" von Josephine Teske und Elena Huger

„Mit Kindern beten – aber wie? & Wer ist Gott, fragt Ben“ von Josephine Teske und Elena Huger (ruach.jetzt, € 22,00)


Kinderserie

Der kreative Alltag einer modernen Hundefamilie

Selten ist Familienalltag so unterhaltsam gewesen. In der Kinderserie Bluey dürfen Kinder zwischen etwa drei und sieben Jahren am Leben der namensgebenden blauen Hündin und ihrer Familie teilhaben. Dabei können sie in aktuell mehr als 150 Folgen mit jeweils unter zehn Minuten ebenso viel wohltuend Bekanntes wie anregend Neues entdecken.

Da spielen Bluey und ihre Schwester Bingo Krankenhaus mit ihrem Vater, der eine Spritze nach der anderen bekommt. Oder sie versuchen so lange wie möglich, einen Luftballon in der Luft zu halten und werden dabei von ihrem Vater torpediert. Und weil er der Grund dafür ist, dass der Ballon schließlich platzt, wird er auf Vorschlag von Mum selbst zum Luftballon.

Die Spielideen von Bluey, Bingo und ihren Eltern haben unsere Tochter schon häufiger angeregt, Ähnliches selbst umzusetzen. Aber nicht nur diese Ideen aus der Serie sind kreativ, auch die Umsetzung sprüht vor Einfallsreichtum. Mal laufen fast die gesamte Folge nur die mit Wackelaugen beklebten Hände der Hundefamilie durchs Bild. Ein andermal sehen wir das gesamte Geschehen durch Handykameras während eines Videocalls von Bluey und Bingo mit ihren Cousinen Muffin und Socks. Und spätestens wenn Muffin ihrem Vater das Handy klaut, wird sichtbar, was durch diese Perspektive alles möglich ist.

Bei all dem durchbricht die Serie nebenbei nach wie vor häufig reproduzierte veraltete Rollenbilder. Ganz alltäglich zeigt sie Papa beim Wäschezusammenlegen und anderen Hausarbeiten, während Mama zur Arbeit geht.

Bluey ist für mich ein herausragendes Beispiel für gelungenes Kinderfernsehen. Auch als Erwachsener freue ich mich, wenn ich das Stopptanz-Intro mit seiner einfachen Melodie höre, und lasse mich gerne von der Serie in ihren Bann ziehen. Übrigens: Vor kurzem wurde bekannt, dass Bluey auch ins Kino kommen wird. Leider wird das aber wohl noch bis 2027 dauern.

Christoph Sachs

Christoph Sachs ist Redakteur bei Don Bosco Medien und lebt in München. Neben dem Schreiben backt er leidenschaftlich gerne Brot, fotografiert und vertieft sich mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Brettspiele.

Key Visual zu Serie bluey

„Bluey“, Regie: Joe Brumm, Richard Jeffery (Disney Plus), Foto: Disney Plus Press


Sachbuch

Zu Besuch bei Pottwal, Seegurke & Co

Wissensbücher für Kinder – das ist immer so eine Sache. Oft empfinde ich sie als zu kleinteilig, zu überfrachtet. Umso mehr habe ich mich über diesen Fund in der Bücherei gefreut. Tolle Bilder, kurze und prägnante Texte, schöne Mitmach-Elemente. Mit diesem Buch von National Geographic Kids können Kinder und Eltern in die Welt der Ozeane eintauchen, ohne von Informationen erschlagen zu werden.

Auf einer illustrierten Doppelseite wird jeweils ein Ozean – sei es der Pazifik, der Arktische oder Indische Ozean – kompakt erklärt und die kleinen Meeresforscher dürfen sich auf die Suche nach den dort lebenden Tieren begeben. Auf den Folgeseiten sind dann Farbfotografien von diesen Tieren mit ihren wichtigsten Eigenschaften zu finden. Ein netter Sidekick sind die ab und an eingestreuten Fragen, die das Vorlesen ein wenig lebendiger gestalten. Zum Beispiel: „Kannst du dich wie eine Schildkröte bewegen? Lege dich auf den Bauch und krieche mithilfe von Armen und Beinen vorwärts.“

„Ozean“ von National Geographic Kids richtet sich an Kinder ab fünf Jahren und macht einfach viel Freude beim gemeinsamen Entdecken.

Nicole Stroth

Nicole Stroth war jahrelang Redakteurin bei Don Bosco Medien. Sie ist Mutter von Zwillingen und lebt mit ihrer Familie in München.

Cover Ozean

„Ozean. Lernspaß mit spannenden Tiersuchen!“ von National Geographic Kids (White Star Verlag, € 9,95)


Roman

Was Wut bewirken kann

Dieser Roman hat einen österreichischen Politiker dazu bewogen, sich von seinen Ämtern zurückzuziehen. Er wolle seiner Vaterrolle gerecht werden und sich aktiver um seine Söhne kümmern, sagte Michael Lindner von der oberösterreichischen SPÖ.

Die Salzburger Autorin Mareike Fallwickl thematisiert die schwierige Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die ungleiche Verteilung von Care-Arbeit. Das Buch beginnt damit, dass Helene, Mutter von drei Kindern, die dem andauernden Druck nicht mehr stand hält, Suizid begeht. Was danach kommt, ist eine wütende, verzweifelte und radikale Auseinandersetzung der Familienmitglieder mit dem, was war und ist. Es geht um Selbstbehauptung und Selbstermächtigung von Frauen, vor allem dargestellt an der Geschichte von Tochter Lola.

„Die Wut, die bleibt“ ist ein feministischer, kämpferischer Roman. Einer, der Probleme, die oft und immer wieder theoretisch beschrieben werden, auf emotionaler Ebene greifbar und den Schmerz in Familien fast körperlich spürbar macht. Dieser Roman ist in der Lage, das Bewusstsein von Menschen zu verändern – so wie er das offenbar auch bei dem Vater und Politiker aus Österreich getan hat.

Christina Tangerding

Christina Tangerding ist freie Journalistin und lebt mit ihrem Mann und ihren beiden großen Kindern in München.

Cover von Buch Die Wut die bleibt von Mareike Fallwickl

„Die Wut, die bleibt“ von Mareike Fallwickl (Rowohlt Taschenbuch, € 14,00)


Biografie

Reise in die eigene Vergangenheit

Jedes Mal, wenn sie als Kind über die Versetalsperre im Sauerland fuhr, war ihr plötzlich eiskalt. Diese und andere Begebenheiten von früher fallen der bekannten Journalistin Evelyn Roll ein, als sie sich nach einem geplatzten Gehirnaneurysma zurück ins Leben kämpft. Es ist, als drängten bei ihr Erinnerungen und Bruchstücke plötzlich nach oben, die lange unterdrückt oder unbeachtet waren. Die Traumata der Kriegskindergeneration, die mit Eltern aufwuchsen, die keine Worte fanden. Die an der Flasche hingen oder prügelten oder depressiv wurden. Sie widmet sich den Lebenslügen und den verdrängten Erinnerungen, entdeckt neue Familienmitglieder und hinterfragt sich selbst.

Roll versteht es zu schreiben, sie verfasste eine Biografie über Angela Merkel und ist eine scharfsinnige Journalistin. Und das macht auch den Reiz dieses Buches aus, das mich von der ersten Seite an gefesselt hat. Zum einen weil Roll sich mit dem Thema Gehirn richtig gut auskennt und die Geschichte ihrer Familie im Wechsel mit der Schilderung ihrer Genesung und Spurensuche erzählt. Zum anderen weil sie damit auch das Porträt einer Generation zeichnet und mich mit neuen Blickwinkeln zurückgelassen hat. Etwa was der patriarchale Backlash der Adenauer-Ära mit den Trümmerfrauen machte, die eigentlich bewiesen hatten, das sie einige Dinge auch ganz gut alleine regeln konnten.

Aber nein, es ist kein Frauenbuch. Es ist ein Buch für alle Söhne und Töchter und  deren Kinder. Für die, die verstehen wollen, warum in Familien manche Themen nie besprochen wurden und werden. Und warum es einem bei der Fahrt über die Versetalsperre frösteln kann, wenn man sich mit ihrer Geschichte beschäftigt hat.

Ulla Fricke

Ulla Fricke hat zwei Töchter und lebt in Köln. Sie liest leidenschaftlich gerne und wäre fast Buchhändlerin geworden. In der Leitung von Don Bosco Mission Bonn ist sie für Bildung und Freiwilligendienst zuständig.

Cover des Buches Pericallosa von Evelyn Roll

„Pericallosa. Eine deutsche Erinnerung“ von Evelyn Roll (Droemer Knaur Verlag, € 26,00)


Roman

Wenn alles zu viel wird

„Es ist ja alles gut, mit den Kindern, mit mir, mit mir und dir ja auch, eigentlich, es ist nur ständig dieses Eigentlich ...“ Eine 32-jährige Mutter und erfolglose Übersetzerin ist vor ihrer Familie in ein Hotelzimmer geflohen und lässt ihrer Frustration dort nun freien Lauf. Sie fühlt sich erschöpft, allein und ist hochgradig depressiv. Ihr angestauter Mental Load platzt mit einer enormen sprachlichen Wucht. Ihre Gedanken gehen wild durcheinander.

Die Sätze wirken wie abgehackt, oft sind sie unvollständig. Ein Satzteil fließt direkt in den nächsten, ohne vorher als Sinneinheit vollendet zu sein. Diffus, atemlos, gehetzt. Ich musste mich in diesen Stil anfangs erst einlesen. Doch gerade diese besondere Sprachform hat mich fasziniert. Sie fesselt, fordert heraus, treibt voran.

Und sie spiegelt das verworrene Innenleben der Protagonistin eins zu eins wieder. Diese junge Frau ist es leid, die Perfekte sein zu wollen. „Die Diskrepanz aus Sein und Soll macht mich fertig.“ Man fühlt mit ihr mit, versteht ihre Überforderung. An anderen Stellen kippt die Sympathie wiederum in Antipathie.

„Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten“ von Slata Roschal ist kein leichter oder gefälliger Roman. Die Handlung ist aktuell, eine richtige Conclusion gibt es allerdings nicht. Muss es auch nicht. Für mich war vor allem die Sprache ein Erlebnis. Ein literarischer Wortstrom, der sich von anderen Romanen abhebt.

Nicole Stroth

Nicole Stroth war jahrelang Redakteurin bei Don Bosco Medien. Sie ist Mutter von Zwillingen und lebt mit ihrer Familie in München.

Buchcover „Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten“ von Slata Roschal

„Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten“ von Slata Roschal (claassen Verlag, € 22,00)