Integration

Geflüchtete und deutsche Jugendliche unter einem Dach

Seit einem halben Jahr leben in Bamberg geflüchtete und deutsche Jugendliche im erlebnispädagogischen Kompetenzzentrum Wolfsschlucht zusammen. Eine Erfahrung, die die 15- bis 18-Jährigen aneinander wachsen lässt.

veröffentlicht am 01.11.2019

Im normalen Lebensalltag hätten Simon, Julius, Amadi und Tamiel* vielleicht nicht gemeinsam an einem Tisch gesessen, Witze gemacht oder sich über ihr Leben ausgetauscht. Doch mit gemeinsam Erlebtem können Unterschiede aus der Welt geschafft werden, so bringt Milan Krieglstein die Idee des erlebnispädagogischen Kompetenzzentrums in Bamberg auf den Punkt. Der 31-Jährige ist Leiter der neuen Einrichtung, die erst im März in der ehemaligen Jugendherberge Wolfsschlucht eröffnet worden ist. Träger des Zentrums ist das Don Bosco Jugendwerk Bamberg, das damit nun insgesamt neun Wohngruppen in der Stadt betreut.

Das Besondere an der Wohngemeinschaft im Stadtteil Bug ist, dass hier elf unbegleitete minderjährige Geflüchtete und elf deutsche Jugendliche in einem Haus zusammenleben. Tatsächlich könnten ihre Lebenswelten nicht unterschiedlicher sein. Da sind Amadi und Tamiel, die beide vor drei Jahren ihre Familien in Afghanistan zurückließen, um nach Deutschland zu kommen. Amadi hat hier mittlerweile seinen Realschulabschluss gemacht und vor Kurzem eine Ausbildung zum Krankenpflegehelfer begonnen. Nicht sein Traumberuf, wie er sagt. Da sein Asylverfahren jedoch noch läuft, war es die einzige Möglichkeit für den 18-Jährigen, um in Deutschland zu bleiben. Auch Tamiel sucht derzeit eine Ausbildung. „Im Handwerk“, sagt der 16-Jährige, der nur gebrochen Deutsch spricht.

Anders als die Geflüchteten haben die deutschen Jugendlichen in der Wohngruppe große Schwierigkeiten damit, sich zu motivieren, wie Milan Krieglstein sagt. Neben ihm im Aufenthaltsraum der Einrichtung, in der Tischtennisplatte und Couch stehen, sitzen an diesem Nachmittag neben den beiden Afghanen auch Julius und Simon. Bei Julius ist derzeit Lernen angesagt. Der 14-Jährige will die 9. Klasse bestehen, um eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker zu machen. Simon gesteht, dass er vor Kurzem seine Lehre nach nur zwei Tagen wieder abgebrochen hat. Jetzt denkt der 17-Jährige darüber nach, zur Bundeswehr zu gehen.

Toleranz durch Annäherung

Im Kompetenzzentrum dreht sich für die Jugendlichen, die zwischen 15 und 18 Jahre alt sind, jedoch bei Weitem nicht nur alles um Schule und Ausbildung. Zwei- bis dreimal in der Woche stehen für die Bewohner gemeinsame Aktivitäten an, jeden Abend wird gekocht. An diesem Nachmittag geht es zusammen mit Milan Krieglstein mit sogenannten Sup-Boards in Richtung Wasser. Praktisch, dass der Fluss sozusagen direkt vor der Haustür liegt. Kurz darauf paddeln die Jungs auf den farbigen Brettern über den Fluss oder balancieren auf dem größten Board, hüpfen, kriechen untereinander hindurch oder versuchen, sich gegenseitig ins Wasser zu schubsen.

Es sind diese gemeinsam gemachten Erfahrungen, durch die Verständnis, Toleranz und Anerkennung füreinander geschaffen werden, wie Milan Krieglstein betont. Gerade auf Seiten der deutschen Jugendlichen habe es am Anfang durchaus Vorbehalte gegenüber anderen Nationen gegeben, meint er. Durch das Zusammenleben lernten sich die Bewohner jedoch besser kennen, und Vorurteile würden schnell entkräftet.

Am Erfolg wachsen

Darüber hinaus ist laut Milan Krieglstein nicht nur der Gemeinschaftsgedanke zentral für die Erlebnispädagogik. Die gemeinsamen Aktivitäten sollen auch Erfolgserlebnisse sein. Erlebnisse, wie etwa das Stand-Up-Paddling, können laut Krieglstein auf das Leben transferiert werden, nach dem Motto: „Ich komme wieder auf die Beine.“ Fähigkeiten und Stärken können die jungen Menschen hier zum Beispiel auch beim Hip-Hop-Festival, in der Holzwerkstatt oder beim Theaterspielen entdecken. „Das sind Situationen, an denen sie wachsen.“

Die Einrichtung in Bamberg-Bug ist für Emil Hartmann, Leiter des Don Bosco Jugendwerks Bamberg, ein Ort, an dem die Jugendlichen stark sein können. Hartmann war es, der das Konzept in Zusammenarbeit mit der Stadt umgesetzt hat. Die Bezeichnung „Kompetenzzentrum“ mag in den Augen des 63-Jährigen jedoch etwas irreführend sein. „Die Kompetenz liegt ja nicht bei uns, sondern bei den Jugendlichen.“

Dass Jugendliche aus schwierigen sozialen Verhältnissen leichter über Erlebnisse als über den Kopf angesprochen werden können, zeigt laut Emil Hartmann das Zirkusprojekt in Bamberg. In vielen Fällen hätten die Jugendlichen gar nicht gemerkt, wie viel sie dabei gelernt und mitgenommen hätten, berichtet der Pädagoge von seinen bisherigen Erfahrungen mit der Zirkuspädagogik. „Und es geht hier um viel mehr als um Kugellaufen.“ An diesen Erfolg soll jetzt auch in der Einrichtung in Bug angeknüpft werden. Gerade die Abgeschiedenheit des Ortes, die laut Hartmann zu Beginn für Bedenken gesorgt habe, birgt in seinen Augen viel Potenzial, das genutzt werden kann.

Ein Heiliger hat es vorgemacht

Damit die Jugendlichen zu ihren Stärken finden, ist es laut Emil Hartmann von größtem Wert, ihnen als Freund und Assistent zu begegnen sowie ihnen zu vermitteln: „Wir lassen euch nicht im Stich.“ Viele der Jugendlichen hätten in ihrem Leben nicht die Erfahrung machen dürfen, dass sie sich auf jemanden verlassen können, meint er.  Als Vorbild dient den Pädagogen hier der Ansatz Don Boscos, den jungen Menschen Wertschätzung entgegenzubringen. „Ein Heiliger, der es uns vorgemacht hat“, sagt Emil Hartmann und betont, dass der Ordensgründer mit diesem Ansatz schon damals seiner Zeit weit voraus gewesen ist. In diesem Sinne gibt es in den Augen des Jugendwerksleiters keine schwierigen Jugendlichen. „Es gibt nur schwierige Situationen.“ In den Einrichtungen gehe es darum, den jungen Menschen das Rüstzeug zu geben, um solche Situationen zu bewältigen. Milan Krieglstein macht das mit dem Bild eines Rucksacks deutlich. „Wir packen möglichst viel hinein.“ In Zukunft möchte Krieglstein die Jugendlichen zudem stärker als Tutoren miteinbeziehen, sodass sie demnächst eigenständig bestimmte Angebote im Haus durchführen. Das seien Erfahrungen, welche ihnen gerade im Berufsleben weiterhelfen können, meint der Wohngruppenleiter.

Aus Skeptikern Helfer machen

Wichtig ist den Pädagogen jedoch auch, dass die Bürger vor Ort stärker miteinbezogen werden. Sie haben den Eindruck, dass einige Bugener der Einrichtung weiterhin mit Skepsis gegenüberstehen. Ängste rühren daher, glaubt Emil Hartmann, dass die Nachbarn nicht wissen, um was für Jugendliche es sich wirklich handelt. Das wollen sie ändern.

In der Einrichtung an der Altenburger Straße hat das laut Hartmann gut funktioniert. Aus vormals besorgten und skeptischen Nachbarn seien viele neue ehrenamtliche Helfer geworden. Um das auch in Bug zu erreichen, möchte der Leiter des Jugendwerks in Zukunft gemeinsame Aktivitäten mit Jugendlichen aus der Stadt planen. Als Kooperationspartner sind Freizeiteinrichtungen und Schulen denkbar, mit denen Krieglstein bereits im Gespräch ist.     

* Name geändert

100 Jahre Don Bosco Jugendwerk Bamberg

Unter dem Motto „Fröhlich sein, Gutes tun und die Spatzen pfeifen lassen“ begeht das Don Bosco Jugendwerk in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag. Am 12.12.1919 begann mit Pater Georg Wagner die salesianische Jugendarbeit in Bamberg – zunächst jedoch ohne ein eigenes Gebäude. Schon zehn Jahre später herrscht im 1926 eingeweihten Canisiusheim ein blühender Oratoriumsbetrieb. 1931 übernehmen die Salesianer Don Boscos das St. Josefsheim von den Niederbronner Schwestern. 2000 fusionieren dann beide Einrichtungen zum Don Bosco Jugendwerk. Das Angebot der Einrichtung umfasst heute ambulante Dienste sowie teilstationäre und stationäre Angebote für Kinder, Jugendliche und Familien. Seit 1994 nutzt das Jugendwerk in der sozial- und heilpädagogisch-therapeutischen Arbeit mit jungen Menschen erfolgreich das Medium Zirkus.


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