Tore zum Glück

Fußball gegen Drogen und Gewalt

In Kolumbien sind Drogen und Kriminalität weit verbreitet. Der 17-jährige Andres Felipe will der Aussichtslosigkeit entfliehen. Seine Fußballbegeisterung und das Sportprojekt „Dad Bosco“ helfen ihm dabei.
  • Eduardo Leal

veröffentlicht am 30.06.2018

Wenn früh morgens die Sonne über Kolumbiens zweitgrößter Stadt Medellín aufgeht, beginnt das alltägliche Chaos auf den Straßen mit lautem Hupen, rußigen Abgasen und Zigtausenden Rollern und Mopeds. Gleichzeitig füllen sich die Gehwege mit wuselnden Massen, einschließlich vieler Leute in knallgelben Trikots der kolumbianischen Nationalmannschaft. Ganz egal, ob Freundschaftsspiel oder WM-Partie – die Leute lieben ihr Nationalteam, und so steht das Land immer größtenteils still, wenn die Cafeteros (so der Spitzname der Mannschaft) den Rasen betreten und das Match beginnt.

Ich bin auf dem Weg nach Robledo Aures, einem der vielen Slums, die in den letzten Jahren an den Hängen der Stadt gewachsen sind. Slums wie dieser entstanden durch die Landflucht infolge des jahrzehntelangen Bürgerkriegs bzw. durch Menschen, die versuchen, in der großen Stadt ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Diese schwierigen Gegenden sind nicht nur Heimat von Konfliktopfern und hart arbeitenden Leuten, sondern auch Brutstätte der Gewalt und der Gang-Kultur. In Robledo Aures treffe ich einen jungen Mann, der mithilfe des Sports eine völlig andere Zukunft anstrebt.

Andres Felipe* ist 17 und irgendwie schon zu groß für sein Alter. Er lebt hier zusammen mit seiner Mutter, seinem Stiefvater und einer jüngeren Schwester nur ein paar Minuten entfernt von der Ciudad Don Bosco, wo er sich unter der Woche überwiegend aufhält. Die Ciudad Don Bosco ist ein Komplex, der Hunderten von Kindern Unterkunft bietet und Jugendlichen aus Familien mit niedrigem Einkommen oder aus einem schwierigen Umfeld Bildungsangebote bereitstellt. Andres ist ein schüchterner Junge, der still auf seinem Platz sitzt und zum Unterricht beiträgt – ganz im Gegensatz zu vielen anderen Jungs, die herumtoben, laute Musik hören und im Unterricht schlafen. Andres erzählt: „Die Ciudad Don Bosco bedeutet mir sehr viel. Wir können dort nicht nur lernen, sondern auch Sport treiben. Also mache ich natürlich so viel wie möglich in meiner Zeit hier.“  

Fußball als Gegenkonzept

Wie viele andere Jungs in Kolumbien ist Andres fußballverrückt. Wenn er mit seinen Freunden Fußball spielt, wird aus ihm, dem schüchternen Jungen, ein Anführer, der Gegner grätscht und seine Mannschaftskameraden kommandiert. Laut Carlos Mario Florez, dem Programmleiter in Ciudad Don Bosco, „bedarf es bei keinem ­anderen Spiel so viel Führungskraft, Teamwork, Strategie und Taktik; alles Dinge, die einem auch im Leben weiterhelfen“.  Aus diesem Grund hat Florez das Programm „Dad Bosco“ ins Leben gerufen, ein Fußballprojekt der Ciudad Don Bosco, das junge Menschen vor den Gefahren des Lebens in den Slums schützen soll. Durch den Mangel an Führung und Vorbildern sind sie dort häufig Gewalt,
Prostitution, organisiertem Verbrechen, Drogenhandel und -missbrauch sowie der Gefahr von Schwangerschaften im Teenageralter ausgesetzt. Florez ist überzeugt, dass das Fußballspielen sie nicht nur beschäftigt, sondern dass es auch die Lebenswirklichkeiten der Jungs beeinflussen und verändern kann, die in Don Bosco unterrichtet werden.

Am nächsten Morgen steht Andres auf dem Dach seines Hauses und balanciert einen Ball auf seinem Kopf. Er fängt an, zu erzählen: „Fußball bedeutet mir alles! Am liebsten möchte ich immer nur Fußball spielen. Es ist quasi meine Medizin! Wenn ich gestresst bin, Probleme habe oder krank bin, spiele ich Fußball und es geht mir wieder gut.“ Dann zeigt er auf eine Stelle weit hinten in der Stadt und sagt: „Eines Tages will ich da spielen.“ Gemeint ist das Atanasio Girardot Stadion, das Zuhause von Atletico Nacional, der stärksten kolumbianischen Vereinsmannschaft. Wie so viele Teenager in Kolumbien möchte Andres eines Tages Fußballprofi werden.

Endlich Wochenende! Aber das heißt nicht, dass Andres jetzt alle Zeit der Welt hat, an seinem Traum zu arbeiten. Stattdessen hilft er an den Wochenenden seiner Mutter im Haushalt und geht seinem Stiefvater beim Bau ihres künftigen eigenen Hauses zur Hand. Auf der Baustelle schleppt Andres Sandsäcke, während direkt neben ihm gleichaltrige Jungs abhängen und Drogen konsumieren. Laut einer Regierungsstatistik sind 52 Prozent der Arbeitslosen in Kolumbien zwischen 18 und 26 Jahre alt. Die Mischung aus viel freier Zeit und dem Mangel an Zielen macht sie anfällig für Drogenmissbrauch oder das Leben als Mitglied einer Gang. Bei einem derartigen Umfeld ist es kein Wunder, dass Andres’ Eltern versuchen, ihn so viel wie möglich zu beschäftigen. Aber Andres hat auch immer noch Zeit für die normalen Dinge, die Teenager so machen, wie z. B. mit seiner Freundin abhängen, Verwandte besuchen und natürlich fürs Kicken mit seinen Kumpels.

Ein klares Nein zu Drogen

Wir laufen zusammen auf einer kleinen Straße in Richtung eines der betonierten Bolzplätze in seiner Nachbarschaft. Ich frage ihn, ob er jemals Drogen genommen hat. „Nein, weil ich darin keinen Sinn sehe. Man versucht dadurch ja nur, die Realität auszublenden. Am Anfang, als ich meine Freunde kennenlernte und einige von ihnen auch Drogen nahmen, haben sie mich eingeladen, mitzumachen. Aber ich habe immer Nein gesagt. Auch schaden Drogen ja dem Körper, was wiederum fürs Fußballspielen schlecht ist. Der Sport hat mir also quasi geholfen, mich von Drogen fernzuhalten“, erzählt er. Am Bolzplatz angekommen, schließt sich Andres sofort seinen Freunden an, die bereits spielen. Wieder einmal leuchten seine Augen und er wird zum Kommandanten, der das Sagen auf dem Feld hat. Hier ist Andres in seiner natürlichen Umgebung.

Ein paar Tage später bin ich wieder in der Ciudad Don Bosco. Heute sind Prüfungen, was auch erklärt, warum es in der Schule so ungewöhnlich still ist. Es findet kein Unterricht statt. Trotzdem sehe ich Andres und seine Klassenkameraden auf einem Fußballfeld ganz in der Nähe des Rektorats. Dort werden die Jungs heute von einem Trainer der örtlichen Sportagentur „Inder“ in Taktik geschult. „Andres Felipes Fall ist ungewöhnlich, er ist die Ausnahme von der Regel“, erläutert Carlos Mario Florez. Seine Vision für das Fußballprogramm „Dad Bosco“ sieht vor, so viele Andres wie nur möglich
heranzubilden, um dadurch andere zu inspirieren, seinem Beispiel zu folgen und sich von Drogen und Kriminalität fernzuhalten. Das Ziel heißt, jede Menge Tore zum Glück zu schießen.    
* Name geändert

Mehr Informationen über die Arbeit der Salesianer Don Boscos und der Don Bosco Schwestern in Kolumbien bei Don Bosco Mission Bonn, Don Bosco Mission Austria und der Missionsprokur der Don Bosco Schwestern.

Ciudad Don Bosco

Die Ciudad Don Bosco in der kolumbianischen Stadt Medellín ist eine Einrichtung der Salesianer Don Boscos für benachteiligte Kinder und Jugendliche und besteht seit 1965. Jungen und Mädchen können hier lernen, Sport treiben, an Workshops und Freizeitaktivitäten teilnehmen oder auch eine Berufsausbildung absolvieren. Das Fußballprojekt „Dad Bosco“ richtet sich vor allem an Jugendliche aus den Slums. Mit Bildung und regelmäßigen Fußballtrainings sollen die Jugendlichen davor bewahrt werden, Drogen zu nehmen und in die Kriminalität abzurutschen.


Verwandte Themen

Sportplatz mit Bild von Friedenstauben auf einer Mauer
Geraubte Kindheit
Catalina und Manuel haben als Kindersoldaten in Kolumbien Gewalt und Leid erfahren. Mit Hilfe von Don Bosco fanden sie in ein normales Leben zurück.
Pater Eric Franck im Studio von Radio Don Bosco auf Madagaskar
Bildung im Radio
Seit mehr als 20 Jahren versorgt das Radio Don Bosco die Menschen auf Madagaskar mit Nachrichten, Kultur und religiösen Beiträgen. Ein wichtiger Auftrag in einer der ärmsten Regionen der Welt.
Bus mit Team von Don Bosco Fambul in Sierra Leone
Hilfe für Straßenkinder
In Sierra Leone leben Tausende Kinder auf der Straße. Viele haben ihre Familien während der Ebola-Krise verloren. Das Don Bosco Mobil sucht die Straßenkinder an ihren Plätzen auf und bringt ein wenig Abwechslung in ihren harten Alltag.