Heikles Thema

Mit den eigenen Kindern über Sexualität sprechen

Wie redet man am besten mit den eigenen Kindern über sexuelle Themen? Einige Eltern sind ganz offen, andere tun sich schwer. Manchen ist es peinlich, für andere selbstverständlich. Wir haben Betroffene und Fachleute gefragt, wie es funktioniert.

veröffentlicht am 24.05.2021

Mit den eigenen Kindern über Sex sprechen – wann und wie klappt das am besten?

Michael Pfeifer

Für wichtige Fragen machen Kinder keinen Gesprächstermin. Fragen kommen, wann sie kommen. Nun können Eltern zwar Zeit für Gespräche einrichten, in einem Familienrat oder beim Essen. Oder abends an der Bettkante steigt etwas auf und man redet in Ruhe und mit der nötigen Zeit. Aber Eltern werden auch immer wieder unkonventionell überrascht: „Geografie heißt ja Erdkunde. Was heißt dann eigentlich Pornografie?“ So unvermittelt, so uneindeutig kann der Gesprächsvorstoß sein. Drei Gedanken, die ich dem Reden über Sexualität zugrunde legen möchte:

  1. Ganz unabhängig von der Elternrolle: Wann reden wir als Erwachsene mit Erwachsenen eigentlich über die eigene Sexualität? Meiner Erfahrung nach haben wir darin wenig Übung. Nehmen Sie es sich nicht selbst übel, wenn Sie Worte suchen. Ich kann als Person sicher stehen und erkennbar sein mit der eigenen Unsicherheit, wenn ich immerhin schon weiß, was ich sagen will. Unsicherheiten bei der Formulierung kann ich aussprechen: „Ich suche die richtigen Worte, weil ich über das Thema selten rede. Wir können ja beide rückfragen, dann verstehen wir uns besser, oder?“
  2. Kinder und Heranwachsende gehen auf eine aufregende Suche, wenn es um ihre Sexualität geht. Als Eltern sind wir nicht die primäre Informationsquelle unserer Kinder bei diesem Thema. Es bricht in eher unpädagogischen Situationen und mit anderen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern auf. Es ist einfach so: Altersgenossen und das Internet spielen dabei oft eine Rolle.
  3. Einen guten, klaren Ton treffen einige Bücher. Empfehlen kann ich zum Beispiel „Klär mich auf – 101 echte Kinderfragen rund um ein aufregendes Thema“ von Katharina von der Gathen und Anke Kuhl (Klett Kinderbuch Verlag). So ein Buch kann einfach in der Wohnung liegen und greifbar sein. So machen Sie den eigenen Kindern ein gutes und sensibles Angebot. Ob ein Gespräch folgt, worüber genau und mit wem – das werden die Kinder entscheiden.

Michael Pfeifer, Leiter der Katholischen Ehe-, Familien- und Lebensberatung Dresden

Mit Kindern über Sexualitat sprechen – welche Erfahrungen haben Sie damit in Ihrer Familie gemacht?

Roman Dietler

Mit Kindern über Sex zu reden, ist für mich als Vater das Normalste auf der Welt. Ich rede mit ihnen ja auch darüber, wie man sich auf der Straße richtig verhält, wie man mit dem Internet umgeht, worauf man bei einem Stadionbesuch achtgeben muss und wie man auf einem großen Bahnhof den richtigen Zug findet. Das ersetzt sicher nicht die Bedeutung von Sexualerziehung in der Schule, das Gespräch der Kinder und Jugendlichen mit Gleichaltrigen und auch nicht das berühmte „Bravo-Heft“. Denn wie in den meisten Lebensbereichen ist es gut, mehrere Lehrende zu haben.

Und was ist die Alternative, wenn wir Erwachsenen nicht mit Kindern über Sex reden? Es wird ein sagenumwobenes, geheimnisvolles „Etwas“. Ein Bereich, der mit überhöhten Erwartungshaltungen oder gar Ängsten überfrachtet ist und in dem man sich nicht selbstbewusst und selbstbestimmt bewegen und altersgerecht entwickeln kann. Das Miteinander-Reden auch über dieses Thema gehört daher für mich zu den Startvoraussetzungen für ein erfülltes und gelungenes Leben.

Roman Dietler, Diakon, Vater von drei Kindern zwischen 8 und 13 Jahren, Wien

Wie sollten Eltern mit ihren Kindern über sexuelle Themen sprechen, um sie vor Grenzverletzungen zu schützen?

Michael Kröger

Kinder fangen schon recht früh an, Fragen zu Zeugung, Schwangerschaft und Geburt zu stellen. Grundsätzlich ist es gut, wenn Eltern den Fragen ihrer Kinder gegenüber offen sind. Dadurch signalisieren sie, dass Sexualität etwas ganz Normales ist und zum alltäglichen Leben dazugehört wie vieles andere auch. Wenn Fragen aufkommen, sind Kinder auch bereit für ehrliche Antworten. Dabei ist die Sorge, die Kinder zu überfordern, meist unbegründet. Zum einen speichern Mädchen und Jungen die Antworten als reine Sachinformationen ab – sie haben noch keinen moralischen Kompass, und gehen mit Körperlichkeit wertfrei um. Auch können sie sehr gut steuern, wie viel sie denn wissen wollen, und während die Erwachsenen in ihren Antworten noch gerne ausholen möchten, zieht sich das Kind schon zurück – und kommt Stunden, Wochen oder Monate später mit der nächsten Frage. Diese grundsätzliche Offenheit dem Thema Sexualität gegenüber ist bereits ein wichtiger Baustein für den Schutz vor sexuellen Grenzverletzungen.

Ein weiterer grundsätzlicher Baustein ist, dass Mädchen und Jungen nicht zu blindem Gehorsam gegenüber Erwachsenen erzogen werden, da dieser es übergriffigen Personen viel zu leicht macht, Grenzen zu verletzen und Geheimhaltungsdruck zu erzeugen.

Konkret sollten Eltern mit ihren Kindern über „gute“ und „schlechte“ Geheimnisse sprechen. „Gute“ Geheimnisse, wie das Geschenk für die Mama, das unter dem Bett versteckt wird, dürfen geheim bleiben – aber wenn ein Geheimnis belastend ist, ein schlechtes Bauchgefühl erzeugt oder Ähnliches, so darf sich ein Kind jederzeit an eine Vertrauensperson wenden. Hilfe holen ist kein Petzen.

Ein abschließender Punkt mag recht banal erscheinen, ist aber elementar wichtig: Damit Mütter und Väter ihre Kinder verstehen, müssen sie ihnen zuhören. Das fällt uns Erwachsenen im Alltagsstress nicht immer leicht.

Michael Kröger, Referent für Sexualpädagogik und Prävention sexualisierter Gewalt bei der Aktion Jugendschutz, Landesarbeitsstelle Bayern

Ist die Schule der richtige Ort, um mit Kindern über Sex zu reden?

Constanze Klemens

Aufgabe der Primarstufe ist es, den Schülerinnen und Schülern eine positive Grundeinstellung zum Thema Sexualität zu vermitteln. Dazu gehören mehrere Teilbereiche, wie beispielsweise der menschliche Körper inklusive der korrekten Bezeichnungen der Geschlechtsteile, Liebe und Partnerschaft, Unterschiede zwischen Mann und Frau, der Akt der Fortpflanzung und die damit verbundenen biologischen Vorgänge sowie die Entstehung neuen Lebens.

Objektiv betrachtet, ist somit die Sexualität ein äußerst wichtiges Sachthema und Teil der Grundbildung eines Menschen. Nicht nur in meiner Rolle als Volksschullehrerin, sondern auch persönlich bin ich davon überzeugt, dass die Schule auf jeden Fall der richtige Ort ist, um mit Kindern über Sex zu reden. Als Lehrperson habe ich eine Vorbildrolle und kann damit durch eine offene, wertschätzende Haltung eine positive Grundeinstellung zu dem Thema vermitteln. Einige Kinder haben möglicherweise weniger Hemmungen, Fragen zu stellen, da sie die Schule einerseits als neutralen Ort des Lernens wahrnehmen, andererseits sehen sie auch, dass andere Kinder in dem Alter dieselben Fragen, Sorgen oder Unsicherheiten mitbringen.

In den letzten Jahren habe ich außerdem beobachten können, dass Kinder heutzutage – unter anderem durch digitale Medien – immer früher in Kontakt mit dem Thema Sex kommen. Umso wichtiger finde ich es, Schülerinnen und Schüler aufzuklären, bevor sie sich im Internet falsche Informationen holen.

Schließlich sind meiner Meinung nach diese Faktoren besonders wesentlich: Zusammenarbeit mit den Eltern, offene Gesprächskultur und eine natürliche Vermittlung der Thematik.

Constanze Klemens, Volksschullehrerin, Wien

Mit dem eigenen Kind über Sex sprechen – wie klappt das bei Ihnen in der Familie?

Bei uns funktioniert das sehr gut. Wir haben ein gutes Vertrauensverhältnis. Das liegt sicherlich daran, dass wir schon sehr früh angefangen haben, mit unserem Sohn über die Sexualität zu sprechen und ganz natürlich damit umgegangen sind. Wir haben ihm sehr früh gesagt, wie die Geschlechtsorgane heißen, und zwar mit der richtigen, medizinischen Bezeichnung. Wir haben uns nie geschämt, sondern mit ihm genauso darüber gesprochen wie wir über andere Dinge.

Wir schämen uns auch selbst nicht, sind offen, zeigen uns nackt. Das hat dazu geführt, dass auch unser Sohn keine unangemessenen Schamgefühle entwickelt hat. Der Körper ist für ihn etwas ganz Natürliches. Man könnte sagen, wir nehmen unsere Sexualität so an wie sie von Gott gegeben ist.

Wir beantworten jede Frage, die unser Sohn stellt. Dabei fällt uns auf, dass die Jugendlichen über alles, was es im sexuellen Bereich gibt, wahnsinnig gut informiert sind. Sie erzählen sich das gegenseitig, lesen im Internet. Wenn unser Sohn etwas ins Lustige zieht, versuchen wir, sachlich und objektiv darüber zu sprechen. Er soll vorurteilsfrei aufwachsen, zum Beispiel in Bezug auf unterschiedliche sexuelle Orientierungen, soll niemanden diskriminieren. Inzwischen bespricht er sich natürlich häufiger mit Gleichaltrigen. Aber er kommt immer wieder mit einer Frage oder einem Thema, das er besprechen möchte, auf meinen Mann oder mich zu – seit etwa einem Jahr eher auf meinen Mann. Männerspezifische Themen bespricht er mit ihm.

Ich muss dazu sagen, dass mein Vater Arzt war. Wir haben zuhause beim Mittagstisch über medizinische Themen gesprochen, und meine Eltern sind immer sehr offen mit ihrem Körper umgegangen. Bei meinem Mann war es ähnlich.

Ich weiß von Kindern, die ihre Eltern noch nie nackt gesehen haben. Aus meiner Sicht ist es eine Frage der Entscheidung, wie man sein Kind erziehen möchte. Wenn man sich entscheidet, offen zu sein, lernt auch das Kind, frei, offen und selbstbestimmt mit seinem Körper umzugehen.

Mutter eines 15-jährigen Sohnes

Wozu braucht es Ihre Workshops – wo sich doch Kinder und Jugendliche überall über Sex informieren können?

Elisabeth Wiedenhofer

Obwohl heute viel offener mit dem Thema Sexualität umgegangen wird, kursiert immer noch viel Halb- und Falschwissen und oft bleiben Ängste und Unsicherheit.

In unseren verschiedenen Workshopangeboten vermitteln wir altersangepasst aktuelles, biologisch korrektes Fachwissen, das aber nicht theoretisch und nüchtern daherkommt, sondern durch unsere spezielle Didaktik und unsere Materialien die Emotionen der Kinder und Jugendlichen anspricht. Unser Ziel ist es, die Kinder für ihren Körper zu begeistern und sie zum Staunen zu bringen. Es ist nichts peinlich, sondern sie erfahren, wie spannend die Vorgänge im Körper sind, die sie ja an sich selber in der Pubertät erleben. Während sie in unsere Mitmach-Workshops eintauchen, wächst „ganz nebenbei“ ihre Sprachfähigkeit und ihr Fachwissen. Sie erfahren, wie ein neues Leben entsteht und wie einzigartig und wertvoll jeder Mensch ist. Das ist Prävention im besten Sinne, denn: „Nur was ich schätze, kann ich schützen“.

In den Kursen für Jugendliche kommt das Thema Verhütung dazu – auch hier gibt es durchaus  Wissenslücken. Neben der anschaulichen Weitergabe von wichtigem Basiswissen zur gemeinsamen Fruchtbarkeit ermutigen wir die Jugendlichen dazu, abzuwägen und eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen. Unserer Erfahrung nach ist es sehr wichtig, die Jugendlichen in ihren Überlegungen und Fragen ernst zu nehmen und ihnen zu vermitteln, dass man ihnen zutraut, diese Schritte ins Erwachsenenleben gut zu bewältigen.

Elisabeth Wiedenhofer, Vorstandsvorsitzende von MFM Deutschland e.V., Anbieter des sexualpädagogischen Programms „My Fertility Matters“

Wie arbeiten Sie mit Jugendlichen, die sexuelle Grenzverletzungen begangen haben?

Thomas Herrmann

Wir arbeiten auf dem Helenenberg in stationären Therapiegruppen mit Jugendlichen, die sexuelle Grenzen verletzt haben beziehungsweise übergriffig geworden sind. Zusätzlich sind wir ambulant in der Region Trier tätig. Es gibt eine große Bandbreite an sexuellen Übergriffen und entsprechend verschiedene therapeutische Ansätze. Ein wichtiger Teil ist neben Einzelgesprächen die Arbeit in der Gruppe.

Zu den hier besprochenen Themen zählt sexualpädagogische Aufklärung, denn vielfach ist wenig Basiswissen über Themen wie Geschlechtsorgane, Pubertät, oder Verhütung vorhanden. Dann geht es darum Werte zu vermitteln: Wie gehen Menschen miteinander um? Was beinhaltet zärtliche Sexualität? Vielen unserer jungen männlichen Klienten fehlt es an geeigneten Vorbildern, sie haben so etwas in ihrer Familie nicht kennen gelernt. Manche hatten selbst traumatische Erfahrungen. Dazu kommt Pornografie, die ihnen eine verzerrte Realität widerspiegelt. Das führt häufig dazu, dass es bereits im Bereich Freundschaften nur wenige gelungene Beziehungen gibt. Wie Sexualität gelebt wird, davon haben diese Jugendlichen kein klares Bild.

In der Therapie versuchen wir, gemeinsam mit dem Klienten seine Gedankenwelt zu verstehen: Wo kommt er her? Was hat ihn zu seinem Fehlverhalten getrieben? Großes Ziel ist es, dass er Verantwortung für die eigenen Taten übernimmt, statt zu verdrängen oder zu verleugnen. Das ist eine große Chance, als Mensch zu wachsen.

Thomas Herrmann, Therapeutischer Dienst im Pinardihaus von Don Bosco Helenenberg in Welschbillig, Rheinland-Pfalz


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