Wunderwerk Mensch

Tabu oder völlig normal? Mädchen ganzheitlich ihre Menstruation erklären

Irgendwann kommt er – der Tag, an dem ein Mädchen zur geschlechtsreifen Frau wird. Das sexualpädagogische Programm „My Fertility Matters“ hilft Kindern und Eltern, offen, wertschätzend und ohne Scham über Fruchtbarkeit und den weiblichen Zyklus zu reden.

veröffentlicht am 25.04.2023

„Wie geht es Ihnen, wenn Sie daran denken, dass Ihre Tochter bald ihre erste Periode hat und Ihr Sohn seinen ersten Samenerguss? Verspüren Sie da eine enorme Vorfreude?“ Ein lautes Lachen geht durch die Aula des Gymnasiums Olching. 50 Eltern, darunter neun Väter, sind zusammengekommen, um sich über das MFM-Programm zu informieren. MFM steht für „My Fertility Matters“, übersetzt: „Meine Fruchtbarkeit zählt“, und wird vom gleichnamigen Verein als wertorientiertes sexualpädagogisches Projekt für Schulen angeboten – als Ergänzung zum Biologieunterricht.
 
Auch in den fünften Klassen des Gymnasiums Olching werden die Mädchen bald in der sogenannten Zyklusshow und die Jungen in dem Workshop „Agenten auf dem Weg“ mehr über ihren eigenen Körper erfahren. Vorab gibt es dazu immer einen Elternabend. Für Elisabeth Raith-Paula, Initiatorin dieses Programms, eine wichtige Ergänzung zu der direkten Arbeit mit den Jugendlichen: „Wir wollen den Eltern die Verantwortung nicht abnehmen, sondern sie unterstützen. Sie sollen wissen, worüber wir mit ihren Kindern reden und vor allem wie. Dann sind sie besser vorbereitet, wenn ihre Kinder von den Workshops nach Hause kommen, fühlen sich kompetent und können mit ihren Töchtern und Söhnen ganz anders über diese Thematik sprechen – ohne Scham, Unbeholfenheit oder einem Gefühl der Peinlichkeit.“
 
Denn all diese drei Emotionen sind vollkommen fehl am Platz, das macht Elisabeth Raith-Paula an diesem Abend immer wieder deutlich. Daher ist ihre Antwort auch: „Ja, Sie, liebe Eltern, können die erste Periode oder den ersten Samenerguss als bedeutendes Ereignis wahrnehmen. Denn die Geschlechtsreife ist nichts Negatives.“ Oft würden Eltern allerdings damit nur die Gefahren verbinden, führt die Ärztin weiter aus. Schreckensbilder von ungeplanten Schwangerschaften oder sexuell übertragbaren Krankheiten tauchten bei vielen Müttern und Vätern auf. Doch Elisabeth Raith-Paula rät dazu, bei den Kindern zuerst die positive Einstellung zum eigenen Körper zu stärken. Daher lautet der Leitgedanke von MFM auch: „Nur was ich schätze, kann ich schützen.“

Ein Umdenken bewirken

Und diese Wertschätzung des eigenen Körpers nimmt einen großen Raum bei den Workshops ein. Biologische Fachbegriffe werden zwar auch vermittelt, aber immer mit positiv konnotierten Pendants ersetzt. So werden in der Zyklusshow die Eierstöcke beispielsweise zu den Schatzkästchen und die inneren weiblichen Geschlechtsorgane zu der Bühne des Lebens. Denn wie wir über Dinge reden, habe einen großen Einfluss darauf, wie wir sie empfinden und bewerten, so Elisabeth Raith-Paula. Daher stellt sie den Eltern wieder eine direkte Frage: „Was denken Sie, wenn Sie das Wort ‚Östrogen‘ hören?“ Die Reaktionen sind verhalten. „Und was denken Sie, wenn Sie das Wort ‚Testosteron‘ hören?“ Jetzt wird wieder laut gelacht. „Merken Sie, was ich meine? Da läuft doch etwas schief! Die Männer feiern sich für ihr Testosteron, und das dürfen sie auch. Und wir Frauen? Was ist mit uns?“

Seit ihrer Doktorarbeit 1982 beschäftigt sich Elisabeth Raith-Paula mit den Vorgängen im weiblichen Körper, mit Fruchtbarkeit und auch mit dem Tabu der Menstruation, das sie leider immer noch nicht gebrochen sieht: „Es hat sich etwas verbessert, auch durch die Period-Positive-Bewegung, aber im Gros tun sich Frauen immer noch schwer, ihren Zyklus zu verstehen, zu akzeptieren und die Körperkompetenz ihrer Töchter zu stärken.“ Immer noch bestünde bei vielen das Vorurteil, dass die Menstruation eklig und schmutzig sei. Das untermauert auch eine Umfrage des Informationsportals Erdbeerwoche, nach der ein Großteil der österreichischen Jugendlichen die Periode uncool und peinlich findet. 60 Prozent der Mädchen gaben an, eine negative Einstellung zu ihrer Menstruation zu haben.
 
Die Ursache dafür liegt für Elisabeth Raith-Paula in einer verkürzten Sichtweise und einer starken Fokussierung auf die Blutung an sich. „Wenn die Frau ihre Tage hat, ist das ja nur ein kleiner Teil. Wenn wir unsere Mädchen nur auf dieses Ereignis vorbereiten, greift das zu kurz. Sie müssen stattdessen verstehen, was insgesamt in ihrem Körper passiert. Und auch die Eltern sollten ihnen einen Gesamtblick auf dieses Wunder ermöglichen. Dann kann sich das Tabu auflösen – in ein Staunen und eine Wertschätzung.“

Ein natürlicher Vorgang, der alle betrifft

Zurück zum Elternabend: Der Ton macht also die Musik. Östrogene sind in der Sprache von MFM die Freundinnen eines jeden Mädchens, weil sie die Gebärmutterschleimhaut mitaufbauen und alles für einen möglichen Gast vorbereiten. Und auch Ausfluss ist nicht „igittigitt“, sondern „ein super tolles Zeichen in meinem Körper für Fruchtbarkeit. Ausfluss ist nicht schlimm. Man ist deswegen nicht krank und muss auch nicht zum Arzt. Ohne den Ausfluss oder den Zervixschleim gäbe es uns alle nicht. Wenn die Mädchen das verstanden haben, dann finden sie ihn auch nicht mehr eklig. Aber das hat auch etwas damit zu tun, wie die Eltern damit umgehen und ihn erklären“, so Elisabeth Raith-Paula.
 
Etwa 400 Mal haben Frauen ihre Periode – von der Pubertät bis zu den Wechseljahren. Ein ganz natürlicher Vorgang, der nicht nur sie allein betrifft. „Auch in unserem Workshop für die Jungen kommt die Regelblutung als Thema vor, denn wir wollen auch bei ihnen Verständnis dafür wecken. Sie sollen die Mädchen nachher zum Beispiel nicht mehr auslachen, wenn sie einen Tampon dabeihaben, weil sie einfach wissen, was es damit auf sich hat. Wenn jedes Geschlecht vom anderen weiß, führt das generell zu mehr Natürlichkeit und mehr Respekt voreinander. Davon bin ich überzeugt.“
 
Sich im eigenen Körper auskennen und wohlfühlen und sich in der Familie ungezwungen über Fruchtbarkeit und den Zyklus austauschen – diese Ziele setzt sich MFM seit 1999. Dabei arbeitet der Verein eng mit den katholischen Bistümern zusammen, vor allem in Bayern und Baden-Württemberg. Doch auch in verschiedenen anderen europäischen Ländern wie Österreich, Frankreich oder England sowie in China und in den USA wird das Projekt angeboten. Ein Konzept also, das aufzugehen scheint. Bernadette, Mutter einer 10-jährigen Tochter, fühlt sich jedenfalls nach diesem Elternabend gewappnet: „Ich kann mir jetzt eher vorstellen, welche Fragen kommen könnten, und mich darauf vorbereiten. Außerdem sehe ich mich darin bestätigt, weiterhin offen für solche Gespräche zu sein.“

Period-Positive-Bewegung

Chella Quint ist die Gründerin der Period-Positive-Bewegung und des Hashtags #periodpositive. Ziel der Initiative ist es, mit Menstruationsmyhthen aufzuräumen und Periodenarmut zu bekämpfen. Das bedeutet, allen den Zugang zu Periodenprodukten zu ermöglichen. Viele Aktivistinnen und Aktivisten sind mittlerweile Teil der Bewegung.


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