Psychische Erkrankung

Wie umgehen mit traumatisierten Kindern? – Tipps für Eltern

Ein Unfall, der Tod eines Angehörigen, Krieg, Flucht oder auch jahrelange Vernachlässigung können Kinder und Jugendliche traumatisieren. Wie Eltern Traumata erkennen und was sie tun sollten – und was nicht. Infos und Tipps von Heilpädagogin Conny Steiner.

veröffentlicht am 30.05.2022

Ein Trauma erkennen 

Ein Trauma zu erkennen, ist für Laien schwierig (Definition, Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten: siehe Kasten unten). Die Erkrankung kann sich auf unterschiedliche Weise zeigen. Typische Auswirkungen sind Flashbacks, also das Wiedererleben, bei denen Kinder massiv auf etwas Bestimmtes reagieren. Das kann ein Gegenstand sein, ein Geräusch oder ein Geruch. Das Kind wird dann vielleicht nervös, fängt an zu schwitzen, wird unruhig. Oder es zieht sich komplett in sich zurück, reagiert mit einer Art Schockstarre. Das Kind ist dann nicht mehr ansprechbar ist, hat möglicherweise keine Erinnerung mehr an das, was es wenige Momente zuvor getan hat.

Letzteres wird als Dissoziation bezeichnet, ein Auseinanderfallen von psychischen Funktionen, die eigentlich zusammengehören. In so einem Fall sollten Sie genau hinschauen: Wie oft passiert das? Wie ansprechbar ist das Kind in dieser Situation? Wenn das Kind gar nicht mehr reagiert, in einer anderen Welt zu sein scheint, könnte das ein Anzeichen für ein Trauma sein.

Ein weiterer möglicher Hinweis: Traumatisierte Kinder haben oft ein großes Bedürfnis nach Kontrolle. Ein Kind, das traumatische Erlebnisse hatte, musste eine bestimmte Reaktion für sich erlernen. Fachleute reden von einem Überlebenskampf. Das Kind hat einen bestimmten Modus für sich entwickelt, in dem es ihm gut geht. Es bleibt beispielsweise unter dem Tisch sitzen oder hortet Nahrungsmittel. Oder es flippt massiv aus, um die Kontrolle über die Situation zu haben.

Hinschauen, ohne zu dramatisieren

Sowohl was Ihre eigenen als auch was fremde Kinder angeht: Schauen Sie hin, aber dramatisieren sie nicht. Traumatisierte Kinder können Ihnen überall begegnen, im Kindergarten, in der Schule, in der Nachbarschaft, beim Fußballverein. Seien Sie sensibel. Verurteilen Sie ein Kind nicht, weil es vielleicht anders ist als andere, sondern achten Sie genau darauf: Wann passiert das? Wie verhält sich das Kind sonst? Seien Sie hellhörig, ohne bei jedem Kind, das mal den Ball durch die Gegend donnert oder eine Tasse zerschlägt, gleich eine Traumatisierung zu vermuten. 

Verdacht beim eigenen Kind: Mit dem Kind sprechen

Wenn Sie bei ihrem eigenen Kind den Verdacht haben, dass es ein Trauma entwickelt haben könnte, sprechen Sie mit ihm. Voraussetzung ist, dass Sie eine gemeinsame Basis haben, sodass sie miteinander reden können. „Mir fällt auf, dir geht’s gerade nicht gut. Kann ich dir helfen?“, könnte der Einstieg in so ein Gespräch lauten. Was Sie auf keinen Fall tun sollten, ist nachbohren und das Kind drängen. Es muss selbst entscheiden können, ob und wann es über das möglicherweise Erlebte sprechen möchte.

Wichtig ist, dass das Kind spürt: Ich bin für dich da, ich gebe dir Rückhalt, egal was ist. Geben Sie Ihrem Kind Sicherheit. Akzeptieren Sie, wenn es nicht sprechen möchte, aber fragen Sie immer wieder nach, wie es ihm geht.

Bei Bedarf wenden Sie sich an einen Kinder- und Jugendlichenpsychiater oder einen ortsansässigen Therapeuten oder eine Therapeutin. Denn selbst therapieren können Sie Ihr Kind nicht. Sie sind zu nah dran an der Situation und möglicherweise auch emotional selbst zu stark betroffen.

Verdacht bei einem fremden Kind: Mit den Eltern sprechen

Wenn Sie bei einem anderen Kind einen Verdachthaben, suchen Sie zunächst das Gespräch mit dessen Eltern. Sie könnten zum Beispiel sagen: „Es tut mir leid, mir fällt da etwas auf. Ich weiß, dass ich damit vielleicht meine Kompetenzen überschreite, aber ich würde es gerne ansprechen“. Vielleicht gibt es eine ganz einfache Erklärung für das Verhalten des Kindes, vielleicht gab es gerade einen Todesfall in der Familie. Wenn die Eltern gar nicht gesprächsbereit sind, Sie komplett zurückweisen, können Sie sich an die nächste Stelle wenden, zum Beispiel den Kindergarten oder die Schule. Falls Sie ein ganz schlechtes Gefühl haben, empfehle ich einen Anruf bei einer Erziehungsberatungsstelle. Dort können Sie Ihr Problem schildern und um Rat bitten.

Das Kind schützen

Falls Ihr eigenes Kind ein Trauma entwickelt hat und der Auslöser bekannt ist, geben Sie Ihrem Umfeld einen Hinweis. Einen Unfall oder einen Todesfall können Sie gut erklären. Sie können die Situation zum Beispiel beim Klassenlehrer oder bei der besten Freundin thematisieren und um Rücksichtnahme und Verständnis bitten.

Bei einer nicht eindeutigen Traumatisierung, wenn also nicht bekannt ist, was vorgefallen ist, ist es schwieriger. Wurde das Kind überfallen oder sexuell angegangen und hat nichts davon erzählt? In diesem Fall sollten Sie sehr vorsichtig sein mit Hinweisen nach außen.

Was traumatisierte Kinder brauchen  

Das Wichtigste, was traumatisierte Kinder und Jugendliche brauchen, sind Vertrauen und Sicherheit. Verurteilen Sie bestimmte Verhaltensweisen nicht, sondern versuchen Sie, dem Grund für dieses Verhalten nachzugehen. Eine Erkenntnis aus der Traumapädagogik: Jedes Kind hat einen Grund, warum es so reagiert wie es reagiert.

Wenn ein Kind also beispielsweise essen klaut, schauen Sie genau hin: Was klaut es? Wann tut es das? Klaut es vielleicht, weil es zuhause nie genug zu essen bekommen hat und es lebenswichtig war vorzusorgen? Ungewöhnliche oder seltsame Verhaltensweisen sind in diesem Fall nur Symptome. Entscheidend ist, warum die Kinder so reagieren.

Das geschieht in der Therapie  

Ein Trauma ist eine ernst zu nehmende Erkrankung, die behandelt werden muss. Betroffene können sich an Kinder- und Jugendlichenpsychiaterinnen und -psychiater oder ortsansässige Therapeutinnen und Therapeuten wenden. Diese arbeiten stundenweise mit dem Kind. Wie viele Stunden bis zur Heilung nötig sind, hängt von verschiedenen Faktoren ab und sich lässt sich nicht allgemein sagen. In seltenen Fällen, meist in Verbindung mit anderen Erkrankungen, findet die Therapie stationär in einer Klinik statt.

Conny Steiner ist Heilpädagogin, Fachpädagogin für Psychotraumatologie und Systemische Familientherapeutin. Sie arbeitet im heilpädagogischen Fachdienst des Don Bosco Jugendwerks Bamberg.

Trauma: Definition, Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten:


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