Erziehen im Team
„Unterschiedliche Erziehungsstile sind normal“ – Interview mit Familienberaterin Julia Unger
Viele Eltern sind sich in Erziehungsfragen nicht immer einig. Familienberaterin Julia Unger vom Familienbüro im schwäbischen Wertingen gibt Tipps, wie Paare mit unterschiedlichen Stilen und Ansichten rund um die Erziehung zu einem gemeinsamen Weg finden.
veröffentlicht am 29.10.2025
Frau Unger, wie oft begegnet Ihnen das Thema „unterschiedliche Erziehungsstile“?
Sehr häufig. Eltern wollen gemeinsam an einem Strang ziehen, doch oft graben sie sich unbewusst gegenseitig das Wasser ab – vor allem in Trennungssituationen, wo eigene Interessen das Kind aus dem Blick rücken lassen.
Wie viel Unterschiedlichkeit verträgt ein Kind?
Ein gewisses Maß ist normal. Es treffen zwei Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen aufeinander. Wichtig ist, dass sie sich in wesentlichen Punkten einig sind – sonst entstehen Konflikte, die oft auf dem Rücken des Kindes oder der Kinder ausgetragen werden.
Was raten Sie bei Streit über Erziehungsfragen wie Medienzeiten oder Strafen?
Es braucht Kommunikation. Wenn ich mit einer Entscheidung des Partners nicht einverstanden bin, sollte ich das klären. Kinder kommen mit Unterschieden klar – solange Eltern sich bei Grundsatzthemen einig sind.
Welche Rolle spielt Kommunikation für eine funktionierende Erziehungspartnerschaft?
Eine sehr große. Wenn man Erziehungsaufgaben fair teilen will, muss man akzeptieren, dass nicht alles nach den eigenen Vorstellungen läuft. Bei wichtigen Themen braucht es klare Absprachen.
Was sind typische Auslöser für Konflikte?
Oft Kleinigkeiten: Schokolade ja oder nein, Fernsehdauer. Meist steckt mehr dahinter – etwa das Gefühl, nicht gesehen oder ungerecht behandelt zu werden. Klassische Rollenverteilungen spielen dabei oft eine Rolle.
Wie können Eltern Unterschiede konstruktiv nutzen?
Indem sie die Perspektive wechseln und sich fragen: Was braucht unser Kind? Warum ist mir ein Thema so wichtig? Reden hilft, um Beweggründe nachvollziehbar zu machen – etwa wenn der Vater eine Filmtradition fortführen will oder die Mutter auf frühes Zubettgehen besteht, weil sie morgens allein die Kinder weckt.
Wie wirkt sich Uneinigkeit auf Kinder aus?
Wenn Konflikte nicht zu groß sind, kommen Kinder gut klar. Sie entwickeln ein Gespür für die Regeln bei Mama und Papa. Aber wenn Streit eskaliert, geraten sie in einen Loyalitätskonflikt.
Gibt es Phasen, in denen Uneinigkeit besonders belastet?
Nicht unbedingt. Idealerweise sprechen Eltern bereits vor der Geburt über Aufgabenverteilung. Wenn Kinder erleben, dass Mama und Papa offen miteinander reden, lernen sie früh einen gesunden Umgang mit Konflikten.
Wann sollten sich Eltern Hilfe holen?
Je früher, desto besser. Dann haben sich destruktive Muster noch nicht verfestigt. Manche reagieren früh und reflektiert, andere erst, wenn Kinder auffällig werden.
Wie erleben Sie junge Eltern heute?
Viele sind verunsichert. Früher wuchsen Kinder in Großfamilien auf und hatten früh Erfahrung mit Babys. Heute fehlt vielen Frauen der Kontakt zu Säuglingen vor dem eigenen Kind. Gleichzeitig gibt es durch soziale Medien unzählige, teils widersprüchliche Erziehungsratschläge – das verunsichert zusätzlich. Bedürfnisorientierte Erziehung ist dabei ein guter Ansatz, wenn sie die Bedürfnisse aller – Kinder wie Eltern – in den Blick nimmt.
Sozialpädagogin Julia Unger leitet das Familienbüro im nordschwäbischen Wertingen – eine Kooperation der St. Gregor Jugendhilfe und der Stadt. Sie ist verheiratet und Mutter von drei Kindern im Teenageralter.
Dos and Dont's bei unterschiedlichen Erziehungsstilen
Studien zeigen: Viele Eltern sind sich in einzelnen Erziehungsfragen nicht einig. Uneinigkeit muss kein Problem sein – Kinder können sogar davon profitieren, wenn sie in einem stabilen und respektvollen Umfeld aufwachsen.
Das hilft Kindern
- Klare Regeln im Alltag: Sie dürfen bei Mama und Papa ruhig leicht variieren.
- Respekt: Bei Meinungsverschiedenheiten sind beide Eltern gleich wichtig.
- Offene Kommunikation: Erklären, dass Menschen unterschiedlich denken dürfen.
- Verlässliche Bezugspersonen: Beide Eltern bleiben in ihrer Haltung berechenbar.
Das kann Kinder verunsichern
- Fehlende Orientierung: Sehr widersprüchliche Regeln können Kinder überfordern.
- Streit über Erziehungsfragen: Vor allem, wenn es vor dem Kind laut oder persönlich wird.
- Abwertung oder Ironie: Bemerkungen wie „Frag ruhig den Experten da drüben…“.
- Good Cop-/Bad Cop-Rollen: Wenn sie sich mit der Zeit verfestigen.
- Kind als Spielball: Wenn es zwischen den Eltern vermitteln oder Partei ergreifen muss.
Beratungsangebote für Eltern
bke-Elternberatung – Online-Beratung für Eltern und Jugendliche
Kess erziehen – Kurse und Workshops der Arbeitsgemeinschaft für katholische Familienbildung
elternsein.info – Infos zu Erziehung und Entwicklung des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen
Rat auf Draht auf elternseite.at – Online-Elternberatung von SOS Kinderdorf und ORF
familienberatung.gv.at – Beratungsstellen in Österreich




