Entwicklung

Was Kinder lernen, wenn sie alleine spielen

Wenn Kinder für sich spielen, verspüren Eltern oft den Drang, sich als Spielpartner anzubieten. Warum das nicht immer eine gute Idee ist und was das Alleine-Spielen besonders macht, erklärt Entwicklungspsychologin Sabina Pauen im Interview.

veröffentlicht am 05.02.2024

Kann jedes Kind alleine spielen?
Kinder unterscheiden sich darin, was für Rahmenbedingungen sie brauchen, um zu spielen. Manche sind sehr auf die Gesellschaft anderer angewiesen, andere spielen gerne mal alleine. Man kann von ganz früh an sehen, dass jedes Kind ein bisschen anders ist.

Ist das auch abhängig vom Alter?
Altersgebunden ist das Alleine-Spielen nicht. Wir können es schon bei Säuglingen beobachten und es reicht bis zum Erwachsenenalter. Grundsätzlich unterscheidet man verschiedene Spielformen bei den Kleinen, die typischerweise in bestimmten Altersstufen bevorzugt werden. Ein ganz kleines Kind kann fast besser alleine spielen oder mit einem Erwachsenen, der es anleitet, als mit anderen Kindern. Es verfügt noch nicht über ausreichende Fähigkeiten, sich in andere hineinzuversetzen. Und es kann noch nicht so gut sprachlich aushandeln, was als nächstes passieren soll.

Es folgt dann eine Phase, in der die Kinder jedes für sich mit eigenem Material spielen, aber immer wieder gucken, was der andere gerade macht. Vielleicht tauschen die Kinder im Sandkasten auch mal ein Förmchen oder eine Schaufel aus, aber jeder backt seinen eigenen Kuchen. Erst mit etwa drei bis vier Jahren kommt es zu koordiniertem gemeinsamem Spiel, was dann entweder ein Konstruktionsspiel, also gemeinsam etwas zu bauen, oder ein Rollenspiel sein kann. Das Rollenspiel wird anfangs jedoch lieber alleine geübt, indem das Kind beide Rollen übernimmt. So hat es alles unter Kontrolle und muss nicht dauernd auf die andere Seite reagieren.

Ist es wichtig, dass Kinder auch einmal ohne ihre Eltern, Freundinnen oder Freunde spielen?
Erzwingen kann man das schlecht. Anregungen, allein zu spielen, dürfen aber gerne angeboten werden. Auch sollte man achtsam sein, wann ein Kind sich gut alleine beschäftigen kann und dann nicht unnötig dazwischenfunken. Heute denken viele Eltern, das Kind müsse bespielt werden. Kostbare Momente, in denen man sich frei und vertieft mit irgendeiner Sache beschäftigt, gehen jedoch verloren, wenn man sofort dazwischenfunkt. Eltern sollten sich nicht zu viele Sorgen machen, wenn ein Kind auch mal alleine spielt. Das ist genauso eine wertvolle Form der Beschäftigung wie mit anderen spielen.

Was lernen die Kinder, wenn sie für sich spielen?
Wenn Kinder sich selbstständig mit der Umwelt auseinandersetzen, dann sind sie nicht abgelenkt durch soziale Reize. Sie können sich einer Sache ganz unbefangen widmen und sie in der Tiefe, in der Dauer und in der Art erforschen, wie es für ihren aktuellen Entwicklungsstand angemessen ist. Sobald eine andere Person dazukommt, nimmt sie erst mal ein Stück Aufmerksamkeit von dem Gegenstand der Betrachtung weg und lenkt sie auf bestimmte Aspekte der Situation. Es ist aber wichtig, dass Kinder sich auch mal ganz intern gesteuert ihrer Umwelt widmen dürfen.

Ist es genauso positiv, wenn sich ein Kind alleine mit einem Videospiel beschäftigt?
Bei Videospielen macht die Dosis das Gift. Wenn ich sehr viel Zeit nur mit dieser Art von Spielen verbringe, dann lerne ich, auf Impulse zu reagieren, die aus diesem Gerät kommen. Durch Cookies wird alles für mich mundgerecht gemacht, sodass ich mir gar nichts mühsam selbst erarbeiten muss. Das nimmt mir die Chance, mich intensiv mit einer Sache auseinanderzusetzen. Was ich gerade über Leute gesagt habe, die als Interaktionspartner ins Spiel kommen, gilt auch für so ein Gerät. Wenn sie zu oft dazwischenfunken, stört das die Entwicklung der Konzentration und Selbstwirksamkeit des Kindes.

Wie viel Beschäftigung alleine ist für Kinder normal?
Es kann passieren, dass ein Baby morgens wach wird und nicht sofort nach den Eltern ruft, sondern noch ziemlich lange zufrieden in seinem Bettchen liegt und sich mit seinen Füßchen beschäftigt oder vor sich hin brabbelt. Diese Form des Alleinspiels dauert mitunter bis zu einer halben Stunde, sofern das Kind kein aktuelles Körperbedürfnis hat. Man kann aber nicht generell erwarten, dass Babys sich immer selbst genug sind. Je komplexer das Spiel wird, je mehr man eintauchen kann in eine Spielwelt, desto länger wird auch die Zeitspanne, die man sich typischerweise allein mit der Sache beschäftigt. Deshalb haben ältere Kinder in dieser Hinsicht insgesamt auch einen längeren Atem als die ganz Kleinen.

Entscheidend für Eltern ist, genau hinzusehen und nur dann zu intervenieren, wenn das Kind wirklich einen Spielpartner braucht.

Porträt Sabina Pauen

Sabina Pauen ist Professorin für Entwicklungspsychologie und Biologische Psychologie an der Universität Heidelberg. Dort leitet sie die Psychotherapeutische Hochschulambulanz für Kinder und Jugendliche und forscht unter anderem zum Beobachtungslernen in der frühen Kindheit.


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