Frieden lernen

Von Antigewalt bis Zivilcourage: Wie Präventionsarbeit an Schulen gelingen kann

Ein friedliches Miteinander in Schule und Freizeit – das ist unter Jugendlichen nicht immer ganz einfach. Mobbing und Ausgrenzung stehen stattdessen auf der Tagesordnung. Das Münchener Gewaltpräventionsprojekt „zammgrauft“ will dem entgegenwirken.

veröffentlicht am 22.05.2025

Eine enge Unterführung, unübersichtlich und dunkel – und plötzlich steht da ein richtig unangenehmer Typ mit grauer Sweatshirtjacke, die Kapuze über den Kopf gezogen. Er brüllt: „Du bist in meinem Tunnel. Ich lasse dich nicht durch.“ Eine Situation, in die jeder im Alltag hineingeraten könnte. Im geschützten Seminar­raum des Polizeipräsidiums München geht von dem ­Angreifer jedoch keine Gefahr aus. Kriminalhauptkommissar Ralph Kappelmeier mimt zwar sehr überzeugend den Kriminellen, trotzdem ist es nur ein Rollenspiel. 

Etwa 20 bis 25 Lehrkräfte, Sozialpädagoginnen und -pädagogen sowie Polizeibeamtinnen und -beamte nehmen jeden Monat an der Fortbildung zum Präventionsprojekt „zammgrauft“ der Münchener Polizei teil. „2001 haben wir damit begonnen und seitdem ist die Nachfrage hoch“, erzählt Ralph Kappelmeier, der das Projekt mit­initiiert hat. „Ursprünglich wollten wir nur unsere eigenen Jugendbeamten mit dem nötigen Handwerkszeug für die Präventionsarbeit an Schulen ausrüsten. ‚zammgrauft‘ wendet sich an Schülerinnen und Schüler zwischen elf und 18 Jahren. Doch Prävention muss langfristig angelegt sein. Deswegen bilden wir jetzt auch ­interessierte Lehrkräfte und Sozialarbeitende aus.“

Wie zum Beispiel Andi, der als Sozialpädagoge an ­einem privaten Schulzentrum arbeitet. Er hat sich im Rollenspiel mit Ralph Kappelmeier einen hitzigen Schlagabtausch geliefert. Als Opfer im Tunnel wollte er nicht klein beigeben und schleuderte seinem Angreifer Sätze wie „Du hast mir ja noch immer keine runtergehauen.“ oder „Das überzeugt mich nicht. Jetzt wird’s absurd.“ entgegen. Das anschließende Fazit des erfahrenen Seminarleiters: „Das ist typisch Mann. Du wolltest ihm Paroli bieten, aber das ist gefährlich. Der Angreifer ist skrupellos. Im Gegensatz zu dir ist er es gewohnt, andere volle Kanne mit der Faust zu schlagen. Vielleicht hat er sogar ein Messer dabei.“

Strategien zur Deeskalation einüben

Franzi, die vorher an der Reihe war, hat schneller den Rückzug angetreten. „Für mich war das ein beklemmendes Gefühl“, beschreibt sie nachher in der Reflexion. „Ich hatte nicht die Kontrolle und sah für mich nur den Ausweg, den Tunnel schnell zu verlassen.“ Dafür bekommt sie von den Teilnehmenden Applaus, und Ralph Kappelmeier bestärkt dieses Verhalten: „Man selbst hält sich vielleicht für feige, aber eine Gefahr ist nicht dazu da, sie zu bekämpfen, sondern ihr aus dem Weg zu gehen. Jeder körperlichen Auseinandersetzung geht eine verbale voraus – und wenn man sich da zusammennimmt, ist schon viel erreicht, um das Ganze nicht eskalieren zu lassen.“

Sich selbst schützen und anderen friedlich und respektvoll begegnen – das ist das erklärte Ziel von „zammgrauft“. In der Fortbildung und später mit den Schülerinnen und Schülern fällt darunter eine breite Themenpalette. „Von Verständnis und Toleranz wecken über Grenzen setzen bis hin zu eine gute Gemeinschaft werden“, erläutert Ralph Kappelmeier. „Insgesamt hätten wir gerne ein gewaltfreieres, harmonischeres und besseres Miteinander.“

Was so einfach klingt, ist im Schulalltag Dauerkonfliktthema. „Gerade der Mobbingbereich. Da haben wir immer wieder Fälle“, berichtet Claudia, Lehrerin an einer Realschule. „Darüber hinaus gibt es regelmäßig Streitigkeiten unter den Schülern – sei es in der Pause oder im Unterricht. Ich finde es daher sehr hilfreich, hier Tipps zu bekommen, wie man das mit den Jugendlichen angehen kann. Wobei ich schon Respekt davor habe. Denn diese Übungen in der Praxis umzusetzen, ist noch einmal eine andere Nummer.“

Nachhaltig Spuren hinterlassen

Doch es lohnt sich. Das hat eine Studie der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität gezeigt, die das Projekt wissenschaftlich auf seine Wirkung hin untersucht hat. Mit dem Ergebnis: Die Rollenspiele hinterlassen nachhaltig Spuren bei den Schülerinnen und Schülern. Davon ist auch Christine überzeugt, die als Präventions- und Jugendverkehrsbeamtin täglich in Kindergärten und Schulen unterwegs ist: „Das kann man sehr gut einbauen. Wir werden damit nicht alle Seelen retten, aber die Übungen können definitiv einen Beitrag dazu leisten, dass die Kinder und Jugendlichen etwas vernünftiger miteinander umgehen.“

Das sogenannte „Punktespiel“ zielt genau darauf ab. Kriminalhauptkommissar Michael Riehlein, der die Fortbildung mitbegleitet, klebt dafür den Teilnehmenden farbige Punkte auf den Rücken. Jetzt müssen die jeweiligen Farbgruppen nonverbal zusammenfinden. Es entsteht ein wirres Durcheinander. Es wird gewunken, viel geschmunzelt, aber am Ende stehen alle farblich richtig sortiert beieinander. Nur Ronja weiß nicht, wohin. Irgendwann fragt sie: „Zu wem gehöre ich denn?“ Die Auflösung: Ronja hatte als Einzige schwarze Punkte am Rücken. „Mit diesem Gemeinschaftsspiel kann das Thema ‚Anders sein‘ sehr gut aufgegriffen werden“, führt Michael Riehlein aus. „War es Absicht, dass sie anders war? Konnte sie etwas dafür? Die Schülerinnen und Schüler werden das schnell mit Nein beantworten. Trotzdem gehörte sie nicht dazu.“

Ein kindgerechtes Rollenspiel, das schon in der Grundschule angewendet werden kann, denn dort ist die Polizei München ebenfalls mit einem Präventionsprojekt aktiv. „Das Pendant zu ‚zammgrauft‘ heißt ‚aufgschaut‘ und beinhaltet deutlich mehr Gemeinschafts- und Vertrauensübungen und deutlich entschärftere Rollenspiele“, erklärt Ralph Kappelmeier. „Außerdem wollen wir bei ‚aufgschaut‘ die Grundschulkinder gegenüber sexuellen Übergriffen stark machen. Das ist bei dem Projekt ein wichtiger Teilbereich.“ 

Kompetenzen vermitteln

Seit Bestehen beider Projekte wurden etwa 8.000 Trainerinnen und Trainer ausgebildet. Für Ralph Kappelmeier eine sinnstiftende Aufgabe: „Das ist eine tolle Arbeit. Die Leute kommen aus einer wunderbaren Intention heraus, denn sie wollen vorbeugend wirken und den Kindern Kompetenzen vermitteln. Du gibst Energie und die geben Energie zurück.“

Der Funken springt also über. ­Seminarleiter wie Teilnehmende eint eine Motivation: Sie wollen Kinder und Jugendliche in ihrer Persönlichkeit stärken und ihnen zugleich näherbringen, die Grenzen und Meinungen anderer zu akzeptieren und wertschätzend miteinander umzugehen. „Dafür sind Rollenspiele ein gutes Mittel. Sie müssen nicht immer so emotional packend wie der Tunnel sein. Auch mit kleinen angedeuteten Elementen kann ausreichend Gefühl erzeugt werden“, fasst Ralph Kappelmeier zusammen. „Die Reflektion mit den Schülerinnen und Schülern ist das Entscheidende, um es auf den Punkt zu bringen. Und der ist: mehr Frieden und ­Respekt im Alltag.“


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