Frauen und Finanzen
Kämpferische Finanzexpertin mit klarer Mission
Helma Sick will Frauen davor bewahren, Opfer von häuslicher Gewalt, Erniedrigung und Armut zu werden. Dafür müssen sie finanziell unabhängig sein. Mit unermesslicher Energie gibt die Betriebswirtin und Unternehmerin ihr Wissenweiter.
veröffentlicht am 03.07.2025
„Ich bin doch kein Aschenputtel!“ Helma Sick ist 14 Jahre alt, als sie ihrer Mutter diesen Satz entgegenschleudert. In ihm liegen viel angestaute Wut und Verletzung. Denn Helmas Mutter behandelt sie hartherzig, ungerecht und abwertend, während sie den älteren Bruder nahezu verehrt. Bis heute weiß sie nicht, wieso. Was das Fass an diesem Tag zum Überlaufen bringt, ist die Anordnung, ihrem großen Bruder die Schuhe zu putzen.
„Als ich mich geweigert habe, hat es meine Mutter gemacht. Sie – die so unbeugsam war und erfolgreich ein eigenes Geschäft führte“, sagt Helma Sick kopfschüttelnd. Damals schon erkennt sie den großen Unterschied zwischen Frauen und Männern. Das Verhältnis zu ihrem Vater ist vordergründig besser. Die Liebe, die ihre Mutter verweigert, erhält Helma von ihm im Überfluss. Doch dabei bleibt es nicht. „Er war leider sexuell übergriffig.“
Schon als Kind hört sie, versteckt unterm Ladentisch der Schreibwarenhandlung ihrer Mutter, wie viele Frauen unglücklich in ihren Ehen gefangen sind, ohne Möglichkeit, auszubrechen. Besonders erschüttert sie das Schicksal ihrer Tante, einer Bäuerin. „Sie wurde von ihrem Mann regelmäßig verprügelt und aus dem Haus geworfen. Nächtelang musste sie im Stall schlafen. Trotzdem ist sie bei ihm geblieben, denn sie war mittellos. Erst sein Tod brachte ihr ein besseres Leben.“
Als junge Frau spürt sie eine Wut, die sie beflügelt
Helma Sick ist eine der profiliertesten Stimmen im deutschsprachigen Raum, wenn es um Frauen und Finanzen geht. Es sind auch die bitteren Erfahrungen ihrer Kindheit, die einen Grundstein für ihr späteres Engagement legen. Bis heute ist ihr Antrieb, Frauen davor zu bewahren, Opfer zu werden – von häuslicher Gewalt, Erniedrigung und Armut. Sie ist überzeugt: Finanzielle Unabhängigkeit ist dafür die wichtigste Basis.
Als Helma Sick 1957 nach der Mittleren Reife ihr Dorf verlässt, um in München zu arbeiten, kommt sie dort mit der Frauenbewegung in Berührung. Begeistert sitzt sie in den Vorträgen und erhält lang ersehnte Antworten. Zum Beispiel auf die Frage, warum Frauen zwar in der Mehrheit sind, aber wie eine Randgruppe behandelt werden. Helma ist voller Wut, doch diese Wut ist nicht destruktiv, sie beflügelt.
Mit unerschöpflicher Energie arbeitet sich die junge Frau von der Bürohilfe bis zur Vorstandssekretärin beim größten Wohnbaukonzern Deutschlands hoch. „Ich wollte allen zeigen, dass ich nicht so bin, wie meine Mutter es mir eingeimpft hatte. Immer wieder hatte sie gesagt: ‚Du bist hässlich, du kannst nichts und aus dir wird nichts werden.‘“ Tatsächlich ist in allen Punkten das Gegenteil der Fall.
Enger Zusammenhang zwischen Gewalt, Abhängigkeit und finanzieller Not
Mit Anfang 30 heiratet Helma Sick einen Diplom-Chemiker. „Er konnte besser kochen als ich, hat im Haushalt mitangepackt und mich in meiner beruflichen Entwicklung unterstützt.“ Auch, als sie 1977 kaufmännische Geschäftsführerin eines der ersten deutschen Frauenhäuser werden will und die Verantwortlichen nicht nur überzeugt, die Stelle zu schaffen, sondern auch mit ihr zu besetzen.
Die Arbeit im Frauenhaus führt Helma Sick erneut vor Augen, wie eng der Zusammenhang zwischen Gewalt, Abhängigkeit und finanzieller Not ist. „Diese Frauen wurden nicht nur schwer misshandelt, die meisten hatten auch kein Geld.“ Einmal mehr wird ihr klar, dass ein selbstbestimmtes Leben nur möglich ist, wenn Frauen finanziell auf eigenen Beinen stehen. „Für die damalige Zeit war das ein neuer Ansatz, auf den ich in Vorträgen aufmerksam machte.“
Helma Sick verlässt das Münchener Frauenhaus, als sie 1982 ihren Sohn adoptiert. „Wir konnten keine eigenen Kinder bekommen. Ich war schon 41 Jahre alt, weshalb die Adoptionsstelle uns ermutigte, ein älteres Kind aufzunehmen. Sie zeigten uns einen vierjährigen Jungen, der schon einige Wechsel hatte ertragen müssen. Wir durften ihn unbemerkt beim Spielen beobachten, und mein Herz ist ihm zugeflogen“, sagt Helma Sick lächelnd.
1987 gründet sie ihre eigene Finanzberatung für Frauen
Von Anfang an gestaltet sich die Beziehung innig und liebevoll. Beide Eltern kümmern sich fürsorglich um ihren Sohn. Helma betreut ihn tagsüber, ihr Mann übernimmt abends. Sie nutzt die Elternzeit, um ein betriebswirtschaftliches Abendstudium zu absolvieren. „Ich hatte Kraft und Energie und ich wusste, dass es unserem Sohn an nichts fehlt.“
Als Helma Sick einen Artikel über eine Bremer Finanzberatung für Frauen liest, ist das der Anstoß, den sie braucht. 1987 gründet sie ihre eigene Finanzberatung „frau & geld“ in München. „Dass Frauen in Finanzangelegenheiten oft unsicher sind, hat einen guten Grund. Über Jahrhunderte hatten sie kein eigenes Geld, bis 1962 durften sie in Deutschland nicht mal ein Konto eröffnen.“ In Österreich war es zwar formal erlaubt, aber in der Praxis galten ähnliche Einschränkungen für verheiratete Frauen. Während Männer seit jeher Handel treiben und investieren, haben viele Frauen kaum Erfahrung darin.
Genau das will Helma Sick mit ihrer Finanzberatung ändern und stößt von Anfang an auf viel Interesse. Immer mehr Frauen suchen bei ihr Rat, neue Mitarbeiterinnen kommen hinzu, die Räume werden größer – und das Thema bleibt aktuell. 2004 steigt Renate Fritz ins Unternehmen ein, die Tochter von Helma Sicks Bruder. Seit 2022 gehört die Firma Renate Fritz, die das Unternehmen mit nun zehn Mitarbeiterinnen erfolgreich führt. Helma Sick übernimmt die Öffentlichkeitsarbeit, arbeitet immer noch drei Tage in der Woche. Ein Kreis, der sich versöhnlich schließt.
Nach der Scheidung beginnt für Sick ein neuer Lebensabschnitt
Täglich wenden sich Frauen jeden Alters und in unterschiedlichen Lebenslagen an die Beraterinnen von „frau & geld“. Vielen kann geholfen werden, jedoch nicht allen. „Tatsächlich ist es ab Mitte 50 nicht leicht, eine entstandene Rentenlücke zu schließen, wenn kein Vermögen da ist“, mahnt Helma Sick. Damit es nicht so weit kommt, richtet sich die Expertin besonders an jüngere Frauen. Seit vielen Jahren teilt sie ihr Wissen in Vorträgen, Artikeln, Büchern, Podcasts, Fernsehbeiträgen und auf Social Media.
Durch den beruflichen Erfolg gerät ihre Ehe in die Krise. „Jahrelang hatte mein Mann wie im Musical ‚My Fair Lady‘ den ‚Professor Higgins‘ gegeben. Nun erlebte er, wie ‚Eliza Dolittle‘ an ihm vorbeizog.“ Er beginnt, sie zu kritisieren, geht Affären mit jungen Frauen ein. 2001 reicht Helma Sick schweren Herzens die Scheidung ein. Damals ist sie 60, ihr Sohn schon aus dem Haus. Ganz unerwartet lässt die Trennung sie aufblühen – seelisch, aber auch körperlich. Nun hat sie Zeit, sich mit ganzer Kraft für das einzusetzen, was ihr wichtig ist: dass es Frauen gut geht.
Auf unterhaltsame, authentische und offene Art haucht sie trockenen Finanzthemen Leben ein und erzählt bildhafte Geschichten aus ihrer langen Beratungspraxis. „Lasst bei der Deutschen Rentenversicherung ausrechnen, was euch durch Teilzeit wirklich an Rente verloren geht“, appelliert sie. In Österreich bietet die Pensionsversicherungsanstalt vergleichbare Informationen. „Wo Mütter größere Ausfälle haben, sollten ihre Partner die Rentenlücke ausgleichen. So sind beide fair abgesichert.“
Tipps für junge Familien zu Elternzeit und Ehevertrag
Bei jungen Familien beobachtet Helma Sick eine erfreuliche Entwicklung: „Viele
Väter möchten sich gleichberechtigt ins Familienleben einbringen und nicht mehr überwiegend für das Einkommen zuständig sein.“ Die Finanzexpertin empfiehlt: „Elternzeit aufteilen – idealerweise je zur Hälfte. Danach mit jeweils 30 Stunden wieder einsteigen und später aufstocken. So entsteht kein einseitiger Nachteil – weder im Beruf noch bei der Altersversorgung.“
Und noch etwas ist Helma Sick wichtig: „Sichert euch für den Fall einer Trennung ab. Lasst euch frühzeitig beraten und schließt einen Ehe- oder Partnerschaftsvertrag. Behaltet den Überblick über eure Finanzen und achtet auf faire vertragliche Regelungen.“ Dazu zählt, in Deutschland keine Gütertrennung zu vereinbaren und in Österreich genau zu klären, wie gemeinsames Vermögen im Trennungsfall abgesichert ist. Viel zu oft hat sie erlebt, wie gut situierte Frauen nach einer Scheidung mit leeren Händen in ihrer Beratung saßen.
Doch nicht nur die Frauen sieht sie in der Pflicht. „Die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, die Gleichberechtigung ermöglichen. Dazu gehören mehr Betreuungsplätze, eine bessere Bezahlung und in Deutschland auch die Abschaffung des Ehegattensplittings.“ Auch in Österreich existieren Splittingmodelle wie etwa der Alleinverdienerabsetzbetrag. Solche Regelungen benachteiligen Frauen, indem sie Einverdiener-Konstellationen mit Steuerersparnissen belohnen.
Heute schreibt sie Artikel, gibt Interviews und hält Vorträge
Es sind solche alten Rollenmodelle, die in jüngster Zeit wieder mehr propagiert werden. Befeuert durch rechte Strömungen, die die Frau am Herd sehen wollen. Alice Schwarzer hat in dieser Beziehung mal von Wellenbewegungen gesprochen. Es geht vorwärts und wieder einen Schritt zurück. „In unsicheren Zeiten scheinen alte Konzepte verlässlichen Schutz zu bieten. Ein gefährlicher Trugschluss.“
Helma Sick ist 84 und kein bisschen müde. Vor drei Jahren hat sie das Bundesverdienstkreuz erhalten – stolz, dass ihr Engagement so gewürdigt wurde. Heute lebt sie mit ihrem Hund in einer Seniorenresidenz, bewegt sich gerne, genießt Zeit mit ihren Enkeln, schreibt Artikel, gibt Interviews, wird zu Podcasts eingeladen und hält Vorträge. „Ich habe viele Krisen gemeistert, meine Vergangenheit mit psychologischer Hilfe verarbeitet und reise deshalb sozusagen mit ‚leichtem Gepäck‘.“ Und so bleiben ihr noch viele Jahre, um ihre wichtige Botschaft in die Welt zu tragen.
Zum Weiterlesen
„Frau und Geld. Wie Frauen finanziell unabhängig werden“ von Helma Sick und Renate Fritz (Diana-Verlag, 2021)
„Aufgeben kam nie in Frage. Warum ich dafür kämpfe, dass Frauen ihr eigenes Geld haben“ von Helma Sick (Kösel-Verlag, 2018)
„Ein Mann ist keine Altersvorsorge. Warum finanzielle Unabhängigkeit für Frauen so wichtig ist“ von Helma Sick und Renate Schmidt (Kösel-Verlag, 2016)