Selbstbestimmt leben

In Frauenhäusern finden Frauen Schutz vor Gewalt

Zahlreiche Frauen erleben körperliche und psychische Gewalt durch ihren Partner – bis hin zur Gefahr für Leib und Leben. In Frauenhäusern finden Betroffenen Schutz und Unterstützung. Ein Besuch in einer Einrichtung in Salzburg.
  • Christine Wendel

veröffentlicht am 30.06.2019

Licht durchflutet den Eingangsbereich. Die Zimmer sind gelb gestrichen, die Möbel hell, freundlich. Und der Garten bietet nicht nur Wiese und Terrasse, sondern einen Panoramablick auf die Berge. Von außen sieht das Haus, dessen Adresse in Salzburg geheim bleiben muss, anders aus. Hohe Betonwände, Gestrüpp und Überwachungskameras lassen es wirken, als verberge sich dahinter ein Gefängnis. Doch im Gegenteil: Das Haus ist ein Zufluchtsort für Frauen, die versuchen, aus einer Gefangenschaft auszubrechen: aus einer Gewaltbeziehung.
Birgit Thaler-Haag arbeitet seit 21 Jahren im Frauenhaus in Salzburg, leitet es mittlerweile. Sie trägt eine schwarze Hose, einen roten Blazer und ein freundliches, warmes Lächeln. Sie hat schon viel gesehen und gehört. Ein Fall ist ihr in besonderer Erinnerung. Eine junge Frau wurde von ihrem Ehemann eingesperrt, per Kamera überwacht, von ihm mit massivster Gewalt sexuell missbraucht. Die Tatsache, dass er zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden ist, spreche für die Intensität der Tat. „Das war massiv“, sagt Thaler-Haag. Frauen wie diese zu unterstützen, das ist das Ziel ihrer Arbeit. 

Kaum eine kommt bei der ersten Ohrfeige

Oft geht eine lange Geschichte, ein langer Prozess voraus, bevor eine Frau versucht, sich aus einer gewalttätigen Beziehung zu lösen. „Kaum eine Frau kommt bei der ersten Ohrfeige oder dem ersten Schubs.“ Viele haben schon seit ihrer Kindheit Gewalterfahrungen gemacht. Und in ihren ersten Beziehungen dann wieder. „Das hat sich so fortgesetzt.“ Manche standen aber auch mitten im Leben. Und die Gewalt hat sich schleichend darin ausgebreitet. „Gewalt gegen Frauen geht durch alle gesellschaftlichen Schichten“, erklärt Thaler-Haag. Der Verlauf der Gewaltbeziehung ist immer ähnlich: „Am Anfang der Beziehung, wenn er sie zur Arbeit bringt und abholt, interpretieren Frauen das als: ‚Der liebt mich so sehr. Der will nur mit mir zusammen sein.‘ Erst später beginnen sie zu realisieren, dass das kein normales Verhalten ist.“ Dann habe er sie aber vielleicht schon von ihrem Umfeld isoliert. Er hat in etwa zu ihr gesagt, wenn sie mit einer Freundin weggehen wollte: „Mit allen triffst du dich, außer mit mir!“ Und wenn Freunde sich erkundigen, warum sie ihr Verhalten geändert habe: „Die wollen uns nur auseinanderbringen. Die sind dir dein Glück neidig.“ Nach und nach verliert sie den Kontakt zu Vertrauenspersonen. Seine Kontrolle, seine Macht wächst. Einige Männer nehmen den Frauen sogar ihre Bankkarte ab. Obwohl sie selbst Geld verdienen. „Du nimmst mich aus“, heißt es dann. Und die Häufigkeit von körperlicher Gewalt nimmt mehr und mehr zu. Oft reichen nur geringe Anlässe für Tritte, Schläge, Entwürdigungen. Die Frau falle oft schon in vorauseilendem Gehorsam in Anpassungsverhalten. „Das ist eine Überlebensstrategie.“ Sie schaut, dass die Kinder im Bett sind, dass das Essen ja richtig gewürzt ist. „Was muss ich tun, dass es ja nicht zum Konflikt und dann vielleicht zur Gewalt kommt?“ Und oft geben die Frauen sich selbst die Schuld. „Gewalt untergräbt das Selbstvertrauen“, erklärt die Leiterin des Salzburger Frauenhauses. „Die Frauen haben das Gefühl, sie sind nichts wert, haben alles falsch gemacht. Es ist ein persönliches Versagen von ihnen. Sie hätten sich mehr bemühen müssen.“

Thaler-Haag ist studierte Juristin. Nachdem sie ihre zwei Kinder bekommen hatte, tat sie sich schwer, wieder beruflich Fuß zu fassen. Bei einer Veranstaltung wurde sie zufällig auf das Frauenhaus aufmerksam. „Ich habe mich ohnehin nie in einer Anwaltskanzlei mit Geldoptimierung gesehen“, sagt sie. „Ich wollte etwas Sinnvolles machen.“ Ein Dreivierteljahr wartete sie dann auf einen Praktikumsplatz. Am Anfang sei sie etwas unsicher gewesen, da sie keinen psychosozialen Hintergrund hatte. Aber sie konnte ihr juristisches Fachwissen einbringen. Und sie machte viele Fort- und Weiterbildungen. Auch heute arbeitet sie trotz Leitungsfunktion noch in der Frauenberatung mit. „Ihnen ist nicht mit Mitleid geholfen“, erklärt sie dabei die Art, den Betroffenen zu begegnen. „Sie brauchen Unterstützung.“ Und sie müssten erst lernen, Vertrauen zu fassen. Zunächst erzählten sie die eher harmlosen Sachen. „Erst, wenn sie Sicherheit haben, dann kommen die heftigen Dinge.“ Als Beraterin dürfe man nicht abstumpfen, müsse jede wahrnehmen mit ihren individuellen Bedürfnissen und Erfahrungen. „Unser Ansatz ist: Empowerment, Ermächtigung“, erklärt die 54-Jährige. Die Frau soll die Möglichkeit haben, selbstbestimmt zu leben. „Viele Frauen, die kommen, sind schon überfordert mit der Frage: Kaffee oder Wasser? Sie sind es nicht gewohnt, nach ihrer Meinung  und ihren Wünschen und Bedürfnissen gefragt zu werden“, erklärt Thaler-Haag. „Wenn die Frauen aber beginnen, wieder Pläne zu haben, sich äußerlich zu verändern, wieder lachen können, Sicherheit gewinnen und sich als Person wertgeschätzt fühlen, dann haben wir unser Ziel erreicht.“

Wenn er nur sagt, er wollle das nie wieder tun, funktioniert das nicht

Dazu gehöre aber auch, Entscheidungen der Frauen mitzutragen, die die Beraterinnen selbst nicht für richtig halten. Rund 20 Prozent der Frauen kehren in ihre Beziehung zurück – oft in den ersten 14 Tagen, „weil sie das Gefühl haben, sie müssen ihm noch eine Chance geben“. Sie wollten schließlich nur, dass die Gewalt endet. Er hätte ja auch seine guten Seiten. Er werde sich ja ändern, er habe es versprochen. Natürlich könne dies auch gut gehen, erklärt Thaler-Haag. Doch erfordere dies eine sehr harte Arbeit seinerseits, das gehe nicht von heute auf morgen. Das Absolvieren eines Antigewalttrainings etwa dauere neun bis zwölf Monate. „Wenn er nur sagt, ich will das nie wieder tun, funktioniert das nicht.“ Bei den meisten der zurückkehrenden Frauen handelt es sich um den ersten Trennungsversuch. Alles, was danach folgt, liegt im Ermessen der Betroffenen. „Wir sagen den Frauen, bitte melden Sie sich, wir wünschen Ihnen, dass es Ihnen gut geht.“ Viele suchten auch später wieder den Kontakt zum Frauenhaus oder kämen nach einiger Zeit zurück – auch mit ein oder zwei weiteren Kindern. Von manchen Frauen hörten sie aber erst Jahre später, etwa durch andere Behörden und Einrichtungen, die etwa einen Nachweis über die Zeit im Frauenhaus erfragen für eine einstweilige Verfügung, weil es wieder zu Gewaltübergriffen gekommen ist. Wenn die Frauen sich dazu entschließen zu bleiben, dann können sie bis zu einem Jahr im Frauenhaus ein vorübergehendes Zuhause finden. „Wir behalten aber eh niemanden länger, als es sein muss“, sagt Thaler-Haag. „Und wir lassen auch keine Frau ausziehen, die nicht psychisch stabil ist.“

Das Frauenhaus ist ein Ort, wenn es keinen anderen Ausweg gibt, keine andere Zufluchtsstätte – etwa durch verbliebene oder wiederaufgenommene  Freundschaften oder Verwandtenkontakte. Das Gewaltschutzgesetz, das in Österreich 1997 eingeführt wurde (Deutschland: 2002) besagt etwa auch, dass die Person, von der die Gewalt ausgeht, von der Wohnung polizeilich verwiesen werden kann. Dies sei damals eine große Errungenschaft gewesen. Doch wenn beispielsweise die Familie des Mannes im Haus oder der Nachbarschaft wohnt, keine eigene Unterstützung da ist, große Angst vor dem Partner herrscht, dass er sich dennoch Zutritt zum Wohnraum verschafft, oder dieser Schritt, die Polizei einzuschalten, doch zu gewagt erscheint, und Frauen nicht wissen, wohin, dann gibt es die Möglichkeit des Frauenhauses.

Vor 43 Jahren wurde das erste deutsche Frauenhaus in Berlin eröffnet. Österreich folgte 1978 mit dem Standort Wien. Rund 7.000 Plätze gibt es heute in Deutschland in knapp 350 Frauenhäusern. In Österreich bieten 30 Einrichtungen 766 Plätze für Frauen und Kinder. Im Frauenhaus Salzburg, das Thaler-Haag leitet, gibt es Raum für 19 Frauen und 23 Kinder. „Aber ein Gitterbett können wir immer noch dazustellen.“ Dennoch ist es zu wenig. Immer wieder müssten Frauen auf später vertröstet oder gar abgewiesen werden. Oder andere Alternativen mit ihnen gesucht werden. Der Bedarf sei immer noch zu hoch – auch rund 40 Jahre nach Eröffnung der ersten Häuser. Und während die Gehälter steigen, die Zuschüsse tun es selten. „Wir mussten in unserem Haus leider auch wieder 18 Stunden Personal einsparen“, erklärt Thaler-Haag. Finanziert wird das Frauenhaus vom Land Salzburg mit Anteilen vom Justizministerium und Familienministerium. Auch in Deutschland sind Frauenhäuser Bundesländersache. In manchen werden sie pauschal finanziert, in manchen über Tagessätze.

Kinder kriegen vieles mit

Die Gründe für Gewalt liegen auch beim Täter oft in der Kindheit. Sie sind häufig bereits selbst in Familien aufgewachsen, in denen geschlagen wurde. Und sie haben Beziehungsmodelle mit einem großen Machtgefälle vom Mann zur Frau vorgelebt bekommen. Umso wichtiger ist es, sich um die Kinder zu kümmern. Im Regal an der Wand sind Bücher und Feuerwehrautos sauber aufgeräumt. Daneben steht eine kleine Spielküche. An einer Stellwand hängen Kinderzeichnungen: ein Haus mit einem Regenbogen darüber. Ein Mädchen mit einem Zauberstab in der Hand. Der Spielraum im Frauenhaus Salzburg bietet Bewegungsfreiheit und Bereiche zum Entspannen. Denn nicht nur die Frauen, auch die Kinder brauchen einen Ort, an dem sie Ruhe finden. „Viele Frauen meinen, die Kinder kriegen nicht viel mit. Das ist ein Trugschluss“, erklärt Thaler-Haag. Sie reden nicht offen darüber, denn sie sind mit Geheimnissen aufgewachsen. „Das darfst du keinem sagen.“ Aber in Zeichnungen und im Spiel mit dem Puppenhaus zeigten sie es. „Und sie spielen manchmal Sequenzen?…“, sagt Thaler-Haag und will gar nicht mehr weiter ausführen. In Einzelstunden nehmen sich Mitarbeiterinnen der Kinder in einem eigens dafür geschaffenen Raum an. Hier können die Kinder lernen, sich auszudrücken und das Erlebte aufzuarbeiten. Zudem gibt es etwa therapeutische Musik- und Tanzangebote. Ein männlicher Freizeitbetreuer soll ihnen eine positive Männerfigur erlebbar machen. Auf Augenhöhe mit seiner weiblichen Kollegin sehen die Kinder, wie Mann und Frau respektvoll miteinander umgehen.

Auch der Umgang untereinander in der Hausgemeinschaft ist wichtig. Die Frauen und Kinder wohnen in zwei Gruppen in jeweils einem Stockwerk. Im Erdgeschoss gibt es eine rollstuhlgerechte Wohneinheit mit Küche und Badezimmer. Im obersten Stock sind zwei Räume für Frauen, die besondere Ruhe brauchen, etwa, wenn sie älter sind. Zwei Drittel der Bewohnerinnen sind zwischen 20 und 40 Jahre alt. Aber hin und wieder schaffen auch Frauen mit 50 oder 60 noch den Ausstieg aus einer gewaltvollen Beziehung. Jede hat ihren eigenen Alltag. Sie kaufen für sich ein, gehen zur Arbeit, auf Ämter, in den Sprachkurs, kümmern sich um die Kinder. Jede sorgt und putzt für sich selbst. Und alle zwei Wochen gibt es ein Treffen der Wohngemeinschaft, um anstehende Fragen des Zusammenlebens zu klären.

Alleine hätte ich das nicht geschafft

Oft bringen die Frauen einen „vollen Rucksack“ an Problemen mit. Für alle versuchen die Mitarbeiterinnen im Frauenhaus Salzburg, eine Lösung zu finden: psychosoziale Beratung, Rechtsberatung, Prozessbegleitung, Schuldnerberatung, Hilfestellung bei Anträgen. In den letzten Jahren hat der Anteil von Migrantinnen zudem verstärkt zugenommen, die derzeit rund zwei Drittel bis drei Viertel der Plätze belegen. Denn sie befinden sich in einer besonderen Notsituation. Sie haben keine Bezugspersonen, oft dränge sie ihre eigene Familie, beim Mann zu bleiben, sie können kaum Deutsch und haben oft keine Ausbildung. Dafür die große Angst, ihre Kinder zu verlieren oder das Land verlassen zu müssen. Auch hier unterstützen die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses. Eine Frau, so erinnert sich Thaler-Haag, sei massiv von ihrem Mann misshandelt worden. Schritt für Schritt fand sie im Frauenhaus die Kraft, sich weiterzubilden, fand eine Arbeitsstelle. So konnte sie auch das Visum für Österreich erhalten. Mittlerweile ist sie geschieden, hat einen neuen Partner, zwei Kinder und ist glücklich. Einmal habe Thaler-Haag sie getroffen. „Sie kam mir strahlend entgegen und hat gesagt: ‚Es war für mich so wichtig, dass ich zu euch kommen durfte. Alleine hätte ich das nicht geschafft.‘“ Das freue die Leiterin des Frauenhauses. „Dafür macht man das. Dafür nimmt man auch mögliche Frustrationen hin.“ Aber sie sieht die Stärke in den Frauen. „Wir können nur den Anstoß geben. Im Endeffekt sind es die Frauen selbst, die es schaffen, ein glückliches und gewaltfreies Leben zu leben.“

Hier bekommen Frauen Hilfe

In akuter Notlage: bei der Polizei unter Tel. 110 (Deutschland), Tel. 113 (Österreich)

Hilfetelefon: 08000/116 016 und www.hilfetelefon.de (Deutschland), 0800/222 555 und www.frauenhelpline.at (Österreich)

Weitere Informationen bei Beratungsstellen und Frauenhäusern sowie beim Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe und beim Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser


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