Trauer und Freude

Wie Eltern mit Ängsten in einer Folgeschwangerschaft nach einer stillen Geburt umgehen können

Viele Eltern wünschen sich nach dem Verlust ihres Kinders in der Schwangerschaft ein weiteres Kind. Doch eine neue Schwangerschaft ist oft mit Ängsten verbunden. Psychologin und Hebamme Dagmar Weimer erklärt, was in dieser Situation helfen kann.

veröffentlicht am 16.11.2023

Wie lange sollten Frauen und ihre Partner im Anschluss an eine stille Geburt mit einer neuen Schwangerschaft warten?
Es gibt natürlich biologische Aspekte. Wenn die stille Geburt ein Kaiserschnitt war, muss man ein Jahr warten. Auch andere gesundheitliche Probleme können ein Grund sein, zu warten. Es gibt aber keine einheitliche Empfehlung. Grundsätzlich wäre gut, wenn vor einer Folgeschwangerschaft ein bis zwei normale Zyklen vergehen. Abgesehen davon müssen die Eltern für sich selbst den richtigen Zeitpunkt finden. Den Eltern sollte dabei bewusst sein, dass die Trauer zwar bleibt, wenn sie wieder schwanger werden, dass aber auch wieder neue Freude, Hoffnung und Liebe entstehen darf. Ganz oft bekommen Eltern schwierige Ratschläge. Zum Beispiel, dass sie erst einmal die Trauer verarbeiten sollen oder, dass sie möglichst schnell wieder schwanger werden sollen. Aber von außen kann keiner beurteilen, wann der richtige Zeitpunkt ist.
Leider haben die Eltern ihrem verstorbenen Kind gegenüber oft ein schlechtes Gewissen. Aber sie haben so ein großes Herz, dass in ihm mehrere Kinder Platz haben. Auch wenn die Trauer bleibt – und sie wird bleiben – darf wieder neue Liebe entstehen.
 
Haben Frauen nach einer stillen Geburt ein höheres Risiko, erneut ein Kind während der Schwangerschaft zu verlieren?
Statistisch gesehen ist es tatsächlich so, dass man nach einer Fehlgeburt ein etwas höheres Risiko für eine erneute Fehlgeburt hat. Im Einzelfall hängt das aber damit zusammen, was die Ursache für die stille Geburt war. Wenn eine Frau etwa eine Gebärmutterfehlbildung hat, dann ist die Gefahr erhöht. Es gibt aber zum Beispiel auch einen Gendefekt auf einen der Gerinnungsfaktoren. Frauen wissen das oft nicht, weil sie keine gesundheitlichen Probleme haben. Eine normale Untersuchung der Blutwerte würde auch nicht auf diesen Gendefekt untersuchen. Erst nach drei Fehlgeburten überweisen Gynäkologinnen und Gynäkologen in der Regel zu einem Gentest. In diesem Fall kann man durch Medikamente die Aussicht, dass die Folgeschwangerschaft glücklich endet, sehr stark erhöhen.
 
Das heißt, Ängste vor erneuten Komplikationen in einer weiteren Schwangerschaft sind berechtigt?
Meine persönliche Statistik ist, dass 98 von 100 Frauen Angst haben. Es ist ein Stück weit normal, dass man Angst hat. In dieser Situation lässt sich auch kein Mensch mit einer Statistik trösten. Denn sie alle haben erlebt, dass das Unwahrscheinliche eingetreten ist. Das Schicksal hat mit voller Wucht zugeschlagen. Und deswegen tröstet diese Menschen gar nichts. Ich kann mich nur an zwei Frauen in meiner ganzen Laufbahn erinnern, die auf wundersame Weise angstfrei durch eine Folgeschwangerschaft gegangen sind. Alle anderen haben Angst.
 

Was kann Eltern helfen, mit diesen Ängsten umzugehen?
Ganz wichtig ist es, nicht zu googeln. Denn das macht mehr Angst. Wenn ich irgendwelche Fragen habe, sollte ich sie einer Hebamme stellen. Viele wissen nicht, dass man während der ganzen Schwangerschaft Anspruch auf Hebammenhilfe hat. Ängste zählen zu Schwangerschaftsbeschwerden. Betroffene können eine Hebamme suchen, die bereit ist, viele Gespräche mit ihnen zu führen. Es ist wichtig, jemanden zu haben, der die Sorgen nicht gleich abtut. Das eigene Umfeld tut das leider oft. Außerdem können Schwangere bei der Hebamme auch hin und wieder die Herztöne hören lassen. Und hoffentlich ist man bei einem Gynäkologen oder einer Gynäkologin, die nicht die Augen rollt, wenn man mal sagt: Ich brauche jetzt einen Ultraschall, ich habe so Angst. Da wünsche ich mir viel Verständnis, was die meisten Gynäkologinnen und Gynäkologen auch haben. Außerdem können Schwangere Tag und Nacht in Kliniken gehen, beim Kreißsaal klingeln und sagen: Ich habe gerade so eine Angst, können Sie mal gucken? Auch ein Termin bei einer Beratungsstelle für Schwangerschaftsfragen kann helfen. Dort erhalten Frauen, Männer und Paare gute psychosoziale Begleitung während der Schwangerschaft und bis zum dritten Geburtstag des Kindes. Diese Stellen begleiten auch bei Verlust.
 
Ist es normal, wenn Partner mit einer Folgeschwangerschaft unterschiedlich umgehen?
Manchmal ist die Kommunikation zwischen den Eltern schwierig. Ich empfehle dann Ich-Botschaften wie: Ich wünsche mir, dass wir mehr miteinander reden. Der Partner darf auch sagen, dass er nicht so viel reden kann. Dann weiß der andere, dass er sich jemand anderen zum Reden suchen muss. Es kann in einer Folgeschwangerschaft auch vorkommen, dass der eine Partner ausschließlich optimistisch in die Zukunft schaut und die Frau sich in ihren Ängsten alleingelassen fühlt. In diesem Fall ist es gut, wenn sie sich Unterstützung holen, um die Kommunikation untereinander zu verbessern. Da können Hebammen, Beratungsstellen bei Schwangerschaftsfragen, Seelsorger oder auch Mitmenschen Brücken bauen. Auch Selbsthilfegruppen können unterstützen. Es gibt Gruppen gezielt für Menschen in einer Folgeschwangerschaft.
 
Wann ist der Punkt erreicht, an dem sich Eltern aufgrund ihrer Ängste oder Schuldgefühle therapeutische Hilfe suchen sollten?
Ich habe da ein hilfreiches Bild: Wenn sie sich die Farben eines Regenbogens vorstellen, dann ist es links vom Regenbogen oft tiefschwarz. Das sind Gefühle wie Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, die ich in einer Depression und in der Trauer habe. Trauernde Menschen fühlen aber auch die bunten Farben des Regenbogens, das Rot der Liebe und das Gelb der Freude: Liebe zu ihrem verstorbenen Kind, zu ihrem Partner und zu ihren Kindern, die sie schon haben; Freude, etwa wenn jemand ganz liebevoll Anteilnahme zeigt. Solange trauernde Menschen diese Gefühlsfarben neben dem Schwarz haben, ist es Trauer und keine Depression. Wenn jemand als Gefühlsfarbe aber nur noch Grau und Schwarz hat, ist es eine Depression. Anhand dieses Bildes können sich Partner auch gegenseitig einschätzen.
Auch eine Angststörung kann entstehen, bei der die Gedanken den ganzen Tag um das Thema Angst kreisen. Solch eine Störung kann auch zu einer Depression führen. Auch in diesem Fall braucht die Person vermutlich eine Psychotherapie. Leider bekommt man aktuell nicht so schnell einen Therapieplatz. Aber auch hier können die Beratungsstellen für Schwangerschaftsfragen helfen, bis eine Psychotherapie beginnt.

Portrait Dagmar Weimer

Dagmar Weimer begleitet und berät seit 1999 als Hebamme und Diplom-Psychologin Schwangere und Familien bei psychischen Krisen und in Trauerfällen. Sie hat 14 Jahre lang die Selbsthilfegruppe Sternenkinder Aschaffenburg geleitet und führt aktuell mit einer Kollegin Rückbildungskurse mit Austausch für trauernde Mütter durch.


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