Verlust

Wenn ein Kind stirbt: Was trauernden Eltern helfen kann

Nach dem Tod des eigenen Kindes haben Eltern viel zu verarbeiten. Ein Patentrezept für die Trauer gibt es nicht, weiß Trauerbegleiterin Astrid Panger. Sie rät dazu, sich Zeit zu lassen, Unterstützung anzunehmen und den Abschied bewusst zu gestalten.

veröffentlicht am 28.02.2024

Was brauchen Eltern in der allerersten Phase nach dem Tod des eigenen Kindes am nötigsten?
Ein Umfeld, das sie unterstützt, den Alltag aufrechtzuerhalten. Das können Familienangehörige, Nachbarn, Freunde oder Arbeitskollegen sein, die ihnen liebevoll zugetan sind. Am Anfang, das höre ich immer wieder von Eltern, geht es vor allem ums Überleben. Hilfreich ist es, der Familie ein Essen vor die Tür zu stellen, Einkäufe zu erledigen, das Geschirr abzuwaschen, einmal durchzusaugen oder nach ein paar Tagen anzubieten, Geschwisterkinder in den Kindergarten oder die Schule zu bringen. Am Anfang ist die Erschütterung so groß, dass manchmal eine Starre eintritt. Eltern brauchen dann ein Netzwerk, das sie trägt und schützt.

Behindert eine solche Schockstarre den weiteren Trauerprozess?
Nein, sie gehört einfach dazu, und es ist wichtig, diese Schockstarre auch zuzulassen. Jeder reagiert anders. In der Trauer gibt es kein Patentrezept, wie man sich richtig verhält. Es gibt Menschen, die liegen im Bett und ziehen sich die Decke bis zur Nasenspitze; andere gehen schnell wieder zur Arbeit, weil ihnen der Arbeitsalltag Struktur bietet. Wichtig ist, seinen Bedürfnissen nachzuspüren und nachzugeben. Der anfängliche Schock ist ein Schutzsystem. Vom Kopf her wissen wir, was passiert ist, aber in unsere Gefühlswelt rieselt diese Erkenntnis in ihrer vollen Wucht und Tragödie erst nach und nach wie bei einer Sanduhr. Was es wirklich bedeutet, ohne das Kind weiterzuleben und es nicht mehr versorgen zu können, das realisieren Eltern meist erst nach zwei Monaten bis einem halben Jahr.

Es wird immer wieder Menschen im engen Umkreis geben, die die Eltern mit gut gemeinten Ratschlägen überschütten. Doch helfen diese oft nicht weiter. Wie können Eltern dann reagieren?
Solche vermeintlich gut gemeinten Ratschläge entspringen meistens einer großen Unsicherheit (20 Tipps für den Umgang mit Trauernden). Man möchte helfen und trösten, aber weiß nicht, was man sagen soll. Die Folge sind Sätze wie „Du bist ja noch jung und kannst noch Kinder bekommen.“ oder „Du hast ja noch zwei Kinder.“. Das schmerzt und verletzt die Eltern ungemein, denn sie trauern ja gerade um dieses eine Kind, das so sehr fehlt. Natürlich kann man dann seinem Gegenüber sagen, dass einem solche Sätze weh tun. Doch es fehlt oft die Kraft dazu. Auch wenn man nicht über das Geschehene sprechen möchte, ist das in Ordnung. Eltern müssen in einer solchen Situation gar nichts. Sie müssen nicht die anderen trösten und dürfen ihre Bedürfnisse ganz klar äußern.

Wie können Eltern es schaffen, ganz bewusst Abschied von ihrem verstorbenen Kind zu nehmen? Und warum ist das so wichtig?
Ein bewusster Abschied unterstützt, die Realität anzunehmen. Wenn im Krankenhaus, in der Pathologie oder bei der Bestattung bewusst Abschied genommen wird, nehmen Eltern ein Bild ihres Kindes auf, das ruhig und schmerzfrei in seinem Bett liegt. Aber das gilt nur für diejenigen, die das können. Man sollte Eltern darauf hinweisen, dass sie ihr Kind noch einmal sehen können, aber man darf sie nicht dazu zwingen. Beides ist richtig – sich zu verabschieden oder das Kind ohne einen „letzten Blick“ in Erinnerung zu behalten. Auch die Geschwisterkinder sollte man fragen, ob sie sich von ihrem Bruder, ihrer Schwester verabschieden möchten. Falls sie dies möchten, muss man sie aber gut darauf vorbereiten und ihnen genau erklären, was sie erwartet: Sind die Augen des verstorbenen Geschwisterchens geschlossen, ist die Haut kalt etc.?

Helfen kann es auch, die Parte, also die Todesanzeige, ganz bewusst zu gestalten und zu überlegen, was zum Kind passt. Auch bei der Beerdigung ist es legitim, gerade bei kleinen Kindern, ein bisschen aus der Norm zu fallen und zum Beispiel die Spieluhr aufzuziehen, wenn den Eltern das ein Bedürfnis ist. Wenn man den Abschied vom Kind bewusst gestaltet, kann das eine große Ressource für den weiteren Trauerweg sein.

Wie kann anschließend die Erinnerung an das verstorbene Kind aufrechterhalten werden?
Indem man immer wieder vom Kind erzählt und es auch bei seinem Namen nennt, selbst wenn es ein Sternenkind ist, das während der Schwangerschaft verstorben ist. Wichtig ist auch, immer wieder mit den Geschwisterkindern über das verstorbene Kind zu sprechen – auch mit denjenigen, die erst danach geboren werden und das verstorbene Kind nie kennenlernen konnten. Eine schöne Erinnerung kann es auch sein, das Lieblingsessen des verstorbenen Kindes zu kochen. Darüber hinaus sind der Geburtstag und der Sterbetag schwierige, aber wichtige Anlässe, um an das Kind zu erinnern. Wenn es den Eltern möglich ist, kann man eine Geburtstagstorte backen, Familienangehörige oder Freunde einladen, eine Kerze anzünden und gemeinsam an das Kind denken. Für die Eltern ist es ein schönes Gefühl, wenn andere das mittragen. Das Kind lebt im Alltag nicht mehr mit, aber die Verbundenheit bleibt.

Inwiefern unterscheidet sich die Trauer der Eltern je nach Alter des verstorbenen Kindes oder auch nach Todesursache?
Für Eltern macht es keinen Unterschied, wie alt das Kind war oder wie es gestorben ist – sei es nach einer langen Krankheit, ganz plötzlich durch einen Unfall, Suizid oder eine Suchterkrankung. Alle Eltern leiden und trauern um ihr Kind – auch eine Sternenkindmutter, die drei oder fünf Monate schwanger war und ihr Kind nie richtig kennenlernen konnte beziehungsweise bei der das Kennenlernen des Kindes auch gleichzeitig der Abschied war. Dass da ein Unterschied bestehen könnte, darüber machen sich meist nur Außenstehende, die nicht betroffen sind, Gedanken.

Inwiefern kann der Glaube für trauernde Eltern eine Stütze sein?
Der Glaube ist eine große Ressource. Wenn jemand im Glauben beheimatet ist, kann er daraus Kraft schöpfen und Hoffnung erhalten. Gerade wir Christen glauben an ein Leben nach dem Tod. Wir wissen unser Kind bei Gott gut behütet und beschützt. Das tröstet. Außerdem darf ich bei Gott auch wütend sein und schimpfen. Ich darf klagen und mich von ihm abwenden – in dem Wissen, dass er immer an meiner Seite bleibt und wieder für mich da ist, sobald ich mich ihm wieder zuwende. Das trägt im Alltag.

Wann ist eine Begleitung für verwaiste Eltern durch eine Selbsthilfegruppe oder einen Psychologen, eine Psychologin zu empfehlen?
Ich habe immer wieder Anrufe, die mich knapp nach dem Tod oder zwei bis drei Wochen nach dem Begräbnis erreichen. Da greift eine Trauerbegleitung noch nicht, denn da geht es erst einmal darum, wieder Struktur in den Alltag zu bekommen und Formalien zu regeln. Eine Trauerbegleitung, ob einzeln oder in der Gruppe, ist nach etwa zwei bis drei Monaten sinnvoll. Da sollte man gut in sich hineinhören, welche Form der Begleitung einem hilft. Eine Selbsthilfegruppe eröffnet einem viele Perspektiven. Man sieht, dass andere das Gleiche durchmachen wie man selbst. Man hört, welche Strategien andere Eltern für sich gefunden haben – und man fühlt sich bestätigt, dass man in Ordnung ist, so wie man gerade ist. Denn trauernde Eltern fühlen sich oft fremd. Vorher waren sie lustig, gesprächig, sind Einladungen nachgekommen. Jetzt sind sie am liebsten allein, Lärm macht sie nervös und das Telefon wollen sie am liebsten gar nicht abnehmen, wenn es klingelt.

Ich möchte aber klar sagen: Trauer ist keine Krankheit und braucht, solange man sie zulässt, keinen Therapeuten oder Psychologen. Eine therapeutische Begleitung ist erst dann nötig, wenn es zu einer Depression oder Suizidgedanken kommt. Solange man aber die Trauer und die Gefühle zulässt, ist eine Gesprächsbegleitung sinnvoll in Form eines stabilen Begleiters, der da ist, Tränen mitträgt, Schweigen aushält und die trauernden Eltern so annimmt, wie sie gerade sind.

Der Vorteil, mit jemandem, der außerhalb des Familiensystems steht, zu sprechen, ist, dass man wirklich erzählen kann, wie es einem geht. Sobald trauernde Eltern mit Familienangehörigen oder Freunden sprechen, überlegen sie bewusst oder unbewusst, was sie sagen und was sie lieber verschweigen. Bei einer außenstehenden Person darf ich meine Gefühle, Erwartungen und Wahrnehmungen aussprechen, ohne Sorge zu haben, jemanden zu kränken oder zu verletzen. Außerdem bekommt man eine Vogelperspektive, weil man einer außenstehenden Person mehr erklären muss. Dadurch schaut man ein wenig von oben auf die Situation, bekommt etwas Abstand und kann manche Dinge anders einordnen.

Astrid Panger

Astrid Panger leitet das Referat für Trauerpastoral und die Plattform „Verwaiste Eltern“ der Katholischen Kirche Kärnten. Sie ist Krisen-, Trauer-, Kinder- und Jugendtrauerbegleiterin sowie Vorsitzende der österreichischen Bundesarbeitsgemeinschaft Trauerbegleitung.

Fünf Tipps für trauernde Eltern von Astrid Panger

  1. Hören Sie gut auf sich, denn Sie sind die Expertin oder der Experte für sich selbst. Sie wissen am besten, was Ihnen guttut.
  2. Umgeben Sie sich mit Menschen, die Sie verstehen und Ihre Verzweiflung und Ihren Schmerz mittragen, ohne Ihre Gefühle ändern zu wollen.
  3. Nehmen Sie Hilfe von außen an – zum Beispiel in Form einer Selbsthilfegruppe und einer Gesprächsbegleitung.
  4. Überfordern Sie sich nicht – gerade, wenn es um Ihre Mutter- oder Vaterrolle geht. Wenn Sie im Moment etwas schwach sind und nicht Ihren Idealen einer guten Mutter oder eines guten Vaters entsprechen, ist das in Ordnung.
  5. Lassen Sie sich Zeit. Jeder hat sein eigenes Tempo, den Verlust des eigenen Kindes anzunehmen. Lassen Sie sich nicht irritieren, wenn Bekannte aus Ihrem Umfeld sagen, dass Sie nach einem halben oder einem Jahr jetzt doch langsam mal wieder nach vorne schauen müssten. Nehmen Sie sich Ihre Zeit.

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