Alltag in der Pandemie

Wie Resilienz in der Corona-Krise helfen kann

Mit Resilienz lassen sich Krisen wie die Corona-Pandemie besser durchstehen. Aber wie entwickelt man Resilienz? Und wie können Kinder krisenfest werden? Erfahrungen von Experten und Familien.

veröffentlicht am 13.10.2020

„Der neue Trendsport in diesem Jahr? Zurückhetzen, weil man seine Maske vergessen hat.“ Dieser Witz dreht seit Monaten seine Runden in den sozialen Netzwerken. Was erst mal lustig klingt, kann einer Mutter, die ihr Kind aus der Kita abholen will und vorher noch zur Post muss, den letzten Nerv rauben. Genau wie der pubertierende Sohn, der Masken im Allgemeinen ablehnt, oder die Tochter, die unmotiviert im Homeschooling sitzt, weil sie eine leichte Erkältung hat. Nicht zu vergessen der Zweijährige, der mitten in die Telefonkonferenz platzt, weil er mal groß muss.

Wir leben in einer Zeit, auf die uns nichts wirklich vorbereitet hat. Die Corona-Pandemie erwischte die Welt kalt, und wir müssen lernen, mit dem Virus und seinen Folgen klarzukommen. Gerade Familien stehen vor großen Herausforderungen. Ja, die Krankheit kann jeden treffen, es sitzen alle in einem Boot. Und doch scheint dieses Boot für die einen eine komfortable Yacht zu sein, während andere sich in einer wurmstichigen Jolle über die Wellen kämpfen und sich wie Steuermann, Maat und Schiffsratte in einem fühlen.

Die Krise als Herausforderung betrachten

Wie sehr die Pandemie als Krise wahrgenommen wird, hängt von den persönlichen Lebensumständen ab, aber auch von der inneren Widerstandskraft eines Menschen. Die sogenannte Resilienz ist die Fähigkeit, ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen, nach dem Fallen wieder aufzustehen, nicht aufzugeben, auch wenn es schwierig wird. Eigentlich stammt der Begriff aus der Physik und beschreibt, wie ein Gegenstand nach einer Verformung wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückkehrt. Psychologische Resilienz umfasst aber noch viel mehr.

Die amerikanische Forscherin Emmy Werner hat Mitte des 20. Jahrhunderts in einer Langzeitstudie hawaiianische Kinder aus schlechten sozialen Verhältnissen auf ihrem Lebensweg begleitet. Sie stellte fest, dass ein Drittel der Kinder trotz erschwerter Bedingungen zu erfolgreichen, gesunden Erwachsenen heranwuchs. Mehr noch, viele wurden mit jeder bewältigten Krise widerstandsfähiger. Daraus zog die Entwicklungspsychologin den Schluss, dass Resilienz erlernbar ist. Heute setzt sich die Forschung intensiv mit der starken Seite der menschlichen Seele auseinander.

Am Leibniz Institut für Resilienzforschung (LIR) in Mainz forschen Psychologen, Philosophen und Wirtschaftswissenschaftler gemeinsam. Donya Gilan, Leiterin des Bereichs „Resilienz und Gesellschaft“, kennt eine ganze Liste an Faktoren, die die Resilienz stärken. Hilfreich sind zum Beispiel eine optimistische Zukunftseinstellung und das Gefühl, selbst etwas bewegen zu können. Gespeist wird diese Haltung durch einen positiven Bewertungsstil, erklärt die Psychologin: „Wer eine Krise eher als Herausforderung betrachtet und Handlungsspielräume erkennt, zeigt weniger Belastungssymptome wie Angst, Wut, Schlaflosigkeit oder Magenschmerzen.“

In einer Gesellschaft, die eher als schwarzmalerisch gilt, klingt das wie mentaler Leistungssport. Tatsächlich aber scheint die Mehrheit das erforderliche Rüstzeug mitzubringen. So zeigen Untersuchungen mit Menschen in klassischen Krisensituationen überwiegend resiliente Reaktionen, wie Gilan erläutert. „Während ein Drittel der Studienteilnehmer durch Arbeitslosigkeit, den Verlust eines Angehörigen oder nach einem Verkehrsunfall eine Posttraumatische Belastungsstörung entwickelt, fangen sich 60 Prozent wieder und können ihr Leben normal weiterführen.“

Starke Bezugspersonen fördern Resilienz

Wie aber gelangt ein Mensch zu einer positiven Lebenseinstellung und wie kann man Resilienz trainieren? Emmy Werner hat in Hawaii herausgefunden, dass ein wesentlicher Schutzfaktor für die Psyche eine beschützende Bezugsperson ist. Das kann ein Familienmitglied sein, aber auch ein Lehrer oder andere Personen, die einem Kind nahestehen. „Verlässliche Bindungen fördern die innere Sicherheit eines Menschen und er kann schwierige Situationen besser aushalten“, erklärt Familientherapeutin Bettina Brockmann (hier im Interview über Familien in der Corona-Krise), die bei der Beratungsstelle Münchner Insel mit Menschen in schwierigen Lebenssituationen arbeitet.

„Jemand steckt in einer Krise, wenn der Blick auf ein Problem so verengt ist, dass er oder sie keinen Ausweg mehr aus dem Gedankenkarussell findet“, erklärt sie. Dann sei es wichtig, zu schauen: „Welche anderen Probleme habe ich in meinem Leben bisher gemeistert? Wer oder was könnte mir jetzt helfen? Welche unkonventionellen Wege kann ich einschlagen? Was kann ich konkret tun, heute, morgen, in den nächsten Tagen?“ Auf diese Weise verharre man nicht in Hilflosigkeit, sondern fange an, die Situation zu gestalten und Ordnung ins Gedankenchaos zu bringen.

In der Krise eine neue Struktur zu schaffen, das hat Familie Ollinger in der Lockdownzeit geholfen. Als die Kita im Frühjahr schloss, saßen die Eltern plötzlich mit zwei kleinen Kindern im Bonner Homeoffice. „Grete ist sechs und Hilda drei Jahre alt. Es war klar, dass wir nicht parallel würden arbeiten können. So hätte keiner von uns beiden Ruhe gehabt. Also haben wir ein Schichtsystem eingeführt“, erzählt Katharina. Die Informatikerin arbeitete an den Vormittagen und betreute ihre Töchter nachmittags. Ihr Mann – ebenfalls in der IT-Branche – arbeitete nachmittags bis in den Abend hinein.

Konflikte im Alltag

Die klaren Zuständigkeiten und Arbeitszeiten gaben den Kindern Sicherheit, und auch die Kollegen gewöhnten sich an das Konstrukt. „Wir haben das ganz klar kommuniziert und Termine, die nicht in unsere neuen Arbeitszeiten passten, rigoros abgewehrt“, erzählt Katharina. Letztlich waren ihre Arbeitgeber froh, dass die beiden überhaupt arbeiten konnten. Trotzdem entstand natürlich auch mal Stress im Familienalltag. „Vor allem, wenn wir zu sehr aufeinandersaßen. Dann fingen die Kinder an zu streiten. Deshalb sind wir, wann immer möglich, zusammen rausgegangen.“

Davon abgesehen, hätten sich die Kinder erstaunlich schnell an die neue Situation gewöhnt. „Mit Grete haben wir über Corona gesprochen und die Kindernachrichtensendung Logo geschaut“, erzählt ihre Mutter. „Hilda haben wir nur gesagt, die Kita ist zu und der Spielplatz auch. Einmal wollte sie ihren Onkel besuchen, und als wir sagten, dass das nicht geht, fragte sie: ‚Ach, ist der auch zu?‘“, erinnert sich Katharina lachend. Ängste hätten die beiden nicht gehabt. „Wir sind selbst optimistisch und haben ihnen Zuversicht gegeben, dass es bald wieder besser wird.“

Was aber, wenn man diese Sicherheit nicht so gut vermitteln kann, weil man selbst unter Sorgen und Ängsten leidet? „Es ist wichtig, die eigenen Probleme kindgerecht zu thematisieren. Denn Kinder spüren, wenn es den Eltern nicht gut geht, und das verunsichert sie“, macht Bettina Brockmann deutlich. „Wenn sie mit den Kindern sprechen, sollten betroffene Eltern signalisieren, dass sie versuchen, mit ihrem Problem umzugehen.“ Es müsse noch keine perfekte Lösung geben, Hauptsache, die Kinder erkennen, dass Sie bereit sind, daran zu arbeiten.

Eltern sollten Ansprechpartner sein

Natürlich sollten auch Ängste der Kinder Raum bekommen. Simone aus Koblenz hat zwei Töchter im Alter von elf und 13 Jahren. Beide haben sich mit der Corona-Situation gut arrangiert. Sie kamen im Homeschooling klar und akzeptierten die Corona-Einschränkungen, ohne zu murren. So war auch klar, dass es für sie in diesem Jahr keine großen Geburtstagsfeiern geben würde. Zugleich machen sich beide Sorgen, ihre Eltern oder Großeltern könnten erkranken. Vor allem, wenn sie entsprechende Beiträge im Fernsehen sehen. „Sie wissen, dass es so schnell nicht mehr wird, wie es mal war“, sagt Simone.

„In jedem Fall ist es gut, Ansprechpartner zu sein und Fragen zu klären, ohne die Lage zu beschönigen oder zu dramatisieren“, sagt Donya Gilan. Eltern können die Kinder in der Krise begleiten und unterstützen, sollten ihnen jedoch auch die Möglichkeit geben, die neue Situation selbst zu gestalten. „Um Resilienz zu erwerben, müssen Kinder auch lernen, mit negativen Gefühlen umzugehen.“ Es gehört zum Leben dazu, zu scheitern oder in eine Krise zu geraten. „Dann ist es gut, wenn man weiß, wie man sich trotzdem wieder in eine gute Stimmung bringen kann. Zur Resilienz gehört auch, die eigenen Emotionen zu regulieren.“

 Vor allem bei älteren Jugendlichen gibt es in diesen Zeiten Diskussionsbedarf wegen der Corona-Regeln. „Da wird um den richtigen Weg gerungen“, weiß Bettina Brockmann aus persönlicher Erfahrung. Wichtig sei es, miteinander im Gespräch zu bleiben und jedes Familienmitglied in seinen Ansichten und Befindlichkeiten ernst zu nehmen. „Die Pandemie wird auch innerhalb einer Familie aus unterschiedlichen Perspektiven wahrgenommen“, sagt Omar Hahad, Forscher an der Universitätsmedizin Mainz. „Wenn Familienmitglieder bereit sind, ihre eigene Meinung zu hinterfragen und anzupassen, sich gegenseitig Mut zu machen und Ängste zu nehmen, werden Familien resilienter und können die Krise gemeinsam bewältigen.“       


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