Wohnpsychologie
Wie wollen wir leben – und mit wem? – Interview mit Wohnpsychologin Barbara Perfahl
Steigende Mieten und der Wunsch nach Nachhaltigkeit und echter Gemeinschaft lassen viele Menschen nach neuen Wohnformen suchen. Die österreichische Wohnpsychologin Barbara Perfahl erklärt im Interview, worauf es beim Zusammenleben ankommt.
veröffentlicht am 31.07.2025
Wohnen kann glücklich, aber auch unglücklich machen. Woran liegt das und was macht gutes Wohnen aus?
Jeder von uns hat unterschiedliche Wohnbedürfnisse, zum Beispiel Rückzug, Selbstdarstellung oder Kommunikation. Manche führen ein offenes Haus, andere bauen Sicherheitsschlösser ein. Daneben gibt es Idealvorstellungen, die von Erfahrungen und Weltanschauungen geprägt sind. Die Kombination aus beidem bestimmt, welche Art des Wohnens uns am besten liegt.
Immer mehr Menschen können sich vorstellen, in einer größeren Gemeinschaft zu leben. Wie kommt das?
Früher war es normal, mit mehreren zusammenzuleben. Haus, Hof und Betrieb waren eins. Das klingt romantischer als es war. Privatsphäre, wie wir sie heute kennen, gab es kaum. Ab den Fünfzigern lebte man zunehmend in Kleinfamilien auf immer größerem Raum. Doch seit etwa 15 Jahren gibt es wieder einen gegenläufigen Trend. Wohnraum in Städten ist knapp und teuer geworden. Die Energiekosten steigen und unsere Lebensweise muss nachhaltiger werden. Daneben wächst auch der Wunsch wieder mehr zusammenzurücken. Auch mit Blick auf Ältere, die zum Teil alleine in großen Häusern leben und zunehmend Unterstützung im Alltag brauchen.
Einsamkeit ist heute ein großes Thema. Auch in Mietshäusern, in denen viele Menschen leben. Warum ist das so?
Viele Wohnhaussiedlungen sind ab den Sechzigerjahren entstanden. Um größere Wohnungen zu schaffen, hat man gemeinschaftliche Flächen eingespart. Dabei wurde unterschätzt, wie wichtig Übergangszonen sind – also freundlich gestaltete Gänge, Eingangsbereiche oder Grünanlagen, wo man sich spontan begegnen kann.
Warum sind diese Flächen wichtig?
Wir brauchen Bereiche, in denen wir unseren sozialen Abstand selbst regulieren können. Begegnungszonen, die nicht privat sind und trotzdem eine gute Aufenthaltsqualität haben. Mit schönem Licht, Sitzgelegenheiten und Pflanzen. Wenn es Regeln für die gemeinsame Nutzung gibt, werden sie von Hausgemeinschaften gut angenommen.
Was ist noch wichtig, damit das Zusammenleben gelingt?
Ein stimmiges Konzept, ein verlässlicher Rahmen und regelmäßiger Austausch, zum Beispiel bei Wohnkonferenzen. Grundsätzlich ist der Mensch zum gemeinsamen Wohnen gemacht, aber wir haben in den vergangenen Jahrzehnten unsere Privatsphäre schätzen gelernt. Wenn es gelingt, neben attraktiven Begegnungsräumen auch sichere Rückzugsmöglichkeiten zu schaffen, ist das gemeinsame Wohnen aus psychologischer Sicht eine sehr gute Art zu leben.
Tipps für gelingendes Zusammenleben von Barbara Perfahl
Ob in einer Wohngemeinschaft, einem Mehrgenerationenhaus oder in der Nachbarschaft – gutes Zusammenleben entsteht nicht von allein, sondern braucht Begegnungsräume, Absprachen und Toleranz.
- Begegnung ermöglichen, ohne Privatsphäre zu verlieren
Ein gutes Miteinander braucht Rückzugsräume ebenso wie Gemeinschaftsbereiche und Übergangszonen für spontane Begegnungen. - Wohnraum bewusst gestalten
Privates und gemeinschaftlich genutzte Räume sollten deutlich voneinander abgegrenzt sein. Als Übergangszonen können Sitzbereiche und bepflanzte Eingangsbereiche dienen. - Ein gemeinsames Konzept erstellen
Ein klarer Rahmen und Grundregeln geben Orientierung und schaffen einen Raum, in dem Zusammenhalt wachsen kann. Regelmäßige Aktivitäten stärken das Wir-Gefühl. - Aufgaben teilen und Verantwortung übernehmen
Ein gutes Miteinander lebt davon, dass sich alle einbringen, je nach Kraft und Möglichkeit. - Offene Kommunikation und klare Absprachen
Regelmäßige Gespräche und ein vertrauensvoller Rahmen, in dem jeder ehrlich seine Bedürfnisse äußern darf, können Konflikten vorbeugen. - Vielfalt als Chance begreifen
Unterschiedliche Lebensentwürfe, Berufe oder Altersgruppen bereichern das Zusammenleben – wenn alle bereit sind, einander zu akzeptieren.