Umgangsformen

Du oder Sie? Keine einfache Frage

Nach einem Erlebnis an der Schwimmbad-Kasse denkt unsere Autorin über eine Veränderung in unserer Sprache nach, die gerade massiv zunimmt: Es wird geduzt! Was sie persönlich vom Du hält und was sie Menschen rät, die dem skeptisch gegenüberstehen.

veröffentlicht am 13.06.2025

Wir hatten einen tollen Tag im Schwimmbad. Meine Tochter Christina, ihre Freundin Pia und ich. Gut gelaunt und auch wenig abgekämpft standen wir an der Kasse, als etwas für mich Unvergessliches passierte. 

Pia kramte in ihrer Geldbörse herum und suchte vergeblich nach dem passenden Kleingeld. Es dauerte und die ältere Dame hinter dem Schalter wurde zunehmend ungeduldig. Schließlich griff das Mädchen zur Notlösung: „Hier, am besten nimmst du einen Schein!“, sagte sie und legte zehn Euro auf die Theke. In diesem Moment platzte es aus der Kassiererin heraus: „Na endlich! Aber das mit dem ‚Du‘ kannst du dir sparen! Wir haben ja schließlich auch nicht zusammen im Kindergarten gespielt ...!“

Auch im Büro wird die Frage leidenschaftlich diskutiert  

Bäm! Das saß! Ich war sprachlos und geschockt von so viel Unfreundlichkeit gegenüber einem achtjährigen Kind! Wie kann man nur so einen Drachen an den Empfang eines Spaßbades setzen? Gekränkt stopfte Pia das Rückgeld in die Tasche. Erst im Auto stieg die Stimmung wieder, als wir uns übertrieben förmlich mit „Durchlaucht“ und „Hochwürden“ anredeten. 

Am nächsten Tag erzählte ich auf der Arbeit von dem Vorfall und sogleich entbrannte wieder eine Diskussion rund um das „Sie“ oder „Du“, denn in unserem Unternehmen ist aktuell ein wilder Mix zwischen beiden Varianten an der Tagesordnung. Und beide Seiten haben ihre Verfechter, die stets leidenschaftlich Argumente wie Respekt, Tradition oder Aufbruch in die Zukunft anbringen. Ein von oben verordnetes „Du“? Das empfinden einige sogar als Beleidigung!

Sich auf die Sprache von jungen Menschen einlassen 

Ich akzeptiere diese Haltung, natürlich. Viel mehr als das Bewahren von Traditionen geht es mir aber um das Verstanden werden. Wenn sich die Botschaften an junge Menschen richten, ist man auch aufgefordert, sich auf deren Alltag und Sprache einzulassen. Und genau da kommt ein „Sie“ oft völlig deplatziert daher, in einer Welt, die immer schneller, lockerer und digitaler wird.

Noch ein Beispiel: Als ich im letzten Jahr an der Rezeption einer großen Jugendherberge stand, las ich in großen Buchstaben einen Aushang mit der Überschrift #gerneperDu. Das Du war hier mehr als eine Vereinbarung zwischen zwei Menschen, es war Teil der Unternehmenskultur. Ich stelle fest: Was IKEA einst vormachte, greift nun immer mehr um sich.

Das Du signalisiert Verbundenheit und Nähe, das Sie Respekt und Distanz 

Das Du signalisiert Verbundenheit, Nähe und ein Gefühl von Gemeinschaft. Gleichzeitig kann das „Sie“ für traditionelle Gemüter noch immer ein Zeichen von Respekt und Distanz sein – eine Art sprachlicher Schutzschild. Wie sollten wir damit umgehen, wenn sich Sprache so rasant verändert? Ich meine: Beide Seiten sind gefordert!

Man muss sich darauf einstellen, dass die Zeiten des formellen „Sie“ weniger selbstverständlich werden. Das bedeutet nicht, dass man gleich unhöflich ist, sondern vielmehr, dass man flexibel sein sollte. Es ist okay, beide Formen zu kennen und je nach Situation zu wählen. Wichtig ist, offen für den Wandel zu bleiben und zu akzeptieren, dass die Sprache lebendig ist. Das „Du“ wird zunehmen. Und das ist grundsätzlich gut so, denn es zeigt, dass wir uns weiterentwickeln und – so wäre mein Wunsch – aufeinander zugehen. Also, keine Scheu – vielleicht ist ein Du ja der erste Schritt zu einer noch offeneren Kommunikation? 

Pia jedenfalls weiß seit dem Ausflug ins Schwimmbad: Auch Ältere können sich mitunter sehr gut im Ton vergreifen – ganz unabhängig von Sie oder Du.


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