Neue Zeit

„Ich lese nicht mehr, Mama“ – Wenn das Handy zum Alltag wird

Unsere Autorin ist verzweifelt. Seit ihre Tochter ein Handy hat, ist Vieles nicht mehr wie vorher. Das Kind taucht ab und vor allem: Es mag keine Bücher mehr. Das Gerät hat das Zusammenleben voll im Griff. Zeit für ein Umdenken – und für Lösungsideen.

veröffentlicht am 01.08.2025

Seit Weihnachten ist das Handy da. Es ist ein ständiger Begleiter meiner Tochter Christina. Sie beherrscht die Details inzwischen besser als ich. Und sie mag es, neue Sachen auszuprobieren – was ich grundsätzlich gut finde. Nur als wir uns beim Sommerleseclub der Bücherei anmelden wollten, sagte sie: „Brauche ich nicht. Ich lese nicht mehr, Mama.“ Mir wurde klar: Hier stimmt was nicht. 

Natürlich hatten wir anfangs klare Regeln. Wirklich. Zeiten, Apps, Pausen – ich hatte mich vorbereitet, wusste aber insgeheim schon, dass es schwierig werden würde, konsequent zu bleiben. Denn auch wenn ich bei der Auswahl der Apps nach wie vor sehr streng bin – der Wunsch nach mehr Bildschirmzeit kam schnell: Da war dieses Referat, das gemeinsam auf einer Plattform erstellt wurde und daher auch mehr Online-Zeit verlangte. Der Geburtstagsgruß für die Freundin, der noch schnell abends verschickt werden musste. Und natürlich der Stundenplan, der sich nahezu täglich änderte – und über ein App abrufbar ist. Die Ausnahmen wurden zur Regel, die Bildschirmzeit zur Dauerbeschäftigung. Ich saß daneben, mal schmunzelnd, mal ratlos. Bis neulich, bei der Anmeldung zum Sommerleseclub. 

Plötzlich zählen die Rituale von früher nicht mehr 

Dieser Club war in den letzten Jahren so ein Familiending. Büchereibesuche mit Einkehr in der Eisdiele, das waren für uns feste Rituale in den Ferien. Die Kinder erhalten ein Log-Buch und können dort eintragen, welche (Hör)bücher sie ausgeliehen haben und am Ende der Aktion gibt es eine kleine Auszeichnung. „Ich lese nicht mehr, Mama.“ Ein Satz, ganz ruhig gesagt. Und doch ein Satz, der mir schwer auf dem Herzen lag.

Ich bin wirklich offen für Technik und ich finde es toll, wenn mein Kind neugierig ist, sich mit der digitalen Welt auseinandersetzt, Dinge ausprobiert. So weiß Christina inzwischen, wie man das Design der Apps farblich anpasst, Videos schneidet und Sticker über Gesichter legt. Ich staune und frage immer öfter: Und wie geht das?

Während die Mutter über Bildschirmzeit spricht, filmt das Kind ein Skin-Care-Tutorial 

Dazu reden wir natürlich viel über das Netz, die Gefahren, WhatsApp-Gruppen und Grenzen. Doch während ich noch darüber spreche, was eine gesunde Bildschirmzeit ist, filmt sie im Bad ihr erstes Skin-Care-Tutorial für ihre Freundinnen. Sie ist elf. Ich bin beeindruckt – und gleichzeitig ein bisschen traurig.

Mein Gefühl: Vermutlich geht es gar nicht ums Lesen. Es geht um eine Verschiebung, die ich gespürt habe, aber nicht greifen konnte. Ihr Handy ist kein Zusatz mehr zu ihrem Alltag, es ist ihr Alltag. Das Gerät war nicht nur in ihre Hände geraten, sondern auch still und leise in unsere gemeinsame Zeit.

Den Raum zurückerobern für gemeinsame Erlebnisse

Also haben wir miteinander gesprochen. Dass es nicht darum geht, das Handy wegzunehmen, sondern den Raum für anderes zurückzuerobern bzw. zu verteidigen. Danach folgte die Anmeldung zum Sommerleseclub, sodass am nächsten Tag drei neue Bücher auf Christinas Schreibtisch lagen.
Und vielleicht geht es genau darum: den Weg gemeinsam finden. Zwischen Buch und Bildschirm, zwischen alten Geschichten und neuen Formaten. Nicht zurück in meine Kindheit, sondern hinein in ihre. Mit wachen Augen, offenen Gesprächen – und ein bisschen WLAN.


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