Medienerziehung
Der ewige Kampf ums Smartphone: Ein Erfahrungsbericht
Es verbindet, bereichert – und sorgt oft für Ärger: Janina Mogendorf erzählt, wie sie mit der Handynutzung ihrer 14-jährigen Tochter umgeht, wo sie an Grenzen stößt und wie die Familie es immer öfter schafft, gemeinsam die richtige Balance zu finden.
veröffentlicht am 12.11.2025
Es passt in jede Hosentasche, aber es eröffnet Welten. Warum draußen Abenteuer erleben, wenn das beim Daddeln im warmen Zimmer geht? Warum mit Freunden treffen, wenn sie ohnehin nur einen Chat entfernt sind? Digital unterwegs zu sein, spricht die gleichen Belohnungs- und Sozialareale im Hirn an wie echte Aktivitäten, nur schneller und unkomplizierter. Deshalb ist der Griff zum Handy so verführerisch.
Eigentlich soll der Zwölfjährige Hausaufgaben machen, spielt aber auf dem Handy rum, weil er „nur kurz was nachschauen“ wollte. Während des Abendessens vibriert etwas und die Tochter muss unbedingt sofort gucken, wer geschrieben hat. An der Bushaltestelle starren alle Jugendlichen aufs Smartphone – die Kopfhörer in den Ohren. Szenen des Alltags.
Laut einer Studie des Digitalverbands Bitkom haben rund 86 Prozent aller Kinder ab zehn Jahren ein Smartphone. Es ist Timer, Kamera, Spielkonsole und vieles mehr. Außerdem der Schlüssel zur Peergroup: Wer nicht erreichbar ist, fühlt sich schnell ausgeschlossen. Eltern stehen dadurch vor einem Dilemma. Einerseits wollen sie ihren Kindern den digitalen Zugang ermöglichen, weil sie so Kontakte pflegen, lernen und kreativ sein können. Andererseits erleben sie täglich, wie schwer es ist, Grenzen zu setzen.
Ein bis zwei Stunden Bildschirmzeit sind für 12- bis 16-Jährige empfohlen
So wird das Handy immer wieder zum Streitpunkt. In vier von fünf Familien gibt es regelmäßig Diskussionen um den richtigen Umgang mit dem Endgerät. Da geht es zunächst einmal um die Dosis: Ein bis zwei Stunden Bildschirmzeit am Tag für 12- bis 16-Jährige empfiehlt Klicksafe, die deutsche Anlaufstelle der EU für mehr Sicherheit im Internet, für jüngere Kinder entsprechend weniger. Kleinkinder sollten in ihrer sensiblen Entwicklungsphase noch gar nicht auf Bildschirme gucken.
Dabei geht es nicht nur ums Handy, sondern auch um Tablets, Computer, Konsolen, Fernseher - ja sogar um E-Book-Reader. Die Auflistung zeigt, wie omnipräsent Displays in unserem Alltag sind und auch wie schwer es ist, diese Zeitvorgaben wirklich einzuhalten. Auch ich habe meiner 14-jährigen Tochter das Handy schon aus den Fingern gewunden oder bin lauter geworden, wenn gutes Zureden nicht half.
Sie hat am Tag eineinhalb Stunden Bildschirmzeit für verschiedene Apps und nutzt diese auch aus. Sie scrollt durch ihre WhatsApp-Kanäle oder schreibt mit Freunden, versucht, den nächsten Score bei Doodle-Jump zu erreichen, lernt Spanisch bei Duolingo, checkt die Schul-App nach Hausaufgaben. Zu glauben, dass es dabei bleibt, ist Augenwischerei.
Mal hier ein YouTube-Tutorial auf meinem Handy, mal dort lustige Reels auf Instagram. Dazu Fernsehen am Abend. All das kommt noch on top. Nicht selten bittet sie auch per Chat um mehr Bildschirmzeit. Die Anfragen erreichen mich meist, wenn ich gerade arbeite oder gedanklich ganz woanders bin. Und schon habe ich auf „weitere Viertelstunde erlauben“ geklickt. Das schlechte Gewissen kommt dann später.
Auch Eltern hängen zu viel vor ihren Bildschirmen
Es mag Familien geben, die analoger unterwegs sind als wir. Aber wenn ich mich in unserem Freundes- und Bekanntenkreis umhöre, zeigt sich überall ein ähnliches Bild. Am Ende sind wir Großen uns meist einig, dass wir gegen die digitale Anziehungskraft zu wenig ausrichten können. Zumal sie nicht nur unsere Kinder verleitet, sondern wir selbst uns auch schwer entziehen können.
Nur im Urlaub klappt das hervorragend. Da fliegt das Handy in die Ecke und wir sind draußen unterwegs. Das tut so gut, dass ich mir jedes Mal vornehme, nicht wieder in die Bildschirm-Falle zu tappen. Doch sobald der Alltag uns zurück hat, geht es von vorne los. Tatsächlich läuft neben Schule und Arbeit auch ein großer Teil der Familien-Orga online. Einkaufszettel erstellen, Termine abstimmen, an Gruppenchats teilnehmen. Und schon ist wieder eine halbe Stunde vergangen.
In Deutschland hängen Erwachsene im Schnitt 2,5 Stunden täglich am Smartphone – 16- bis 29-Jährige sogar drei Stunden, wie eine Bitkom-Erhebung von 2024 zeigt. Die Angaben beruhen auf Selbstauskünften, sind also nicht exakt – klar ist jedoch: Jüngere Generationen greifen deutlich häufiger zum Smartphone als ältere. Und Jugendliche? Laut einer aktuellen OECD-Studie verbringen viele 15-Jährige mehr als zwei Stunden am Bildschirm – zusätzlich zu Unterricht oder Ausbildung.
Der OECD-Bericht weist auch auf die gesundheitlichen Folgen hin. Kinder und Jugendliche, die besonders viel Zeit an digitalen Geräten verbringen, berichten häufiger von Schlafproblemen, innerer Unruhe und Unzufriedenheit. Ärzte warnen vor den Folgen des Bewegungsmangels und drohender Kurzsichtigkeit. Dinge, die uns Eltern Sorgen machen, wenn unsere Tochter mit dem Handy in der Hand mal wieder erst auf die zweite Ansprache reagiert.
Ein bewusster Umgang mit dem Smartphone ist wichtiger als Bildschirm-Minuten zählen
Wir möchten es aber auch nicht zu sehr einschränken. Wichtiger ist uns, dass sie versteht, warum wir ein Auge darauf haben, und dass sie lernt, sich selbst zu regulieren. Manchmal liegt das Handy vor ihrem Zimmer auf dem Flurboden. Dann weiß ich: Sie hat es bewusst rausgelegt, um nicht in Versuchung zu geraten. In der Schule gibt es dafür Handytresore im Klassenraum. Hier werden die Smartphones am Morgen eingeschlossen und vor Schulschluss wieder freigegeben.
Klingt wirkungsvoll, aber damit ist es nicht getan. Denn es geht ja nicht nur um die Menge, sondern auch um einen sicheren und reflektierten Umgang mit virtuellen Inhalten. Ein Vorzeigeland in Sachen Medien- und Digitalkompetenz ist Finnland. Hier lernen Kinder richtig zu recherchieren, Informationen und Quellen zu bewerten und verantwortungsvoll zu kommunizieren. Medienbildung ist fester Bestandteil der Aus- und Fortbildung von Lehrern. Als Mutter wünsche ich mir das auch in Deutschland.
Neben Expertinnen und Experten, die vor zu viel Bildschirmzeit warnen, gibt es immer wieder Stimmen, die die Debatten für übertrieben halten. Der britische Psychologe Andrew Przybylski vom Oxford Internet Institute hat mehr als 17.000 Jugendliche befragt. Das Ergebnis: Bildschirmzeit hat danach selbst vor dem Schlafengehen kaum messbaren Einfluss auf das Wohlbefinden. Viel entscheidender für die seelische Verfassung von Jugendlichen seien Schlafmangel, das Umfeld oder Schulstress.
Die richtige Balance finden zwischen virtueller Welt und realen Aktivitäten
Viele Fachleute betonen, dass es einen großen Unterschied macht, wie Kinder ihre Geräte nutzen. Kreative oder soziale Aktivitäten können bereichern, während reines Konsumieren auf Dauer weniger guttut. Fakt ist, wir kommen in der heutigen Welt nicht mehr an Bildschirmzeiten vorbei. Sie gehören einfach zu unserem Alltag. Statt Minuten zu zählen, achten wir hier zu Hause nun verstärkt darauf, eine gute Balance zu finden.
Dazu gehört, genau hinzuschauen: Was macht unsere Tochter am Handy? Tauscht sie sich mit Freundinnen aus, zeichnet sie digitale Bilder oder scrollt sie einfach nur rum? Am Esstisch sprechen wir über Infos und Nachrichten, die sie aus dem Netz fischt. So behalten wir einen Überblick darüber, was sie liest oder sieht, und können es gemeinsam einordnen. Seitdem haben sich viele neue Gesprächsthemen entwickelt, und das ist für alle bereichernd.
Gleichzeitig versuchen wir bewusst, Gegengewichte zur Bildschirmzeit zu schaffen: Ausflüge am Wochenende, eine Runde Kickern, bewusst Zeit draußen und in Bewegung verbringen, auf gemeinsame Mahlzeiten achten. Das klappt mal besser und mal schlechter – je nach Phase und Alltagsanforderungen. Aber wir bleiben dran, damit die digitale Welt die reale nicht verdrängt, sondern einfach gut ergänzt.







