Fürs Leben lernen
Der lange Weg zur Freundschaft
Nach dem Wechsel aufs Gymnasium war die Tochter unseres Autors monatelang unglücklich. Vor allem die Tatsache, dass sie keinen Anschluss fand, machte ihr zu schaffen. Ein Entschluss und die Reaktion einer Lehrerin brachten die Wende.
veröffentlicht am 08.05.2025
Der Wechsel von der Volksschule ans Gymnasium hat unsere jüngste Tochter sehr herausgefordert: Dass nach vier Jahren mit derselben Lehrerin ihr „Gute-Schülerin-Bonus“ wieder auf 0 gesetzt war, machte ihr zu schaffen, noch mehr aber belastete sie der Neuanfang bei den Klassenfreundschaften. Sie fand nicht auf Anhieb Anschluss und kam schlecht damit zurecht. Wir beruhigten uns mit dem Gedanken: Bei den beiden Älteren hat es sich ja auch eingespielt – und unternahmen vorerst nichts.
Das erste Semester ging vorüber, doch es wurde nicht besser. Cliquen mit Rädelsführerinnen formierten sich, unsere Tochter hechelte ihnen hinterher – und fand dennoch keine Freundin. In den Pausen war sie oft alleine, und in WhatsApp-Gruppen erhielt sie nie Antwort, wenn sie vergessen hatte, was Hausübung war. Dazu gesellten sich ein Verschlimmern ihrer Kurzsichtigkeit und auch der Abfall der Schulleistungen. Unser sonst fröhliches, leutseliges Mädchen kam oft weinend nach Hause. Die Freude an der Schule war verschwunden. Sie verstand die Welt nicht mehr.
Das Kind brauchte dringend Rückhalt durch Seelenverwandte
Vor den Semesterferien zogen wir dann einen Klassenwechsel in Erwägung. Anlass gaben verstörende Momente, als im Unterricht die Sexualkunde an der Reihe kam und auch in Pausengesprächen ständiges Thema wurde, auf grobe Art. Die von uns eingeworfene Binsenweisheit „besser keine Freunde als schlechte“ half nicht mehr weiter, denn unsere Tochter brauchte dringend Rückhalt durch Seelenverwandte, spürten wir. Ein nochmaliger Neubeginn sollte das bringen. So schrieben wir ihrer Klassenvorständin und präsentierten unsere Sorge. Was dann kam, werde ich nie vergessen.
Trotz vorgerücktem Abend rief die Lehrerin sofort zurück und nahm sich Zeit, eine ganze Stunde. Sie war überrascht, hörte zu, signalisierte Verständnis und versprach, für den Wechsel in eine Parallelklasse alles umsichtig in die Wege zu leiten, wenn unsere Tochter dies auch wirklich wünschte. Falls nicht, wollte sie das Ihre zur Freundschaftsanbahnung beitragen, wie etwa einen veränderten Sitzplan. „Habt ihr schon jemanden zu euch eingeladen?“, fragte sie mich, und sagte auch: „Vielleicht gelingt es doch, dass wir alle durch die Schwierigkeit wachsen, damit kein Scheitern im Gedächtnis bleibt.“
„Ich wollte zu den Coolen gehören, ich konnte nicht ich selbst sein“
Wir vereinbarten Bedenkzeit über die Ferien und hielten uns an den Rat der Lehrerin. So kam erstmals eine Klassenkollegin zu uns, mit der gemalt, Muffins gebacken und verspeist wurden, wir Eltern verharrten dabei im Hintergrund, um nicht „peinlich“ zu sein. Schon Tage später folgte ein Gegenbesuch. Als die Schule wieder losging, wusste unsere Tochter, wie sie auch ein anderes Mädchen für sich gewinnen könnte. Da es schüchtern war, begann sie, Briefe zu schreiben, im Unterricht wie auch zuhause. Papa und Mama durften Postboten sein und staunten über die liebe- und kunstvoll gestalteten Umschläge.
Monate später ist die Freude zurückgekehrt und der Gedanke an einen Wechsel verflogen. „Weißt du Papa, ich wollte anfangs unbedingt zu den ‚Coolen‘ gehören. Das war anstrengend, denn ich durfte da nicht ich selbst sein. Jetzt habe ich Freundinnen gefunden, die mich mögen wie ich bin und bei denen ich mich nicht verstellen muss“, höre ich aus ihrem Mund, bin dabei selbst staunend, glücklich und dankbar zugleich. Wahre Freundschaft ist ein Schatz, sie zu finden eine hohe Kunst – und wir Großen können dabei bei den Kindern in die Schule gehen.