Wallfahrt

Pilgern mit der ganzen Familie

Hannes Pernsteiner ist bereits als Kind mit seinen Eltern gepilgert. Jetzt hat er es mit der eigenen Familie gewagt. Und festgestellt: Fußwallfahrten wirken auf vielen Ebenen gleichzeitig und erreichen jeden Menschen auf ganz eigene Weise.

veröffentlicht am 06.07.2022

Zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen zählen die drei Tage vor Mariä Himmelfahrt, an denen ich mit meinen Eltern und Geschwistern jedes Jahr auf Fußwallfahrt nach Mariazell war. Sie waren Auszeit, Abenteuer und ein Stück Heimat zugleich: Das Unterwegssein mit anderen Familien unserer Pfarre, die freundlichen Oldies, die uns Kindern täglich Kracherl und Eis spendierten, die Matratzenlager in Pfarrsälen und die tägliche Einkehr in Gasthäusern. Dass wir Kinder dabei sicher auch oft über den weiten Weg jammerten, ist heute vergessen. Seinen Reiz hatte auch, dass wir die malerische Route durch sanftes Hügelland, Wälder und tiefe Schluchten irgendwann auswendig kannten und dann als Vorhut mit Ästen Pfeile an Weggabelungen legten, damit sich die anderen nicht verirrten. Ganz gelang das nie, denn ein, zwei für ein paar Stunden abhanden gekommene Pilger unserer bis zu 100-köpfigen Gruppe waren jedes Mal genauso vorprogrammiert wie das Amen bei den Rosenkränzen an den Raststationen.    

Lange blieb es nur ein Wunschtraum, auch unseren Kindern zu einer ähnlichen Erfahrung zu verhelfen: Zwar gab es die Tradition in meiner Heimatpfarre noch, die Pilger von damals waren aber in die Jahre gekommen. Dann aber, im Spätsommer just des ersten Coronajahres, kam die Gelegenheit aber doch, als Schwester Anna, eine mit uns befreundete Ordensfrau, nach Familien suchte, mit denen sie erneut zu Fuß nach Mariazell gehen wollte. Meine Frau und ich rührten in unserem Bekanntenkreis die Werbetrommel. Mit den ersten Zusagen meldeten sich auch unsere Zweifel: Wie wollten wir unsere eigenen Stadtkinder dazu bringen, 20 Kilometer pro Tag zu marschieren? Denn trotz aller Sportlichkeit sind sie keine geborenen Weitwanderer, und mehr als ein Drittel der Tagesstrecke schafften wir bei familiären Probe-Halbtagestouren nie.

20 Kilometer pro Tag – ob die Kinder das mitmachen?

Alle Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet. Wir staunten nur, wie sehr es beflügelt, mit anderen am Weg zu einem gemeinsamen Ziel zu sein. Die Kinder suchten sich sofort Freundschaften unter ihresgleichen und bildeten Grüppchen, und wir Erwachsenen taten es ihnen nach. Sr. Anna hatte vorgesorgt und außer einem Auto für das Nachtgepäck auch einen Minibus aufgetrieben, deren Chauffeurin mehrmals täglich alle Erschöpften aufsammelte und bis zum nächsten Halt brachte. Manche Kinder nutzten dies freudig, andere wiederum packte der Ehrgeiz, die gesamte Strecke durchzugehen, oder sie legten sich eigene Strategien zu. Unser Ältester übte mit anderen beim Gehen das Balldribbling, während sich unsere damals knapp Siebenjährige rasch ihrer Wanderschuhe entledigte und das Freiheitsgefühl beim Barfuß-Lauf über die Almwiesen genoss. Es gab nun auch ein eigenes Corona-Schutzkonzept und eigene Dienste fürs Ausschildern des Weges und für das Schlusslicht, dank derer uns niemand mehr abhandenkam.

Dass das Ganze zum Selbstläufer wurde und wir mit Sr. Anna nun schon die dritte Wallfahrt vorbereiten, ist sicher eine Folge dessen, dass das Pilgern auf so vielen Ebenen gleichzeitig wirkt und alle Beteiligten ganz individuell erreicht. Die spirituellen Impulse, Andachten und Lieder, die vielen Gespräche beim Gehen, das Teilen freudiger wie auch leidvoller Geschichten und die gegenseitige Hilfe beim Rucksacktragen – im wörtlichen wie übertragenen Sinn – überwinden alle kulturellen Grenzen und berühren selbst diejenigen, die keine regelmäßigen Kirchgeher sind. Alle wachsen bei einer Wallfahrt über ihre Grenzen hinaus, trotz Blasen an den Füßen, Sonnenbrand und Regengüssen. Das gilt erst recht für die Kinder, ohne die die Unternehmung nur halb so schön und lebendig wäre. Von den älteren Semestern der Gruppe werden sie wohl auch heuer wieder mit Traubenzucker, Gummibärchen und Eis versorgt werden. Und genauso wie einst meine Eltern, werden nun auch wir dabei beide Augen zudrücken und sie gewähren lassen.


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