Recht auf Zweisamkeit

Eltern werden, Liebespaar bleiben

Babys sind süß, aber laut Studien oft echte Beziehungskiller. Mutter oder Vater können lernen, sich selbst treu zu bleiben, die eigenen Bedürfnisse zu kommunizieren und sich als Paar Rituale zu schaffen – auch abseits des Familienalltags.
  • Sarah Zöllner

veröffentlicht am 09.02.2023

Sina Vogt* erinnert sich gut an die ersten Monate mit ihrem Sohn: „Er war eigentlich ein pflegeleichtes und zufriedenes Kind. Dennoch stritt ich mich in den Monaten nach seiner Geburt so oft wie nie davor mit meinem Partner. Mein ganzes Leben war auf den Kopf gestellt. Vor der Geburt unseres Sohnes war mir meine Arbeit sehr wichtig gewesen. Ich war viel gereist, hatte einen großen Freundeskreis. Als Levy auf der Welt war, saß ich plötzlich nur noch zu Hause herum. Essen, stillen, wickeln, schlafen. Unser Sohn benötigte sehr viel Körperkontakt. Den bekam er, indem ich ihn stundenlang herumtrug. Oft schlief ich dabei fast ein, denn die Nächte waren unruhig. Wenn mein Mann dann abends von der Arbeit nach Hause kam, hätte ich ihm den Kleinen gern sofort in den Arm gedrückt. Aber er war selbst oft müde, erschöpft von seinen Aufgaben im Beruf. Irgendwie lagen unsere Leben auf einmal meilenweit auseinander.“

Das bestätigt auch Paartherapeutin Vera Matt: „Oft machen sich Paare keine Vorstellung davon, was es bedeutet, ein Kind zu haben. Plötzlich gibt es die Zweisamkeit als Paar nicht mehr, stattdessen ist man zu dritt.“ Zudem bestehe zwischen Mutter und Neugeborenem schon biologisch eine unglaublich enge Bindung. Während die Mutter in der Schwangerschaft die Kindsbewegungen spüre, Morgenübelkeit und Übungswehen habe, zum Frauenarzt gehe und versuche, sich gesund zu ernähren, gehe das Leben vieler Männer einfach weiter wie bisher. Mit der Geburt selbst verändere sich für die Mutter der Alltag noch einmal gravierend, während sich für die Väter oft nur äußerlich etwas ändere.

Zwischen erwachsenen Menschen müssen sich Nähe und Distanz abwechseln

Tatsächlich gehen viele Mütter ganz in ihrer neuen Rolle auf, so die Paartherapeutin aus Falkensee bei Berlin. Das sei am Anfang auch normal. Drehe sich jedoch auch nach der ersten Euphorie alles nur noch ums Kind, reduziere das die Partnerschaft auf Elternschaft. Man werde zum „Kinderversorgungs-Team“. Darunter leide nicht nur die gegenseitige Anziehung, sondern auch die Kommunikation: „Wenn kleine Kinder da sind, ist das Oxytocin, das Kuschelhormon, normalerweise reichlich vorhanden. Aber zwischen erwachsenen Menschen müssen sich Nähe und Distanz abwechseln, sonst wird das Ganze symbiotisch. Dann erwartet man, dass der andere tickt wie man selbst, und führt plötzlich nur noch Alltagsverwaltungsgespräche im Sinne von: ‚Wer fährt wen wann wohin?‘ oder ‚Wer kauft ein?‘“

Damit es gar nicht erst zu aufgestautem Frust kommt, rät Paartherapeutin Matt jungen Eltern, sich schon in der Schwangerschaft Gedanken zu machen, wie sie das Leben zu dritt gestalten wollen: „Es ist sehr wichtig, schon vor der Geburt des Kindes zu klären: Wie gehen wir mit eigenen Bedürfnissen um? Welchen Erziehungsstil wollen wir pflegen? Was machen wir, wenn wir überfordert sind, weil das Kind nächtelang weint? Wie wollen wir unser Kind betreuen lassen?“

Nicht immer lässt sich der Alltag als Familie wie geplant gestalten. Sei es, dass Eltern keine Kinderbetreuung für ihr Kind finden, Arbeitgeber vom frischgebackenen Vater Überstunden erwarten oder Großeltern und Freunde zu weit entfernt wohnen, um die Eltern zu unterstützen. Oft sind es ungünstige Rahmenbedingungen, die den Alltag als Familie belasten und damit Konfliktpotenzial mit sich bringen. Das bestätigt auch Paar­therapeutin Vera Matt: „Wenn der Akku leer ist, steigt der Stresspegel. Und an wem lässt man seinen Stress aus? Natürlich an seinem Partner, so sind wir halt.“

Freiräume im Alltag schaffen

Um dem vorzubeugen, empfiehlt sie als ersten Schritt die „Selbstdifferenzierung“: „Gerade Mütter verschwinden oft in einem großen Wir“, so die Paartherapeutin. „Dann hilft es, sich zu fragen: Was ist mir wichtig und wofür stehe ich? Im Alltag kann das bedeuten, dass ich bei meinem Nein bleibe und mich nicht herumkriegen lasse. Oder dass ich niemanden unterbreche oder mich selbst nicht unterbrechen lasse. So einfache Dinge. Diese Selbstreflexion ist auch mit wenig Zeit möglich, zur Not auf der Toilette.“ Zudem helfe es jungen Eltern, Rituale zu schaffen: „Fährt man am Wochenende gemeinsam weg, während die Großeltern oder die beste Freundin die Kinder versorgen, hat man Input von außen und schläft vielleicht auch besser. Dadurch entsteht Raum für Gespräche.“

Auch für die gemeinsame Sexualität sei ein Kulissenwechsel hilfreich: „Liegt man nach einem leckeren Essen im Hotel unbekleidet nebeneinander und unterhält sich, ist das schon sehr nah und intim. Irgendwann übernimmt die Biologie dann hoffentlich den Rest“, so die Paartherapeutin. Allerdings weiß sie auch, dass oft praktische Gründe die Lust von Müttern dämpfen. So gebe es, je nachdem, wie die Geburt verlaufen sei, womöglich Verletzungen wie einen Dammriss oder eine Kaiserschnittnarbe: „Dann ist Sex das Letzte, woran die Frau denkt.“ Zudem unterdrücke das Kuschelhormon Oxytocin, das beim Schmusen mit dem Baby ausgestoßen werde, das Verlangen. Auch unausgesprochene Erwartungen belasteten die Sexualität: So beklage sich der Mann vielleicht, dass er die Brust der Frau nicht mehr berühren dürfe, für sie aber gehört ihre Brust, mit der sie stillt, gefühlt gerade dem Baby. „Darüber kann man reden“, so die Expertin: Wichtig sei nur, die eigenen Bedürfnisse ohne Vorwurf zu äußern.

Herausforderungen kreativ und mit Humor begegnen

Schließlich gibt sie noch einen Tipp für mehr Leichtigkeit im Alltag: „Paare können spielerisch mit ihrer neuen Rolle umgehen. Dann kann man im Alltag, wenn der andere ‚muttiglich‘ oder ‚vatiglich‘, also mit Zurechtweisungen und Schulmeisterung, reagiert, auch mal spaßhaft ‚Ja, Mutti!‘ oder ‚Ja, Vati!‘ antworten.“ Außerdem könne man sich überlegen: Was sind coole Elternvorbilder im Bekanntenkreis oder aus der eigenen Kindheit? So könne man für sich herausfinden, was für Eltern man sein wolle: „Sind wir Eltern, die vieles nicht mehr tun, weil wir Kinder haben, oder sind wir Eltern, die einen Heidenspaß haben an und mit ihren Kindern, aber auch in der Zeit ohne ihre Kinder?“ Da sei viel möglich, als Paar dürfe man ruhig kreativ werden, so die Therapeutin.

Sina und ihr Mann haben schließlich die Kurve gekriegt und sich als Paar wiedergefunden: „Inzwischen wissen wir, was uns auf die Palme bringt. So können wir den größten Konfliktpunkten aus dem Weg gehen. Außerdem wissen wir, was der andere braucht, wenn es besonders stressig wird. Und als wir über Silvester tatsächlich mal eine Nacht ohne unseren Sohn im Hotel übernachtet haben, fühlte sich das richtig abenteuerlich an. Ein bisschen, als wären wir frisch verliebt.“

* Name von der Redaktion geändert

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