Glauben

Begeisterung, Wut, Pragmatismus – Menschen erzählen, wie sie zur Kirche stehen

Viele Gläubige hadern mit der Kirche und fühlen sich dennoch in ihr zuhause. Wir haben Frauen und Männer gefragt, durch welche Angebote sie (wieder) einen Zugang zur Kirche gefunden haben.

veröffentlicht am 26.10.2021

Kirche ist mehr als Sonntagsgottesdienst

Ursula Bechheim

Ihre Töchter, 18 und 21, nehmen seit Jahren – zunächst als Teilnehmerinnen, mittlerweile als Leiterinnen – an den Ferienfreizeiten der Pfarrgemeinde im Sommer auf Ameland teil. Inzwischen ist auch Ursula Bechheim als Köchin dabei.

„Auf den Freizeiten erlebe ich die Kirche unheimlich modern und locker. Viel lockerer und offener als ich sie sonst wahrnehme. Ich bin in einem katholischen Elternhaus aufgewachsen, wo alles sehr starr war. Sonntagsmorgens ging man in die Kirche, da war der Glaube, da war der liebe Gott. Den Rest der Woche hat das eigentlich keine große Rolle gespielt. Auf Ameland habe ich gemerkt: Kirche ist nicht nur, wenn man im Gottesdienst ist. Kirche ist viel, viel mehr. Die Gemeinschaft, die Werte, der Wunsch, den Kindern etwas mitzugeben, das ist auch schon Kirche.

Generell würde ich mir wünschen, dass die Kirche viel offener wird. Egal ob es um Frauen in der Kirche geht oder um gleichgeschlechtliche Paare. Auch für Kinder und Jugendliche könnte noch viel mehr gemacht werden, vor allem für junge Familien, die vielleicht keine Verbindung zur Kirche haben. Solche Familien erreichen wir mit den Ferienfreizeiten. Da ist es egal, ob die Kinder getauft sind oder welcher Konfession sie angehören. Alle dürfen mitfahren!“

Ursula Bechheim (50), Sekretärin

Mit Gott die Liebe feiern

Patricia Grewatta

Patricia Grewatta und ihre Frau haben im September vergangenen Jahres geheiratet. Einige Monate später stellten sie ihre Ehe in einem Segnungsgottesdienst für Paare in ihrer Pfarrgemeinde unter den Schutz Gottes.

„Wir wollten nicht nur heiraten, sondern das Ganze auch mit unserem Glauben vereinbaren. Wir sind beide katholisch und entsprechend erzogen worden. Also wollten wir auch mit der Unterstützung durch Gott, mit ihm, unsere Ehe feiern. Die Segnung verändert unsere Beziehung nicht, aber sie ist eine Grundfeste für unser Leben.

Dass viele in der Kirche so strikt dagegen sind, verursacht bei mir eine gewisse Wut und ein Unverständnis. Wenn man sich mit der christlichen Lehre auseinandersetzt, dann ist das, was wir praktizieren, nicht verboten. Wenn man die Bibel neu liest, mit dem heutigen Verständnis, mit dem, was sich mittlerweile in der Gesellschaft getan hat, und nicht aufgrund der Auslegungen irgendwelcher Theologen vor 20 oder 50 oder 100 Jahren, dann tun wir nichts, was nicht erlaubt ist. Denn es geht um die Liebe. Wir lieben uns und es ist uns wichtig, das auch vor Gott zu tun. Wir sind uns sicher, dass wir von Gott unterstützt werden und dass er uns liebt.

Wir sind beide gläubig und leben unser Leben nach den christlichen Werten, die ja auf dem Grundprinzip der Liebe basieren. Weil unser Pfarrer das unterstützt, ist das für uns ein Gewinn und es macht Spaß, sich zu engagieren und vielleicht auch ein Vorbild für andere gleichgeschlechtliche Paare oder geschiedene Paare oder andere zu sein. Zu sagen, der Glaube ist uns wichtig, und egal, was die Kirche macht, wir stehen dazu und leben das auch.“

Patricia Grewatta (35), Schulleiterin einer Grundschule

 Als Patchworkfamilie in der Kirche zuhause

Marcus Marhoffer

Er hat zwei Kinder aus einer früheren Partnerschaft, die die Hälfte der Zeit bei ihm leben. Mit seiner Frau hat Marcus Marhoffer ein weiteres Kind. Die Kirche spielt im Alltag der Familie eine große Rolle.

 „Meine Frau habe ich in der Pfarrgemeinde kennengelernt, in der wir beide angedockt sind. Ich war dort mit meinen größeren Kindern häufig in den Gottesdiensten und sie singt seit vielen Jahren im Kirchenchor. Auf einer Reise nach Assisi haben wir uns angefreundet.

Unser Fall ist aus kirchenrechtlicher Sicht unproblematisch, weil ich vor der Ehe nicht verheiratet gewesen war. Aber es gibt in der Gesellschaft und auch in meinem Freundeskreis immer mehr geschiedene und wiederverheiratete Paare, die formal ein Problem haben. Für mich persönlich zählt in diesem Zusammenhang die Geschichte vom verlorenen Sohn, und ich denke, dass die Kirche mehr Spielraum hätte, wenn sie die Thematik mehr aus diesem Blickwinkel betrachten würde. Ich wünsche mir mehr Gelassenheit. Beim Papst nehme ich diese Gelassenheit schon mehr wahr als auf Seiten einiger Amtsvertreter. Das finde ich bedauerlich.

In unserem Familienalltag spielt die Kirche eine wichtige Rolle. Wir leben unseren Glauben sehr intensiv, vor allem mit dem Jüngsten. Die Kirche bietet viele Möglichkeiten für Kinder, Jugendliche und Familien. Auch für Alleinerziehende und Getrenntlebende gibt es ein großes Angebot. Sie sollte diese Angebote aber stärker bekannt machen. Sie sollte trommeln, damit sie gehört wird, und nicht warten, dass die Leute von selbst kommen.“

Marcus Marhoffer (52), Volkswirt

Gute Erfahrungen beim Krabbel-Kurs

Elena-Marie D'Auria

Mehr als zwei Jahre lang besuchte Elena-Marie D’Auria mit ihrer Tochter eine Gruppe des Eltern-Kind-Programms (EKP) in der Pfarrgemeinde an ihrem Wohnort. Die 36-Jährige ist aus der katholischen Kirche ausgetreten, schätzt aber die kirchlichen Angebote für Familien.

„Ich bin zwar getauft, habe aber nie eine tiefere Verbundenheit mit der Kirche gespürt. Nach allem, was man so hört über die Kirche, möchte ich nicht mehr dazugehören. Vieles ist veraltet. Sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart hat sie nicht viel Gutes gebracht. Es ist nicht alles schlecht, es gibt auch schöne Sachen wie zum Beispiel Angebote für Familien wie das Eltern-Kind-Programm. Ich glaube persönlich an Gott, aber ich sehe ihn eher in der Natur und in der Liebe – und nicht in der Kirche.

Dass ich zum EKP gekommen bin, hatte ganz pragmatische Gründe. Ich habe fast direkt neben dem Gemeindehaus gewohnt, in dem die Gruppe sich getroffen hat. Die Treffen haben einmal in der Woche nachmittags stattgefunden. Wir haben immer zuerst diese typischen Finger- und Singspiele gemacht. Anschließend gab es jeweils eine Aktion wie Blättersammeln oder Ähnliches, eine Pause zum Essen und Unterhalten und als Abschluss eine Freispielzeit für die Kinder. Vor dem Essen wurde immer ein Gebet gesprochen. Es war immer eine schöne Mischung, ich kann das jedem empfehlen.“

Elena-Marie D'Auria (36), Außendienstlerin

Für viele Eltern ist die Erstkommunionvorbereitung ihrer Kinder ein Anlass, sich wieder mehr mit dem eigenen Glauben zu beschäftigen. Zum Beispiel bei der Leitung einer Vorbereitungsgruppe. Wir haben eine dieser Gruppen besucht.


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