Meinung

Warum ich in der Kirche bleibe – Bekenntnis einer neu Getauften

Maureen Hermsen ist noch neu in der Kirche. Vor drei Jahren hat sie sich taufen lassen. Jetzt beobachtet sie, dass die Kirche am Boden liegt, dass so viele Menschen austreten wie nie zuvor. Aber sie hat sich entschieden zu bleiben. Noch.

veröffentlicht am 26.04.2022

Resignierend stehen wir gegenwärtig – ganz persönlich und global – vor einer Welt, die beherrscht wird von Krieg, Pandemie und Existenzangst. Wir bangen angesichts der Kampfhandlungen in der Ukraine, ein Virus bedroht uns, unsichtbar und doch allgegenwärtig. Uns fehlen Nähe, Freundschaft, Miteinander. Noch immer ist nichts von dem, was unser tägliches Leben ausgemacht hat, wieder so, wie es war. Wir wissen nicht einmal, ob es je wieder so werden kann. Kurzum: Es sind düstere Zeiten, Zeiten, in denen wir uns umso mehr einander zuwenden sollten statt den Abstand zu unserer Mitte werden zu lassen.

Einer der Orte, an dem wir uns immer wieder in Hoffnung und Zuversicht versammelt haben, ist unsere Kirche. Dort kommen wir zusammen als Gemeinde, Gemeinschaft, Freunde, Gläubige, Christen. Ein Zufluchtsort, an dem wir sein dürfen und gesehen werden.

Ist es allein der Missbrauchsskandal, der so viele austreten lässt, oder ist es die Konsequenz aus einer immer größer gewordenen Distanz?

Und doch kommen viele nicht mehr. Wenden sich ab. Treten aus. Diese unsere katholische Kirche hat uns bitter enttäuscht. Ist es aber wirklich allein der Missbrauchskandal, der jetzt so viele austreten lässt oder ist es nur die Konsequenz aus einer über die Jahre immer größer gewordenen Distanz? Sicher ist: Es ist ein Weg, den derzeit viele gehen, die so nicht mehr weitermachen wollen.

Kann, darf ich selbst da überhaupt mitreden? Vor drei Jahren in der Osternacht wurde ich erst getauft. Ich bin sozusagen noch neu. Gleichzeitig habe ich mich intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, ob ich überhaupt zur katholischen Kirche gehören möchte, ich durfte diese Entscheidung bewusst treffen. Schon damals sind mir mehrere begegnet, die mich gefragt haben, warum ich in diesen Zeiten und besonders als Frau gerade in die katholische Kirche eintrete. Zwar waren meine Kinder bereits katholisch getauft. Über sie habe ich den Weg in die Gemeinde gefunden und damit in diese Kirche.  

Ich bin anders hineingewachsen als die, die als Kinder bereits getauft wurden und im Glauben und Gemeinschaft groß geworden sind. Und doch fühle ich mich zugehörig. Es gibt so viele für mich veraltete, verkrustete Strukturen und große Fragezeichen in dieser, meiner, unserer kirchlichen Welt, so vieles, dass ich nie werde teilen oder nachvollziehen können – allem voran die Rolle der Frau in der katholischen Kirche. Und doch bin ich da. Und bleibe. Noch.

Hier finde ich Menschen, die mich aufnehmen, die zu mir stehen und zu denen ich stehe

Vor allem nämlich hat mich diese Kirche zu etwas gebracht, was ich liebe und nicht missen möchte: eine wunderbare Gemeinschaft in einer Gemeinde im oberbayerischen Gilching. Hier ist der Ort, an dem ich Menschen treffe, die so denken wie ich, die mich aufnehmen, unter denen ich sein darf, die zu mir stehen und zu denen ich stehe. Ich wünsche mir, dass das so bleibt, dass es weiter wächst. Zugleich habe ich Angst um dieses Miteinander, wenn ich sehe, dass einige meiner Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter inzwischen nicht mehr die Kraft aufbringen können, zu ihrer Kirche zu stehen.

Ja, ich habe einen Traum. Ich träume von einer Kirche, die ehrlich und von innen heraus einen Weg in die Zukunft gehen will und bereit sein wird, neue, unbekannte Pfade zu gehen.  Mich persönlich lässt der Synodale Weg immer noch hoffen. Sicherlich hätten wir diesen nie gebraucht, wenn zu früherer Zeit anders gehandelt worden wäre, vor allem aber, wenn das Gespräch aller mit allen Mittelpunkt der Kirche gewesen wäre. Verzweifelt suchen wir jetzt diesen Dialog, müssen uns mühsam wieder auf den Weg machen. Wohin er führt? Wir wissen es nicht. Ob wir an das Ziel unserer Wünsche gelangen? Wir hoffen es.

Könnte ich zu einer katholischen Kirche stehen, in der dann doch alles bleibt, wie es schon immer war? Eher nicht. Noch aber weigere ich mich, meine Kirche an dem Zeitpunkt zu verlassen, an dem sie am Boden liegt. Mir tut es in der Seele weh, wenn unsere Gemeinschaft hier vor Ort erdrückt wird von Schuld und Ballast, der auf den Schultern der Institution Kirche lastet und ich träume davon, dass wir hier in Gilching ein Senfkorn Hoffnung sein können, Hoffnung für eine bessere Kirche.

Maureen Hermsen (45) ist dreifache Mutter. Über ihre Kinder und besonders intensiv in deren Vorbereitung auf die Erstkommunion ist die enge Verbindung zu ihrer Heimatgemeinde St. Sebastian in Gilching entstanden. Dort engagiert sie sich mit für die Öffentlichkeitsarbeit der Pfarrei, kümmert sich um die Sternsinger und setzt sich da ein, wo sie gebraucht wird.


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