Kulturwandel

„Schöpferische Minderheit“: Theologe Christian Bauer über die Zukunft der Kirche

Die Kirche befindet sich in einem massiven Strukturwandel. Für den Innsbrucker Pastoraltheologen Christian Bauer jedoch kein Grund zu klagen. Er macht Mut, sich auf neue Wege einzulassen, um die Seelsorge der Zukunft schöpferisch zu gestalten.

veröffentlicht am 25.03.2022

Eines Ihrer Themengebiete, mit dem Sie sich intensiver beschäftigen, ist der Klerikalismus. Ist das ein Problem, an dem die Seelsorge heute krankt?
Das ist ein Thema, an dem man als Pastoraltheologe oder -theologin gar nicht vorbeikommt, weil es die Wirklichkeit in den Gemeinden stark prägt, Menschen aus der Kirche heraustreibt und Mitarbeitende der Kirche verzweifeln lässt. Klerikalismus meint die sakral überhöhte Machtstellung eines bestimmten Standes in der Kirche. Papst Franziskus spricht von einer Priesterkaste. Das Befreiende in seinem Pontifikat ist, dass dieses K-Wort nun in Angesicht der Missbrauchskrise besprechbar wird und wir den Klerikalismus in Richtung Synodalität überschreiten können. Ein bitter nötiger Kulturwandel!

Inwiefern wachsen angehende Priester in diesen Klerikalismus hinein? Werden sie genügend auf die Realität vor Ort vorbereitet?
Da gibt es zwei Aspekte. Der eine ist: Wie praktisch ist die Ausbildung? Oft ist es so, dass die pastoral-praktischen und die theologisch-theoretischen Teile der Ausbildung eher separiert sind. Das muss mehr ineinandergehen. Man muss die praktische Erfahrung als einen Ort theologischer Erkenntnis verstehen. Die andere Frage ist: Wie werden Priester im Seminar ausgebildet? Da gibt es Überlegungen für alternative Wege, denn wenn junge Männer in einem geschlossenen Haus privilegiert versorgt miteinander leben, ermöglicht das natürlich eine ständische Grundhaltung.

Was ist die größte Veränderung in der Seelsorge?
Es gibt das romantische Bild des Pfarrers von Ars im 19. Jahrhundert, der in seiner Gartenlaube sitzt, das Brevier betet, die Vögel zwitschern und die Schäfchen kommen zu ihm. Das hat sich völlig gedreht. Eine reine Komm-herPastoral funktioniert nicht mehr, sondern es braucht auch eine Geh-hin-Pastoral. Und dann gibt es da noch die Vergrößerung der pastoralen Räume. Ich glaube, man muss ein Stück den Anspruch reduzieren, überall mit dem vollen Programm präsent zu sein. Dazu reichen die Ressourcen nicht aus. Wir müssen uns daher von einer flächendecken den Pastoral hin zu einer flächeentdeckenden Pastoral weiterentwickeln. Kirche ist dann nicht mehr nur „drinnen daheim“ im gewohnten Pfarrmilieu, sondern auch „draußen zu Hause“ in der spätmodernen Gesellschaft unserer Zeit.

Wie sieht die Zukunft der Kirche aus?
„Die Zukunft der Kirche ist die Diaspora.“ Diese These hat Karl Rahner schon in den frühen 1950er-Jahren hier im heiligen Land Tirol aufgestellt. Wir werden in der Gesellschaft der Zukunft weniger sein – weniger Christinnen und Christen, weniger Priester, weniger Hauptamtliche. Und eine Minderheit hat immer zwei Möglichkeiten: Man kann sich ins Ghetto zurückziehen und sich als den heiligen Rest verstehen oder offen werden und eine schöpferische Minderheit sein. Welchen Weg wir wählen, ist die entscheidende Frage der Pastoral der Zukunft.


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