Lernen im Verein

Sport bedeutet mehr als Medaillen und Pokale

Zwei junge Übungsleiter des Sportvereins DJK Grün-Weiß Werl in Nordrhein-Westfalen wollen die Freude, die sie im Verein erleben durften, an die Kinder ihrer Trainingsgruppe weitergeben. Zugleich wachsen sie selbst an ihren Aufgaben.
  • Martin Haselhorst

veröffentlicht am 30.06.2018

Wenn Milu große Augen macht, passiert meist Wunderbares. Sie steht am von ihr aufgebauten Kletterparcours und staunt. Vor ihr hangelt sich der zehnjährige Finn von Sprosse zu Sprosse und springt auf den Weichboden – geschafft. „Habt ihr das gesehen?“, fragt sie ungläubig in die Runde. Schon ist sie bei dem Jungen und klatscht ihn stolz ab. Momente, in denen die 20-jährige Übungsleiterin fühlt, was Sport im Verein möglich macht.

Finn lacht und macht weiter. Das Kind hat motorische Einschränkungen, fühlt sich seit zwei Jahren in dieser Trainingsgruppe der DJK Grün-Weiß Werl aber pudelwohl und endlich anerkannt. Junge Trainer der zehn- und elfjährigen Kinder sind Milu Klotz und Janis Farendla (18). Beide sind seit frühester Kindheit Mitglied in „ihrer“ DJK und kümmern sich jetzt um die älteren Grundschulkinder. Für beide eine Selbstverständlichkeit und eine Art Berufung. „Wir sind Teil einer Gemeinschaft und haben uns gemeinsam zum Ziel gesetzt, den Kindern den Spaß am Sport näherzubringen und sie dabei dann zu unterstützen“, sagt Milu. Es sind die kleinen Erfolgserlebnisse, nicht die gewonnenen Medaillen und Pokale, die bestätigen. „Das zu beobachten, ist ein wunderbares Gefühl“, schwärmt Milu, „vor allem, wenn man weiß, dass man etwas – wenn auch vielleicht nur einen kleinen Teil – zu dieser Entwicklung beigetragen hat.“

Janis und Milu sind das, was sich Sportvereine wünschen: groß geworden im Club, nach und nach in die Verantwortung gewachsen und inzwischen selbst schon tragende Persönlichkeiten. Jetzt sind sie Übungsleiter, Veranstaltungsmoderatoren, Betreuer bei der vereins-internen Kinderferienfreizeit und natürlich auch aktive Leichtathleten. Klingt alles nach ganz viel Klischee, wird aber von beiden gelebt. „Ich habe früher viel von den Älteren im Verein gelernt und möchte das jetzt an die Kleinen weitergeben“, sagt Janis. Er ist sich sicher, dass er im Sportverein viel für seine persönliche Entwicklung mitgenommen hat. Ein Aspekt, der auch Milu anspornt. Der Verein ist für sie ein sozialer Fixstern. „Ich weiß, wie es sich anfühlt, Teil so einer Gemeinschaft zu sein. Und ich will genau das den Kindern vermitteln“, sagt sie. Sie will Kindern helfen, sie unterstützen und bei kleinen Problemchen für sie da sein.

Fehler sind erlaubt

Dabei müssen junge Menschen, die sich im Sportverein engagieren, auch Fehler machen dürfen. Bei ihren U12-Kindern haben Milu und Janis das vor einem Jahr erlebt. Die große Gruppe war schwierig, zuweilen fühlten sich beide überfordert. Der Austausch mit älteren und anderen Übungsleitern war wichtig, um das Problem eigenverantwortlich zu meistern. Soziales Lernen im Sportverein: „Ich habe auch gelernt, nicht nur den Erfolg zu feiern, sondern auch Verantwortung zu übernehmen für Dinge, die nicht so gut gelaufen sind“, sagt Milu. Wichtig für sie ist, dass ihr der Verein auch zur Seite steht. „Sollte man mal Zweifel haben, gibt es immer jemanden, der hilft“, erzählt sie. Nur so könne sie sich weiterentwickeln.

Die Leichtathleten der DJK Werl haben ein Leitbild entwickelt, das zum fast 100 Jahre alten und anachronistischen Begriff der 1920 gegründeten Deutschen Jugend Kraft nicht so recht passen will, hinter dem sich die jungen Mitglieder des Vereins aber heute versammeln können. Leistung spielt dort eine Rolle, ist jedoch nicht das Kriterium, über das sich der Verein vorrangig definieren möchte. Schlagworte wie Familienverein, Integration, Inklusion und soziale Anlaufstelle stehen auf dem Papier, müssen aber auch gelebt werden. Dazu braucht es Konzepte – und junge Leute wie Janis und Milu.

Dass sie nicht alleine sind, erleben sie auch bei Treffen mit anderen Sportlern und Sportvereinen, die ähnlich ticken. So wie kürzlich beim DJK-Bundessportfest in Meppen, dem alle vier Jahre stattfindenden Treffen der katholischen Sportvereine. Dort flatterten an einem der vielen Zelte Fähnchen mit der Aufschrift: „Sport um der Menschen willen!“. Die Veranstaltung weckte Ehrgeiz, es ging ja auch um Medaillen. Dennoch war hier zu begreifen, dass viele Sportvereine mehr leisten, als nur Plattform für das Streben um Titel und Rekorde zu sein. „Hier ist ein besonderer Geist zu spüren“, stellte DJK-Bundesvorsitzende Elsbeth Beha (Mannheim) fest. Die Gemeinschaft und Persönlichkeitsentwicklung als Ziele würden sich gerade in der Praxis der christlich geprägten Sportvereine wiederfinden. „Es muss unsere Aufgabe sein, die Kinder und Jugendlichen zu selbstbewussten, reifen und verantwortungsvollen Menschen zu machen“, sagt sie. Das ist der Anspruch, der bei den katholischen Sportvereinen durchaus auch international erhoben wird. Seit 1991 gibt es die „Federation Internationale Catholique d’Education Physique et sportive“ (FICEP) – gefördert wird das christliche Menschenbild in Sport und Gesellschaft. Unter den dort organisierten Verbänden, die regelmäßig auch Jugendliche aus mehreren Ländern zu den FICEP-Spielen rufen, gehört auch die SPORTUNION Österreich.  Ebenso wie der DJK-Bundesverband und große nationale Sportverbände wird auch hier auf große sportpolitisch vorangetriebene Programme wie „Ugotchi – Kinder gesund bewegen“ (Österreich) oder „Kinder stark machen“ (Deutschland) gesetzt.

Teamgeist erfahren

Die Praxis und Umsetzung aber findet in den Vereinen statt. Janis möchte Kinder stark machen und wurde selber stark gemacht. „Beim Sport und im Engagement habe ich gemerkt, dass von nichts nichts kommt“, erzählt der 18-jährige Abiturient. Eigeninitiative und Einsatz seien wichtig. Milu sieht das ähnlich. Sie habe gerade im Sport und auch bei ihren ehrenamtlichen Aufgaben die Fähigkeit gewonnen, sich für Ziele einzusetzen, Durchhaltevermögen zu entwickeln, Teamgeist zu stärken und sich neuen Ideen und anderen Menschen zu öffnen. „Im Verein treffen die verschiedensten Persönlichkeiten aufeinander. Ich habe gelernt, jeden so zu akzeptieren, wie er ist“, sagt Milu.

Wenn das auch „ihre Kinder“ können, freut sie sich. „Es ist so schön, zu sehen, dass es Kinder gibt, die vorurteilsfrei sind und jedes Kind so nehmen, wie es ist – und es genau deshalb mögen“, erzählt Milu aus ihrer Trainingsgruppe. Sie aber lebt genau das vor, vermittelt Respekt und Anerkennung und möchte „Stütze und auch Vorbild“ sein. „Und ich wachse ja selber an den Aufgaben!“, sagt sie.

Sportverein als heile Welt? Das Bild wollen Sportverbände gerne vermittelt wissen. Prof. Dr. Erin Gerlach von der Universität Potsdam präsentierte 2013 unter dem Titel „Aufwachsen im Sport“ gemeinsam mit Prof. Wolf-Dietrich Brettschneider die Befunde einer zehnjährigen Längsschnittstudie zwischen Kindheit und Adoleszenz und irritierte damit das Selbstverständnis der Sportverbandswelt. Die Wissenschaftler setzen sich kritisch mit Klischees auseinander und behaupten, dass „evidenzbasierte Wirkungsnachweise für das organisierte Sporttreiben auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zwar vorhanden, aber in ihrem Ausmaß doch recht begrenzt“ sind. Fälle wie Janis und Milu sieht die umstrittene Studie dann aber doch sehr wohl. Im Bereich der sozialen Entwicklung seien Effekte durch ein Engagement im Sportverein nachweisbar, im kleineren Rahmen auch bei der Persönlichkeitsentwicklung. Die Wissenschaftler gehen aber davon aus, dass bereits eine Vorselektion stattgefunden habe. „Vom Sportverein angezogen werden und auf Dauer im Verein bleiben solche Jugendlichen, die ein höheres Selbstwertgefühl und Selbstkonzept haben“, sagt Prof. Dr. Erin Gerlach.

Die Studie will das Selbstbild des Sports verwissenschaftlichen und erkennt dabei Grenzen dessen, was Sportvereine leisten können. „Man sollte sich hüten, die Wirkung des Sportvereins auf junge Menschen überzubewerten“, sagt Gerlach. Im Vergleich zu Familie und Schule würden die meisten Aktiven zu wenig Zeit im Setting des Sportvereins verbringen. Das sei einer der Gründe, warum er den Sport „mit der Umsetzung von breiten Kampagnen zur Gesundheitsbildung, Gewaltprävention und politischen Bildung gegen Rechtsradikalismus überfordert“ sieht.

Die Gemeinschaft zählt

Das ist Milu egal. Sie steht ja nicht für die „breiten Kampagnen“, wenn sie davon spricht, dass sie im Verein „durch dieses Gemeinschaftsgefühl immer sicher sein kann, auch in schwierigen Zeiten einen sozialen Rückhalt im Leben zu haben“. Das bestätigt auch Gerlachs Studie und zeige sich auch stark bei Schulwechseln von Kindern aus der Primar- in die Sekundarstufe, wenn oft ganze Freundeskreise wegfallen würden. Ein wichtiger Faktor für positive Effekte im Sportverein sei aber grundsätzlich eine längere Anwesenheit im Sportverein.

Genau an dieser Mitgliederbindung arbeiten inzwischen viele Vereine – auch die Werler DJK. Vom offenen Sportangebot für Kindergärten mit Abenteuerlandschaften über Eltern-Kind-, Krabbel- und Vorschulgruppen bis hin zu den Trainingseinheiten für die jungen Leichtathleten steht alles im stets spielerisch angelegten Programm. Außersportliche Jugendarbeit mit Freizeiten, Kinderdisco oder Übernachtungsaktionen für die ganze Familie im Stadion werden ebenso großgeschrieben wie Angebote für Eltern von der DJK-Biker- und Wandergruppe bis hin zur Frauengymnastik und dem After-Work-Fitness für Männer ab 40. Das Ziel: Die ganze Familie soll sich im Verein wohlfühlen, mitmachen und sich zu Hause fühlen. Lange und familiäre Bindung zum Verein als Grundlage für Engagement und Kontinuität. So kann der Verein ein stark beeinflussendes soziales Umfeld sein.

Fragt man Janis und Milu, ob der Sportverein sie geprägt habe, kommt ein klares Ja. Auch beruflich. Milu studiert Soziale Arbeit und glaubt, dass das Engagement als Übungsleiterin sie mit auf diesen Weg gebracht und auch unterstützt hat. Auch Janis will beruflich mit Jugendlichen und Kindern arbeiten. Das Abi hat er in der Tasche, jetzt strebt er ein Lehramtsstudium Deutsch und Sport an. Beide wissen, dass sie von ihrem Ehrenamt auch beruflich profitieren können. So sieht auch Janis, dass ihm das Engagement im Verein eine stetige Weiterentwicklung ermöglicht. „Jedes Kindertraining ist doch eine Herausforderung, der man sich stellt und aus der man lernt und schlauer wird“, meint der Abiturient. Junge Menschen übernehmen in Vereinen Verantwortung auch mit der Zielsetzung, etwas für sich zu lernen und Erfahrungen zu sammeln beim Organisieren und gemeinsamen Gestalten.

Wenn Milu auf dem Sportplatz steht, macht sie sich über solche Theorien und Studien keine Gedanken. Sie ist für die Kinder da. Finn spielt jetzt mit den anderen Jungs, während sie mit anderen Kindern den Hochsprung übt und ihnen Mut macht für den Satz über die hohe Latte. Ida, Oskar und Finja laufen an – oder war es doch Mia? Egal. Milu macht wieder große Augen. Und ein Kind fühlt sich richtig gut.

Volker Traumann vom Zirkus Giovanni jongliert

Volker Traumann Alter (50) leitet den Zirkus Giovanni im Don Bosco Jugendwerk Bamberg.

Zirkuspädagoge Volker Traumann über den Zirkus Giovanni von Don Bosco 

"Im Zirkus Giovanni in Bamberg machen wir die Tür ganz weit auf für junge Menschen, die an sich zweifeln. ‚Zeig, was in dir steckt‘, so heißt das Motto, unter dem wir sie einladen, sich neu zu entdecken: Erfolg spüren im -Applaus der Zuschauer. Vertrauen erfahren als Säule einer Menschenpyramide. Grenzen überwinden beim Gang über Glasscherben. Innere Balance finden auf dem Drahtseil. Gemeinschaft erfahren im Kreis der anderen Artisten. Das sind Momente, die junge Menschen ein Leben lang prägen und stark machen. Wie Don Bosco begegnen wir vorbehaltlos den jungen Artisten. Gemeinsam machen wir uns auf die Suche nach ihren Stärken. Mein persönliches Interesse gilt den Kindern, die seit Langem nicht mehr im Rampenlicht standen. Den Zaghaften, Mutlosen und Ängstlichen. Wenn ihnen nach wochenlanger Probenarbeit der Beifall und die Herzen der Zuschauer zufliegen, weiß ich: Ich arbeite am richtigen Ort!“


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