Engagiert

Gelebte europäische Solidarität unter jungen Freiwilligen

Als Freiwillige des Europäischen Solidaritätskorps unterstützen junge Menschen vom ganzen Kontinent ein Jahr lang soziale Einrichtungen in Deutschland. Begleitet werden sie dabei vom Aktionszentrum Benediktbeuern.

veröffentlicht am 08.02.2023

Wie ein blauer Globus sieht der aufblasbare Strandball aus, der in der Mitte eines Stuhlkreises im Aktionszentrum Benediktbeuern auf einem Ring aus Holz liegt. Vom Ring weg führen bunte Schnüre in alle Richtungen. „Wir fangen mit einer Übung an“, sagt Daniela Schoubye.
 
Sie ist Referentin der Jugendbildungsstätte und führt als eine von zwei Leiterinnen durch das gerade stattfindende Einführungstraining für junge Menschen aus ganz Europa, die über das Europäische Solidaritätskorps (ESK) einen Freiwilligendienst in Deutschland machen. Ihre Co-Leiterin übersetzt ins Englische, denn nicht alle der 19 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sprechen schon gut genug Deutsch, um folgen zu können.
 
Als Schoubye sie auffordert, die auf dem Ring liegende Weltkugel mithilfe der Schnüre anzuheben, springen alle aus dem Stuhlkreis auf und greifen so engagiert zu, dass der Globus schon nach wenigen Momenten zu Boden geht. „Wie fühlt ihr euch damit, die Welt zu tragen?“, fragt die 26-Jährige, als die Kugel wieder an Ort und Stelle ist, und stellt gleich die nächste Aufgabe: Die Freiwilligen sollen sie nur an den Schnüren haltend sicher aus der Tür und einen vorher festgelegten Parcours entlang bis ins Foyer des Aktionszentrums tragen, ohne dass sie erneut auf den Boden fällt. Bis auf einen weiteren Ausrutscher gleich bei der ersten Tür gelingt es der Gruppe durch Absprache und Kooperation, den Globus durch verschiedene Engstellen sicher ans Ziel zu bringen – vorbei an Bauzäunen, ungünstig stehenden Fahrrädern und durch den Kreuzgang des Klosters Benediktbeuern, in dem das Aktionszentrum, eine Einrichtung der Salesianer Don Boscos, angesiedelt ist.
 
Das einwöchige Einführungstraining ist fester Bestandteil des ESK-Freiwilligendienstes. Die EU-Kommission hat das Programm für Freiwilligendienste in der Europäischen Union und vier Partnerländern im Jahr 2016 ins Leben gerufen. Die Freiwilligen selbst kommen aus ganz Europa, auch über die EU-Grenzen hinweg. So treffen in Benediktbeuern diesmal Menschen unter anderem aus Frankreich, den Niederlanden und der Ukraine zusammen, aber auch aus Belarus und Russland. Drei Begleitseminare wie dieses machen die jungen 18- bis 30-Jährigen während ihres Jahres in Deutschland.

Erfahrungen und Kultur teilen

„Das Einführungstraining ist die erste Seminarerfahrung wenige Wochen nach ihrer Ankunft“, erklärt Francesco Bagiolini, Pädagogischer Leiter des Aktionszentrums Benediktbeuern. Es gehe darum, dass die Teilnehmenden sich vernetzen, etwas über die deutsche Kultur und die Sprache lernen, aber auch um die Ziele des Programms: Was bedeutet etwa Solidarität in Europa?

Dieses Thema steht auch im Mittelpunkt der Übung mit dem aufblasbaren Globus. „Was könnte das Ganze mit Solidarität zu tun haben?“, fragt Daniela Schoubye, als sich alle nach dem Balanceakt wieder im Stuhlkreis eingefunden haben. „Wir kommen aus verschiedenen Ländern und müssen zusammenarbeiten, um die Welt zu einer besseren zu machen“, denkt einer der Teilnehmer. Ein typischer Satz für einen ESK-Freiwilligen. „Die Grundidee, die alle irgendwie verbindet, ist Solidarität“, sagt Francesco Bagiolini. „Sie wollen einen Beitrag leisten, damit Europa besser wird.“

Dazu trägt auch die Möglichkeit der Vernetzung und der interkulturellen Verständigung während der Begleitseminare bei. „Gemeinsame Werte, wie Solidarität, Frieden und Demokratie sind Grundpfeiler der Zukunft Europas“, ist Bagiolini überzeugt. Auch ein Dialog zwischen Teilnehmenden aus konfliktbehafteten Regionen Europas sei im Rahmen von Begleitseminaren möglich und wertvoll. „Dieser Austausch, auch wenn er vielleicht nur wie ein Tropfen auf den heißen Stein erscheint, ist die Grundlage für eine friedliche und solidarische europäische Gemeinschaft“, stellt er klar.

Die ESK-Freiwilligen selbst sind begeistert vom internationalen Austausch beim Einführungsseminar. „Ich lerne viele Dinge über andere Kulturen“, freut sich die 18-jährige Wolfje aus den Niederlanden. „Ich lebe in einer WG mit den verschiedensten Nationalitäten und ganz unterschiedlichen Menschen. Das ist wirklich cool.“ Schon beim Blick auf die Essenszeit werden die Unterschiede deutlich. „Hier gibt es kein Mittagessen, das ist Frühstück“, scherzt etwa Yiğitcan aus der Türkei, der es gewohnt ist, deutlich später zu essen. Auch die 20-jährige Lucile, die während ihres Freiwilligendienstes in Dresden in der gleichen Wohngemeinschaft wie Yiğitcan wohnt, genießt den interkulturellen Austausch. „Wir teilen unsere Erfahrungen, wir teilen unsere Kultur“, sagt die junge Französin euphorisch.

Solidarität in verschiedenen Kontexten

Die europäische und internationale Jugendarbeit ist auch jenseits der Seminare für Freiwillige des Europäischen Solidaritätskorps ein Schwerpunkt des Aktionszentrums Benediktbeuern, wie Bagiolini betont. „Wir möchten junge Menschen aus unterschiedlichen Ländern zusammenbringen und mit ihnen hier Kernthemen behandeln, die ihnen wichtig sind.“ Das Angebot reicht dabei von der Gründung einer fiktiven Partei bei Orientierungstagen für Schulklassen bis hin zur politischen Mitarbeit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf europäischer Ebene im Netzwerk „Don Bosco Youth Net“. Das sei auch im Sinne Don Boscos, sagt Bagiolini. „Es geht um Engagement für junge Menschen, es geht um Verantwortung für die Gesellschaft und es geht um das Teilen von Grundwerten.“ Anliegen, die auch die EU-Kommission so oder ähnlich vor Augen hatte, als sie das Europäische Solidaritätskorps ins Leben rief.

Zurück im Stuhlkreis beim Einführungsseminar: Das Abendessen und den anschließenden Filmabend schon vor Augen, bittet Daniela Schoubye Lucile, Yiğitcan und die anderen noch einmal, kreativ zu werden. In dicken Lettern steht diagonal „Solidarität“ über eine Pinnwand geschrieben, sonst nichts. Viel Platz, um sich auszutoben. „Wo findet Solidarität in meinem Alltag statt, wo findet sie in meinem Projekt statt?“, regt die Leiterin die Gruppe an, die Pinnwand mit eigenen Ideen zu füllen. Nach kurzem Zögern stehen die Ersten auf und beginnen, zu malen und zu schreiben: eine Friedenstaube mit Ölzweig im Schnabel, einen Regenbogen, eine Ukraine-Flagge und Worte wie Unterstützung, Wachstum oder Inklusion. Aber auch ganz alltägliche Dinge wie den Putzplan der eigenen WG verbindet die Gruppe mit Solidarität. „Solidarität verändert sich in verschiedenen Kontexten“, sagt Daniela Schoubye mit einem Blick auf die Bandbreite der Begriffe und Bilder und lädt dazu ein, die Pinnwand im weiteren Verlauf des Seminars zu erweitern. Noch zweieinhalb Tage haben die Freiwilligen Zeit, dann endet ihr Einführungstraining.

Hintergrund

Das Aktionszentrum Benediktbeuern ist eine staatlich anerkannte Jugendbildungsstätte in der Trägerschaft der Salesianer Don Boscos und gehört zum Verband der bayerischen Jugendbildungsstätten. Die Schwerpunkte der Einrichtung liegen in der außerschulischen Jugendbildung und der internationalen Jugendarbeit. Durch seine Angebote – zum Beispiel Jugendleiterschulungen, Orientierungstage für Schulklassen oder Firmwochenenden – will das Aktionszentrum personale, religiöse, interkulturelle, ökologische und politische Kompetenzen vermitteln und stärken. Im Auftrag von Jugend für Europa, der in Deutschland für das Europäische Solidaritätskorps zuständigen Nationalagentur, führt das Aktionszentrum regelmäßig Begleitseminare für Freiwillige aus ganz Europa durch.


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