Lernen im Kloster

Staatsgründung für Anfänger

Don Bosco wollte Jugendliche zu guten Christen und ehrenwerten Bürgern erziehen. Das Aktionszentrum der Salesianer Don Boscos in Benediktbeuern führt mit seiner politischen Jugendbildungsarbeit diese Idee fort.

veröffentlicht am 28.02.2018

Donnerstagmorgen, noch ist nicht viel Betrieb im Kloster Benediktbeuern. Auf dem Besucherparkplatz stehen nur ein paar wenige Autos, und auch im Innenhof ist kaum ein Tourist oder Student zu sehen. Im Aktionszentrum hingegen tobt schon das Leben. Drei neunte Klassen einer Mädchenrealschule aus Lenggries sind gerade für ihre Orientierungstage in der Jugendbildungsstätte – und zwei davon haben heute die thematische Einheit „Politische Bildung“ gewählt. Die Referentin Ina Hargesheimer betreut eine der Klassen und hat im Gruppenraum bereits alles vorbereitet. Nach und nach treffen die Mädchen ein und setzen sich noch leicht verschlafen in den Stuhlkreis. Alle versuchen, pünktlich zu sein. Denn wer zu spät kommt, muss eine Extra-Aufgabe übernehmen; und so schlittern auch die letzten Mädchen auf ihren Socken in rasantem Tempo über die Fliesen des Flurs in den Raum.

26 Mädchen werden heute einen eigenen Staat gründen. Um dafür die Grundlagen zu schaffen, sollen sie sich zuerst überlegen, welche gesellschaftlichen Gruppierungen sie kennen. Anschließend wird es konkreter: „Jetzt sollt ihr eine Vision entwickeln“, erklärt Ina Hargesheimer. „Wie sieht eine ideale Gesellschaft für euch aus? Was und wer gehört dazu? Welche Werte sind euch wichtig?“ Als nächstes folgen die Handlungsschritte, die nötig sind, um dieses Idealbild zu erreichen. In fünf Kleingruppen beginnen die Mädchen, zu diskutieren. Die anfängliche Müdigkeit ist schnell verflogen.

Keine trockene Angelegenheit

Diskutieren und lernen, sich mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen – für den Leiter des Aktionszentrums Benediktbeuern, Franz Wasensteiner, ist das eines der wichtigsten Ziele der politischen Jugendbildungsarbeit: „Die Jugendlichen sollen darüber hinaus merken, dass es etwas bringt, sich zu engagieren – sei es im Sport- oder Trachtenverein oder in der Pfarrei. Sie sollen motiviert werden, ihre Welt und die Gesellschaft mitzugestalten.“ Während der Orientierungstage können sich die Klassen zwei bis drei verschiedene Themen aussuchen. Die politischen Einheiten sind, das gibt Franz Wasensteiner zu, meist nicht so beliebt. „Die Jugendlichen können sich darunter nichts vorstellen und denken, dass das eine trockene Angelegenheit ist, die nichts mit ihnen zu tun hat.“

Doch das Gegenteil ist der Fall. Das zeigen die hitzigen Debatten der Neuntklässlerinnen. Sie sind gerade dabei, ihre Staaten zu gründen. In der Gruppe von Regina beschäftigt die Mädchen vor allem, wie sie es schaffen können, für Sicherheit zu sorgen. „Ich bin für längere Gefängnisstrafen, aber die jungen Gefangenen sollen während ihrer Haft eine Ausbildung erhalten“, macht die 15-Jährige einen ersten Vorstoß. Aber was bedeutet „lang“ und für welche Straftaten trifft das zu? Die Schülerinnen sind sich unsicher. Doch in einem anderen Punkt herrscht Übereinstimmung: „Die Parteien in unserem Staat, die ihre Parteiversprechen nicht einhalten, dürfen auch nicht in den Bundestag einziehen.“

Eine Gruppe weiter steht die Namensgebung des Staates schon fest – „Liberty“. Emily notiert die Zurufe der anderen Mädchen und kommt mit dem Schreiben fast nicht hinterher. Demokratie, Gleichberechtigung und Frieden – an diesen Werten soll sich ihr Staat orientieren. Sie wollen Bildung für alle, keine private Krankenversicherung mehr und einen strengen Umweltschutz. „Deutschland ist ja zum Beispiel sehr umweltbewusst und achtet auf die Mülltrennung“, führt Emily aus. „Aber in anderen Ländern wie China oder den USA ist das nicht so. Das bringt’s dann aber ja nicht, wenn es nur ein Land macht. Da müssten gemeinsam Bündnisse geschlossen werden.“

Ein salesianischer Auftrag

Ina Hargesheimer freut sich, mit wie vielen kreativen Ideen die Mädchen bei der Sache sind. „Da gab es auch schon ganz andere Gruppen, wo Schüler diese Aufgabe nicht ernst genommen und sie ins Lächerliche gezogen haben.“ Doch es sei wichtig, zu versuchen, die Jugendlichen auch mit solchen Themen zu erreichen, sagt Franz Wasensteiner. Für das Aktionszentrum Benediktbeuern bestünde darin auch ein salesianischer Auftrag. „Don Bosco wollte, dass die Jugendlichen gute Christen und ehrenwerte Bürger werden. Die religiöse Bildung war entscheidend. Aber der Glaube musste sich für Don Bosco auch im Alltag manifestieren. Ehrenwerter Bürger heißt demnach, ein junger Mensch zu sein, der Verantwortung für den Staat übernimmt, das Ganze im Blick hat und nicht nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist.“

Das Stimmengewirr wird immer lauter. Die Mädchen reden sich in Rage. Eine Schülerin, die in der großen Gruppe eher schweigsam war, ist jetzt kaum noch zu stoppen: „Fußballer verdienen viel zu viel. Altenpfleger verdienen viel weniger, dabei sind sie viel wichtiger. Es muss also eine Höchstgrenze für den Lohn geben.“ Sie macht eine kurze Pause und spielt an ihrem Armband aus kleinen Holzperlen. Dann ergänzt sie: „Klar, es kann nicht jeder gleich verdienen, aber es muss eine Grenze nach oben geben – und eine höhere Steuer für Reiche.“ Ina Hargesheimer fällt es schwer, die angeregten Diskussionen abzubrechen. Doch die Zeit ist vorangeschritten. Die Mädchen stellen sich gegenseitig ihre Staaten vor und können anschließend entscheiden, wo sie am liebsten leben würden. Klarer Sieger ist ein Staat, der sich „vielfältig demokratisch“ genannt hat.

Die 14-jährige Martina ist etwas enttäuscht, dass sie die anderen nicht von ihrem Staat „Dreams happen“ überzeugen konnte: „Unserer Gruppe hat einfach Zeit gefehlt. Vieles konnten wir nicht richtig ausarbeiten. Aber es war gut, mal zu sehen, wie schwer das ist. In meiner Gruppe hatten wir zum Teil sehr unterschiedliche Meinungen.“ Für Regina ist das auch der Grund, um eine nüchterne Bilanz zu ziehen: „Den idealen Staat kann man nicht bilden. An sich ist es gut, dass es viele verschiedene Meinungen gibt, aber daher wird ein Staat nie für alle perfekt sein.“ Doch die Mädchen lassen sich nicht entmutigen. Sie haben erkannt, dass Demokratie und Toleranz nicht nur in der Politik, sondern auch im eigenen Klassenverband gelebt werden müssen und können.
Benediktbeuern, Donnerstagnachmittag: Während Touristen im Klosterladen nach Andenken suchen und Studenten in ihren Vorlesungen sitzen, gönnen sich 26 junge Staatsgründerinnen ihren wohlverdienten Feierabend und genießen im Billardraum und an der Indoor-Kletterwand ihre Freizeit.

Zeit für junge Menschen

Das Aktionszentrum Benediktbeuern ist eine staatlich anerkannte Jugendbildungsstätte in der Trägerschaft der Salesianer Don Boscos und gehört zum Verband der bayerischen Jugendbildungsstätten. Die Schwerpunkte der Einrichtung liegen in der außerschulischen Jugendbildung und der internationalen Jugendarbeit. Durch seine Angebote – wie zum Beispiel Jugendleiterschulungen, Orientierungstage für Schulklassen oder Firmwochenenden – will das Aktionszentrum personale, religiöse, interkulturelle, ökologische und politische Kompetenzen vermitteln und stärken. Weitere Informationen beim Aktionszentrum in Benediktbeuern


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