Ausbildung und Berufsvorbereitung

Hier lernen junge Menschen mit Behinderung

Seit 25 Jahren kümmert sich das Don Bosco Jugend-Werk Sachsen um die berufliche und gesellschaftliche Rehabilitation von jungen Menschen mit einer Behinderung. Ganzheitlich – im Sinne der Pädagogik Don Boscos.

veröffentlicht am 01.07.2017

Vorsichtig setzt er die Säge an, bewegt sie langsam vor und zurück und lässt sie so Millimeter um Millimeter ins Holz gleiten. Von draußen tösen mehrere große Maschinen, doch im Nebenraum, in dem seine Werkbank steht, ist es bis auf die leise Radiomusik im Hintergrund wesentlich ruhiger. So kann sich Felix Ludwig ganz auf seine Arbeit konzentrieren. Bis zu seinen Abschlussprüfungen sind es nur noch wenige Wochen und die will der 28-Jährige intensiv nutzen, um sich auf sein Gesellenstück vorzubereiten. Vor drei Jahren hat er im Don Bosco Jugend-Werk Sachsen seine Ausbildung zum Fachpraktiker im Tischlerhandwerk angefangen. „Hier an dieser Werkbank hat alles begonnen und hier wird es auch enden“, erzählt er stolz.

2011 wurde bei Felix Ludwig eine Schizophrenie, ausgelöst durch einen hohen Alkohol- und Drogenkonsum, diagnostiziert. „Mit dieser Erkrankung hat sich für mich keine Ausbildung auf dem ersten Arbeitsmarkt ergeben“, erklärt er. „Nachdem ich im Krankenhaus war, habe ich auch eingesehen, dass ich in Zukunft mehr auf mich achten muss, und hier in der Einrichtung läuft die Ausbildung in einem geschützten Rahmen. Das hat für mich gut gepasst.“

Diesen geschützten Rahmen bietet das Don Bosco Jugend-Werk Sachsen mehr als 300 Jugendlichen mit einem Handicap. Dazu gehören psychische Erkrankungen wie zum Beispiel das Tourette-Syndrom oder Autismus, Lernbehinderungen oder körperliche Beeinträchtigungen. An den Standorten in Burgstädt und Hartmannsdorf werden die Jugendlichen in mehr als 40 verschiedenen Berufen ausgebildet, und wer noch nicht sofort mit einer Ausbildung starten kann, bekommt in der Berufsvorbereitung und in der Berufsschule die Chance, seine Stärken und Interessen herauszufinden. Dabei werden die Jugendlichen von psychologischen, medizinischen und sozialpädagogischen Fachdiensten begleitet.

Sein Traum ist eine eigene Familie

Felix Ludwig ist dankbar für diese Hilfe. Er fühlt sich selbstbewusster als noch vor drei Jahren. „Ich muss zwar starke Medikamente nehmen, aber ich komme gut klar damit. Sie sind sozusagen mein Alltagsfreund geworden. Ich habe gelernt, mit der Krankheit umzugehen.“ Sein Blick schweift durch die Werkstatt. „Die Ausbilder hier interessieren sich auch wirklich für einen und akzeptieren, wie man ist. Das schätze ich sehr. Und ich habe fachlich viel gelernt. Besonders der Bau von Vogelhäusern und Nistkästen hat mir viel Spaß gemacht – und bald habe ich eine Ausbildung in der Tasche“, fügt er zufrieden hinzu. Sein Ziel sei es jetzt, eine Arbeit und eine Wohnung zu finden sowie irgendwann eine eigene Familie zu gründen.

Diesen Weg zur Selbstständigkeit versucht das Don Bosco Jugend-Werk Sachsen allen seinen Jugendlichen zu ebnen – durch eine fachlich qualifizierte Ausbildung und durch die Betreuung im Internatsbereich. Auf mehrere Häuser verteilt leben etwa 70 Prozent der Jugendlichen im Internat. In Haus 90A ist heute Reinigungstag. „Die Jugendlichen wohnen meistens zu zweit in einem Zimmer und wechseln sich dann immer ab. Einer räumt auf und einer macht das angrenzende kleine Bad – und die nächste Woche ist es dann umgekehrt“, beschreibt Constanze Körner den Putzplan. Die staatlich anerkannte Erzieherin sitzt im Zimmer der Betreuer und blättert im Dienstbuch. Ihre Schicht fängt gerade erst an und sie will kontrollieren, ob es irgendwelche Vorfälle gab. Vom Flur sind schlurfende Schritte zu hören. „Hallo, Kevin“, ruft sie hinaus. Der Jugendliche erwidert kurz den Gruß und bringt einen gefüllten, gelben Müllsack weg.

Die Zimmer in Ordnung halten, auf die eigene Hygiene achten, freundlich grüßen, anklopfen, einkaufen, kochen – im Internat geht es darum, ganz alltägliche Dinge einzuüben und aufeinander Rücksicht zu nehmen. Außerdem sollen die Jugendlichen Gemeinschaft erleben. Jeden Abend werden daher verschiedene Freizeitmöglichkeiten angeboten. Donnerstags zum Beispiel tanzt Constanze Körner mit allen Fitness-Begeisterten zu lateinamerikanischen Rhythmen Zumba. Darüber hinaus gibt es im Keller gelegentlich Partys und einmal pro Monat Kinovorstellungen.

Ein wichtiger Treffpunkt im Internat ist die Küche. Nachmittags können sich Jugendliche und Betreuer hier bei Kaffee und Kuchen über den Tag austauschen. Doch zuvor muss der Tisch gedeckt werden. Constanze Körner und zwei Jugendliche bereiten alles vor. Teller, Tassen, Brötchen, süße Teilchen – der Ablauf scheint routiniert. Zwischendurch kreuzt ein Jugendlicher die Küche, die ein Durchgangszimmer ist, mit einem Staubsauger. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Nach und nach füllt sich die Küche. Die ersten Jugendlichen nehmen am Tisch Platz. Es sei immer unterschiedlich, wie viele kommen, sagt Constanze Körner. Doch viele freuen sich über ein offenes Ohr und ein Gespräch. „Die Gemeinschaft hat ja auch bei Don Bosco eine große Rolle gespielt. Wir wollen den Jugendlichen dadurch zeigen, dass sie nicht abgeschrieben sind und dass wir uns Zeit für sie nehmen.“ 

Erfolgreiches Zusammenspiel von Ausbildung und Internat

Die 28-jährige Erzieherin arbeitet seit einem Jahr im Don Bosco Jugend-Werk Sachsen. Sie sieht vor allem das Zusammenspiel zwischen Internat und Ausbildung als großen Pluspunkt an: „Bei einem klassischen Ausbildungsweg hat man das ja nicht. Da gehen die Jugendlichen in den Betrieb und die wenigsten Eltern wissen, was da am Tag so los ist. Aber wir reden mit den Ausbildern, die melden uns, wenn jemand dort auffällig war oder zum Beispiel einen epileptischen Anfall hatte. Dann können wir uns am Nachmittag darauf einstellen. Und natürlich helfen wir den Jugendlichen auch mal, ihre Praxisberichte zu schreiben.“ Als Bindeglied zwischen Ausbildung und Internat fungieren zusätzlich die sogenannten Case Manager, mit denen regelmäßig über die Entwicklung der einzelnen Jugendlichen gesprochen wird.
   Felix Ludwig ist schon einen Schritt weiter. Er lebt gemeinsam mit einem Kollegen in einer Außenwohngruppe, etwa 300 Meter von dem Don Bosco-Gelände in Hartmannsdorf entfernt. Einmal pro Woche kommt ein Betreuer vorbei, um den beiden bei Bedarf zu helfen. Doch das meiste regeln sie selbst. „Ich weiß jetzt, wie man seinen Tagesablauf strukturiert und wie man sich versorgt.“ Und nach einer kurzen Pause ergänzt er leicht amüsiert: „Im letzten Winter haben wir sogar allein Schneeschippen organisiert und den Parkplatz freigeschaufelt.“ Felix Ludwig fühlt sich gewappnet für das, was ihn nach seiner Zeit im Don Bosco Jugend-Werk Sachsen erwartet. Er wirkt ruhig und gelassen. Das habe er hier gelernt, sagt er. „Dieser Satz von Don Bosco ‚Fröhlich sein, Gutes tun und die Spatzen pfeifen lassen!‘, der drückt für mich schon viel aus. Nämlich, dass man nicht in einer Situation verharren soll, sondern dass es irgendwie weitergeht und dass man optimistisch in die Zukunft blicken kann, weil man nicht allein ist mit seinen Sorgen und Nöten.“   

Die Don Bosco Jugend-Werk Sachsen gGmbH

Seit 1992 bekommen Jugendliche mit einem Handicap im Don Bosco Jugend-Werk Sachsen die Chance, durch Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen (BvB) in Burgstädt und Hartmannsdorf den für sie geeigneten Beruf zu finden sowie eine Ausbildung zu absolvieren. Die Theorie wird in der eigenen Berufsschule vermittelt. Bildungsbegleiter, Case Manager und Fachdienste unterstützen den Prozess der Rehabilitation. Im Internatsbereich werden die Jugendlichen darauf vorbereitet, ihren Alltag selbstständig zu meistern. Eine Wohngruppe ist speziell jungen Müttern mit ihren Kindern vorbehalten. Im Rahmen der Jugendhilfe gibt es darüber hinaus heilpädagogische Wohngruppen in Chemnitz sowie eine Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Burgstädt.


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