Waldpädagogik

Als Pädagoge die Selbstwirksamkeit von Kindern fördern

Peter Thomé arbeitet im hessischen Sannerz mit Jugendlichen, die keine hohe Selbstachtung haben. Bei verschiedenen Arbeiten im Wald will er ihren Blick auf sie selbst wandeln.

veröffentlicht am 25.08.2022

In einem Waldstück in der hessischen Gemeinde Sinntal steht der Arbeitserzieher und Waldpädagoge Peter Thomé. „Ich möchte den Jungs so viele Erfahrungen wie möglich bieten, die sie sonst nicht machen würden“, sagt der 50-Jährige, der eine kurze Arbeitshose und ein beiges T-Shirt mit einer schwarzen Axt darauf trägt. „Die Jungs“, das sind Kinder und Jugendliche ab zehn Jahren, die sich beim Jugendhilfezentrum Don Bosco Sannerz auf einen Schulabschluss vorbereiten. Unter anderem die dortige Förderwerkstatt, die Thomé leitet, bietet einen alternativen Rahmen für die Jungen, die aus verschiedenen Gründen auf anderen Schulen nicht mehr unterkommen.

Zu den Erfahrungen, von denen Peter Thomé spricht, gehört es, früh morgens mit den Jugendlichen zu einer Lichtung zu fahren, um die Hirschbrunft zu beobachten. Ein unvergessliches Erlebnis. Oder er übernachtet mit ihnen „irgendwo im Wald“. „Eine solche Aktion hat für mich oft mehr Wert als drei, vier Wochen in der Einrichtung“, erklärt er. Das Gruppengefüge, das sich in der Einrichtung herauskristallisiert habe, werde im Wald ganz neu geordnet.

Auch heute ist er mit sechs Jugendlichen in den Wald gefahren. Gemeinsam legen sie, ausgestattet mit Stahlkappenschuhen, Sägen und Astscheren, einen kleinen Tümpel frei. Er liegt auf einer Lehmschicht und ist ein wichtiger Lebensraum für Molche, Gelbbauchunken und Kreuzottern. Thomé erklärt, was zu tun ist, behält den Überblick und packt selbst mit an.

Der Forst, in dem er mit den Jungen arbeitet, gehört dem Staat. Aber der Förster vertraut ihm und weiß, dass der Wald von der Arbeit profitiert. Immer wieder gibt es auch gemeinsame Projekte mit dem Förster und seinem Team. Sogar bei der Jagd helfen Thomé und die Jugendlichen, indem sie die Tiere zusammentreiben und das geschossene Wild aufs Auto laden. Im März haben alle zusammen Holzzäune um einen großen Bereich aufgestellt, in dem neue Bäume wachsen sollen. Eigentlich war der Plan heute, kleine Eichenpflänzchen in der Nähe des Tümpels auszugraben und dort wieder einzupflanzen. Aber der sehr trockene, harte Waldboden lässt das an diesem Tag nicht zu.

Die Jugendlichen ernst nehmen

Jede aufkommende Gelegenheit nutzt der Pädagoge, um sein Wissen über die Natur weiterzugeben. So erfahren die Jugendlichen neben vielem anderen, warum Totholz im Wald wichtig ist, und dass der Schmetterling Admiral, der einmal vorbeifliegt, seine Eier an Brennnesseln legt. Über eine Lebendfalle für Waschbären gebeugt erklärt Peter Thomé auch, wie der Mensch das Tier aus Nordamerika nach Deutschland gebracht hat, warum das ein Problem ist und wie die Falle funktioniert. „Das ist was, wo wir Menschen selber Mist gebaut haben“, stellt er klar.

Wenn man mit Peter Thomé spricht, hat man sofort das Gefühl, ernst genommen zu werden. Das spüren auch die Jugendlichen. Wenn es einmal Stress gebe, „redet er so mit dir, als wäre er dein Freund“, berichtet einer von ihnen. „Er versucht, es wirklich zu klären.“ Und ein anderer ergänzt: „Und er ist lustig.“

Auch heute im Wald geht es alles andere als bierernst zu. Als ein Junge zum Beispiel einen jungen Stamm viel zu weit oben mit der Baumschere durchzwickt, flachst Thomé: „Ich weiß nicht, wer das gemacht hat, Jonas*, aber so ist es blöd“ – wohl wissend, dass es Jonas war, der den Schnitt so hoch angesetzt hat. Oder es fällt scherzhaft ein Satz wie: „Ich mach das auch nur, weil ich dich überhaupt nicht leiden kann.“ Auf sogenannte paradoxe Interventionen wie diese wolle er auch auf gar keinen Fall verzichten, hebt der Pädagoge hervor. Es gehe darum, Szenen zu schaffen, mit denen der andere nicht rechne. „Das wirbelt die klare Ordnung in unserem menschlichen Gehirn durcheinander. Und dann hast du die Chance, auch jemanden zu erreichen und ihn mit Themen zu fesseln“, erklärt er.

Pädagogik auf Augenhöhe

Sätze wie dieser zeigen aber auch, dass man sich selber und das Leben allgemein nicht so wichtig nehme, sagt Thomé. „Man muss echt sein.“ Deshalb sage er auch offen, wenn es ihm nicht gut gehe. Die Jugendlichen seien hochsensibel in diesem Bereich, weil sie in ihrem Leben „oft gemerkt haben, sie sind gar nicht gewollt“. Dazu gehört es für den Pädagogen auch, sich zu entschuldigen, wenn er einen Fehler gemacht hat. „So, wie es normal ist“, betont er. Er sehe sich auf Augenhöhe mit den Jungs, auch wenn er natürlich auch mal auf den Tisch hauen und konsequent sein müsse.

Seit 25 Jahren arbeitet Thomé nun in Sannerz. Nach seiner Ausbildung zum Schreiner merkte er schnell, dass ihm das Arbeiten mit Holz nicht genügt. Von einem Freund erfuhr er von der Ausbildung zum Arbeitserzieher, einer Mischung aus Lehrer und Erzieher, der Menschen dabei unterstützt, einen Weg ins Berufsleben zu finden. Über die Jahre hat er außerdem mehrere Weiterbildungen, etwa zum Waldpädagogen, absolviert.

Auch im Umgang mit Biberschäden und sogenannten Nutztierschäden ist er geschult. Deshalb klingelt dann und wann sein Handy und die hessische Obere Naturschutzbehörde, eine kommunale Stelle oder das Wolfzentrum des Bundeslandes rufen ihn und die Jugendlichen zum Einsatz, um Biber umzusiedeln oder zum Beispiel bei toten Schafen zu prüfen, ob ein Wolf die Ursache ist. Das Engagement ist auch ein Stück Öffentlichkeitsarbeit für die Einrichtung und die Jungs selbst. „Denn falls ein oder zwei Jugendliche einmal Mist bauen“, etwa, wenn jemand im Supermarkt klaue, „sind immer gleich alle schuld“, sagt Thomé. Dem wolle er mit den Einsätzen entgegenwirken.

Bei der Arbeit mit den Jugendlichen helfen ihm auch eigene negative Erfahrungen aus der Schulzeit. „Ich habe vielleicht eine ganz ähnliche Geschichte wie manche Jungs hier“, erzählt er. „Ich war in meiner Klasse meistens der Größte und der vermeintlich Stärkste.“ Dass er immer sehr friedliebend gewesen sei, hätten einige Mitschüler ausgenutzt und ihn fertiggemacht. „Das ging so weit, dass ich von hinten eine Treppe runtergeschubst wurde.“ Deshalb könne er sehr viel von dem verstehen, „was die Jungs hier beschäftigt“. Er selbst habe wegen des Mobbings „keinen Bock auf Schule“ gehabt. „Da bist du schon morgens hin und hast nur gedacht, lass den Tag rumgehen.“

Immer wieder erlebt Thomé Jugendliche, die nicht an sich selbst glauben und Dinge sagen wie: „Ich bin doch sowieso scheiße.“ Weil sie in der Schule die Rückmeldung bekommen haben: „Schlecht, schlecht, schlecht, schlecht.“ Fundamental für seine Arbeit sei es deshalb, mit den Jungs gemeinsam ihren guten Kern zu finden. Durch das Anpacken im Wald, die Förderwerkstatt oder die Naturschutzeinsätze bei Biber und Wolf will er deshalb positive Erlebnisse für die Jungs schaffen, über die sie „auch eine Identifikation finden und merken: Mensch, ich kann ja doch was“.

Mit der Arbeit rund um den Tümpel sind die Jugendlichen heute schneller fertig als gedacht. „Viele Hände, schnelles Ende, hätte meine Oma gesagt“, beendet Peter Thomé den Einsatz und lobt die sechs Jungs. Den Leberkäs, den es etwa eine Stunde später ebenfalls im Wald gibt, haben sie sich redlich verdient.

*Name von der Redaktion geändert


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