Statements

Entschuldigen und Verzeihen

Es ist nicht immer leicht, sich zu entschuldigen und Verantwortung zu übernehmen. Aber auch nicht, zu verzeihen. Vier Menschen erzählen von ihren persönlichen Erfahrungen, heilsamen Gesten und spirituellen Schätzen.

veröffentlicht am 02.09.2025

Den Hass nicht mit sich rumtragen

Älterer Mann auf blauem Sofa formt herzförmige Merkelraute

Als ich meinen damals 19-jährigen Sohn mit gebrochenem Unterkiefer auf dem OP-Tisch in der Klinik liegen sah, nachdem drei Jugendliche ihn in der Nacht aus nichtigem Anlass zusammen geschlagen hatten, fühlte ich eine Wut, wie ich sie noch nie gefühlt hatte. In den darauf folgenden Tagen suchte ich die Täter zuhause auf, und in meine Wut mischte sich Mitleid. Alle drei Jungen hatten keinen bzw. keinen verfügbaren Vater, der sich kümmerte und lebten in schwierigen Verhältnissen. Mit meinem ungebetenen Besuch hatte ich sie einschüchtern wollen, sie sollten spüren, dass ihr Opfer eine starke Familie hat. 

Den Haupttäter besuchte ich nach seiner Verurteilung im Jugendknast. Es fiel mir schwer, und mein Sohn, dem es da schon wieder besser ging, fand die Idee auch nicht besonders gut. Ab ich wollte ihm vergeben, weil ich meinen Hass nicht länger mit mir herumtragen wollte und weil ich hoffte, dass er es als Aufforderung versteht, sich mit dem Thema Gewalt auseinander zu setzen. Wir durften auf dem Gelände der Einrichtung spazieren gehen, haben Cola getrunken und uns am Schluss die Hand gegeben. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Manchmal denke ich, ich hätte ihn auch nach seiner Entlassung nochmals kontaktieren müssen. Aber da war ich schon an einen anderen, weit entfernten Ort gezogen. Mein Sohn hat übrigens einen der Mittäter später zufällig auf einem Fest getroffen. Sie haben sich die Hand gegeben und einen Schlussstrich unter die Sache gezogen.

Philipp Maußhardt, Journalist

Respektvoller Umgang braucht klare Regeln

Frau mit kurzen blonden Locken im Garten

Ich bin Pädagogin und komme ursprünglich aus dem Kindergartenbereich. Dort spielen Entschuldigungen schon in den U3-Gruppen, vor allem aber auch bei den älteren Kindern eine wichtige Rolle. Wenn es Streit gibt, begleitet man das Kind, das den Konflikt begonnen hat, zum anderen und fordert es auf, sich zu entschuldigen. Die Entschuldigung wird angenommen – und weiter geht’s. Auch an Grundschulen unterstützen Lehrkräfte die Kinder noch aktiv dabei, Konflikte beizulegen. Ganz anders ist das am Gymnasium. Als Schulbegleiterin bin ich im Unterricht dabei und erlebe hautnah, wie die Kinder miteinander umgehen. 

Zu Beginn der fünften Klasse stand noch das Miteinander im Fokus, es ging um Teambildung und Gemeinschaft. Doch schon bald wurde der Ton unter den Kindern rauer. Jetzt in der sechsten fliegen die Beleidigungen nur so durch den Raum. Die Lehrkräfte unterrichten, aber greifen kaum noch vermittelnd ein. Tatsächlich habe ich hier noch nie erlebt, dass Kinder sich nach einem Streit entschuldigt haben. Respektvoller Umgang braucht klare Regeln und Grenzen. Ich wünsche mir Lehrkräfte, die konsequenter Haltung zeigen und Eltern, die mehr Erziehungsverantwortung übernehmen. Damit es im Schulalltag wieder Raum gibt für ein Bitte, ein Danke, eine Begrüßung – und eben auch für eine Entschuldigung.

Ann-Kathrin Plaß, Sozialpädagogin

Drei Zauberwörter und ein stiller Schatz

Salesianerpater vor Bild von Don Bosco

Für ein gutes menschliches Miteinander sind drei Zauberwörter sehr hilfreich: Bitte, Danke und Entschuldigung. Sich zu entschuldigen ist für viele das Schwierigste. Bei einem Pfadfinderlager hatte ich diese drei Zauberwörter als Thema der spirituellen Einheit, und ich wollte die ersten beiden Wörter konkret mit den Kindern üben. Als ich das dritte Wort ansprach, waren die Kinder genauso bereit, sich darauf einzulassen, und entschuldigten sich für so manches, wo sie während der Woche nicht gut gegenüber anderen waren. Es war wohl auch der entsprechende Rahmen, in dem dies so möglich war, eine geschützte Atmosphäre, in der dies ausgesprochen werden konnte und von den anderen auch gut angenommen wurde.

Im Rahmen eines Projektes zu den Weltreligionen war eine ganze 2. Klasse Volksschule einmal im islamischen Gebetshaus, ein anderes Mal durfte ich ihnen unsere Kirche zeigen. Unsere Kirche ist die Beichtkirche der ganzen Umgebung, und so gibt es da auch vier Beichtstühle, auf die ich nur auf Anfrage kurz einging. Eine Woche später, beim abschließenden Gespräch mit der ganzen Klasse, fragte ich die islamischen Kinder, was ihnen in unserer Kirche am besten gefallen hatte. Zwei Mädchen zeigten auf, und sagten: Der Kasten da, wo man sagen kann, was man falsch gemacht hat! Da dachte ich mir, diese Kinder machen uns auf einen Schatz aufmerksam, den wir zum Teil vergessen.

Salesianerpater Hermann Sandberger, Pfarrer

Eine ehrliche Entschuldigung tut gut

Jugendliche mit braunen langen Haaren vor Kölner Dom

Jungs streiten anders als Mädchen. Sie können richtig Stress miteinander haben und sich danach wieder vertragen. Bei Mädchen dauert es oft länger. Da gibt es dann eine Phase, in der man sich ignoriert und abgrenzt. Meist spricht man sich irgendwann aus und findet wieder zusammen. Wenn wir unter Freundinnen Streit haben, möchte ich eine Lösung finden, die für beide Seiten okay ist. Ich brauche keine wortwörtliche Entschuldigung, vor allem, wenn sie nur so daher gesagt ist. Dann finde ich eine nette Geste sogar besser. Vor allem, wenn sie zeigt, dass die andere weiß, dass sie was falsch gemacht hat. 

Aber eine ehrliche Entschuldigung tut auch gut. Sie ist wie eine Art Versicherung, dass man die Situation richtig wahrgenommen hat und dass die andere ihre Schuld einsieht und eingesteht. Deshalb entschuldige ich mich auch, wenn ich Mist gebaut habe. Die meisten Streits und Versöhnungen laufen bei uns über WhatsApp. Ich glaube, da können die meisten ihre Gefühle besser offenbaren. Das kann praktisch sein, um einen Konflikt erstmal oberflächlich zu klären. Aber durch Textnachrichten können auch noch mehr Missverständnisse entstehen. Deshalb finde ich es wichtig, dass man danach nochmal persönlich über die Sache spricht.

Malia, 13, Schülerin


Verwandte Themen

Inhaftierter am vergitterten Fenster
Gefängnisseelsorge
„Schuldig im Namen des Volkes“, sagt der Richter nach einer Verurteilung. Zum Beispiel bei Mord, Totschlag oder Raub. In der Jugendstrafanstalt Berlin sitzen junge Männer ein, die schuldig geworden sind und die Konsequenzen zu tragen haben. Ein Besuch.
Mediatorin Eva Heistracher in Büro
Konflikte lösen
Wenn Familienangehörige sich streiten, kann es passieren, dass die Parteien am Ende den Konflikt vor Gericht austragen. Damit es erst gar nicht so weit kommt, vermittelt Mediatorin Eva Heistracher.
Kinderhände halten schweren Stein
Sakrament
In den meisten Gemeinden gehört das Sakrament der Beichte fest zur Erstkommunionvorbereitung. Viele Eltern begegnen dem Thema jedoch skeptisch. Es braucht kreative Wege, um Kindern und Familien die Beichte näherzubringen.