Porträt

Schriftstellerin Ute Krause: Nomadin zwischen den Kulturen

Sie ist Schriftstellerin, Illustratorin, Regisseurin und Weltenbürgerin. Viele ihrer Kinder- und Bilderbücher wurden in andere Sprachen übersetzt, einige sogar verfilmt. Ute Krause lebt und arbeitet in ihrem Häuschen in Berlin.

veröffentlicht am 03.05.2022

Heute soll es um die Lebensgeschichte der Autorin selbst gehen, die so abwechslungsreich ist, dass man sie in mehreren Bänden erzählen könnte. Wir reisen zurück in die 60er- und 70er-Jahre. Dort begegnen wir der sechsjährigen Ute in der Türkei, zwei Jahre später lebt sie in Nigeria, dann einige Monate auf Zypern, bevor sie mit zehn Jahren nach Indien geht und schließlich als Teenager in die USA. „Ich habe bis zu meinem 18. Lebensjahr in sechs verschiedenen Ländern gelebt und elfmal die Schule gewechselt“, erzählt sie und klingt dabei nicht angestrengt, sondern fröhlich.

Als Tochter eines UN-Entwicklungshelfers zieht Ute Krause mit ihren Eltern und den drei jüngeren Geschwistern durch die Welt und lernt, sich zu verabschieden und neu anzukommen. „Wir sind immer mit so viel Gastfreundschaft und Herzlichkeit empfangen worden, das hat die Umzüge sehr erleichtert“, erinnert sie sich. Zum ersten Mal wirklich fremd fühlt sich Ute, die auf allen Klassenfotos mit blonden Zöpfen und kessem Lächeln zwischen ihren Freundinnen hervorblitzt, nach ihrer Rückkehr in Berlin.

Fremd in der deutschen Heimat

„Nach vier Jahren Indien erlebte ich einen regelrechten Kulturschock. Ich fand mich in Deutschland gar nicht zurecht“, sagt sie. Die prägenden Jahre in Südasien haben aus ihr eine halbe Inderin gemacht. Mit den Regeln und Gepflogenheiten an deutschen Schulen ist sie nicht vertraut. „Als ich im Unterricht eine Antwort geben wollte, bin ich dazu aufgestanden, so wie ich es aus meiner vorherigen Schule kannte. Da haben alle Kinder gekichert und der Lehrer auch“, erinnert sie sich, und man spürt, wie sehr die Situation sie verunsichert hat.

Die 14-Jährige empfindet die Deutschen als kühl und abweisend, die Lehrer und Lehrerinnen als sehr kritisch. „In Indien hatte ich mit meinen jüngeren Schwestern vier Jahre ein Mädcheninternat besucht. Dort habe ich mich zu Hause gefühlt – wie in einer großen Familie“, sagt sie. Das Internat ist nach britischem Vorbild wie die Hogwarts-Schule aus Harry Potter aufgebaut, mit vier Häusern, die in Wettbewerben gegeneinander antreten. „Die Lehrerinnen hatten einen warmherzigen Blick auf uns. Sie sahen jedes Kind als Rohdiamanten mit besonderen Stärken, die sie fördern wollten.“

Indien, das sei ein Leben für die Sinne gewesen. „Diese Kultur ist durchtränkt von Geschichten und Festen, dem Götterglauben, dem riesigen Pantheon. Viele Menschen verbinden das Land mit Armut und Slums, und natürlich habe ich als Tochter eines Entwicklungshelfers auch das kennengelernt“, sagt Ute. Zugleich aber erinnert sie sich an exotische Basare, an ein besonderes Gemeinschaftsgefühl und tiefe Freundschaften. Es ist dieses Setting, das in der Elfjährigen die Kreativität weckt und Zeichnungen entstehen lässt, mit denen sie für ihr Haus den Schulwettbewerb gewinnt.

„Mehr in Bildung investieren“

Diese besondere Identifikation mit ihrer Schulgemeinschaft hat Ute Krause geprägt. Wenn sie heute auf Lesereise in deutsche Klassen kommt, blutet der Autorin oft das Herz. „Es müsste viel mehr in Bildung investiert werden. Die Kinder sind die Wurzel unserer Gesellschaft, und es wird zu wenig für sie getan. Sie bringen ganz unterschiedliche Herausforderungen mit, die ein Lehrer allein gar nicht stemmen kann.“ Deshalb seien kleinere Klassen, die bis zum Abschluss zusammenbleiben, ein guter Weg. Neben reiner Wissensaneignung soll es auch um die Verbundenheit mit der Gemeinschaft gehen, damit Kinder lernen, verantwortungsvoll miteinander umzugehen.  

Für Kinder mit Migrationshintergrund hat die lebhafte 61-Jährige ein besonderes Verständnis, denn ihre eigenen Spracherfahrungen sind ihr noch sehr präsent. „Ich hatte meine Schulbildung fast durchweg auf Englisch und musste mich erst einmal ins Deutsche einfinden. Selbst wenn man zwei Sprachen spricht, ist es nicht einfach, beide gleich gut zu beherrschen.“ Umso erleichterter ist Ute, als sie ihr Abitur nach einem Auslandsjahr in den USA auf einer deutsch-amerikanischen Schule in Berlin machen kann.

Nach einem Au-pair-Jahr in Paris kehrt sie nach Berlin zurück und beginnt, als Sekretärin im Amerikahaus zu arbeiten. Sie will gerne in den USA studieren – was sie auch später umsetzt – und erst einmal herausfinden, welches Studium zu ihr passt. „Schließlich wurde mir klar: Es ist die Kunst. Meine Eltern waren davon gar nicht begeistert, sie hielten den Beruf der Künstlerin für sehr fragwürdig. Ich aber wollte etwas machen, was mir wirklich etwas bedeutet.“

Auf dem Weg zum ersten Buch

Ute Krause schreibt sich an der Hochschule der Künste in Berlin ein, findet dort aber nicht genug Raum für ihre Kreativität und beginnt, nachmittags in jeder freien Minute eigene Ideen zu Papier zu bringen. „Ich konnte Geschichten erfinden und ich konnte zeichnen. Da war es für mich naheliegend, Bilderbücher zu schreiben.“ Und so entsteht neben der Uni ihr erstes Kinderbuch auf Englisch, für das sie bei einem Besuch in London gleich einen potenziellen Verlag findet.

Zunächst aber möchte Ute in Deutschland Fuß fassen und organisiert einen Termin bei einem Professor, der sich mit Kinderbüchern auskennt. Es ist ein nasskalter Novembertag, sie hat noch etwas Zeit und flüchtet sich in eine kleine Kinderbuchhandlung. Dort bummelt sie zwischen den Regalen herum und zieht den strengen Blick der Buchhändlerin auf sich. Sie nimmt ihren Mut zusammen und zeigt ihre Illustrationen. Eine Eingebung, die sich auszahlt. Die Buchhändlerin vermittelt Ute an den Middelhauve-Verlag, ihr erster Verlag in Deutschland.

Das Buch wird ein voller Erfolg. Utes Geschichte verkauft sich nach Großbritannien, Amerika, Skandinavien und Japan. Der Hessische Rundfunk meldet sich, um die Geschichte zu verfilmen. „Und plötzlich konnte ich von einem Tag auf den anderen von meiner Arbeit leben.“ Mitte 20 ist Ute Krause zu dieser Zeit, und der schnelle Erfolg fördert ihre Schaffenskraft. 2014 kommt der erste Band ihrer Reihe „Die Muskeltiere“ heraus. „Mein Sohn hat als kleines Kind immer Muskeltiere statt Musketiere gesagt, das hat mich auf die Idee gebracht.“

Sie liebt es, andere mit ihren Geschichten zu inspirieren

Schon immer hatte Ute Krause eine rege Fantasie. „Ich habe als Kind viel gelesen und bin in andere Welten abgetaucht. Als ich im Internat war, begann der Krieg zwischen Indien und Pakistan. Jede Nacht heulte die Sirene und Flugzeuge donnerten über unseren Schlafsaal hinweg. Von meinen Eltern kam keine Nachricht und ich konnte nicht schlafen.“ Um sich abzulenken, erfindet die Zehnjährige Geschichten, die so spannend sind, dass sie sie auch tagsüber nicht loslassen. „In den Pausen habe ich mich in eine ruhige Ecke gesetzt und die Augen geschlossen, weil ich wissen wollte, wie es weiterging.“

Ihre Erinnerungen an Indien hat Ute Krause nun auch in ihren ersten Erwachsenenroman einfließen lassen. „Er ist gerade fertig geworden und noch nicht verlegt, aber es ist wohl das persönlichste meiner Bücher und ein echtes Herzensprojekt. Eigentlich sind das alle Bücher, die ich schreibe, anders kann ich gar nicht arbeiten“, schmunzelt die sympathische Autorin mit dem wachen Blick. Sie liebt es, andere zu inspirieren. „Ich finde es toll, wenn Kinder durch meine Figuren zum Basteln oder Weiterspinnen animiert werden, oder Filme und Theaterstücke entstehen. Dafür setze ich diese Geschichten in die Welt.“

In den letzten Jahren hat Ute Krause sich sehr dafür eingesetzt, dass auch andere Menschen, die Geschichten und Bilder in sich tragen, ihr Talent ausleben können. Für das Goetheinstitut ist sie in der arabischen Welt unterwegs, wo es kaum eigene Kinderbücher gibt, sondern eher Übersetzungen aus anderen Ländern oder moralisierende und religiös geprägte Geschichten. „In Abu Dhabi habe ich einen Workshop mit 13 starken Frauen gemacht. Wir haben zusammen Geschichten entwickelt und geschrieben, Märchen gesammelt und mit Illustrator/innen gearbeitet. Aus diesem Projekt heraus hat sich in den letzten Jahren tatsächlich eine Kinderbuchkultur in der Region entwickelt, die von diesen Frauen angeschoben wird.“

Der Sudan hat sie auf ihren Reisen besonders beeindruckt

Ein Land, das Ute Krause auf ihren Reisen besonders beeindruckt hat, ist der Sudan. „Die Menschen dort begegnen sich mit so viel Respekt und Freundlichkeit, auch unter den Geschlechtern. Und gleichzeitig ist das Land so gebeutelt.“ Als die Autorin zum zweiten Mal dorthin reist, ist die Revolution in vollem Gange. Ihre Schreibgruppe erzählt ihr, was auf den Straßen passiert. Es gibt Intrigen und Gewalt, studentische Anführer der Revolution werden gefoltert. „Meine Freunde nannten mir Namen und Einzelheiten, und ich schrieb alles auf Deutsch zwischen die Zeilen eines neuen Muskeltierbandes, an dem ich gerade arbeitete.“

Es gibt zu dieser Zeit kein offizielles Internet im Sudan, ausländische Journalistinnen und Journalisten dürfen nicht einreisen. „Ich sah es als meine Aufgabe, diese Informationen aus dem Land zu schmuggeln.“ Im Hinterzimmer eines Geschäftes spielt ihr jemand eine sichere Internetverbindung aufs Handy. Ute nimmt Kontakt zu deutschen Medien auf und berichtet im Radio von ihren Erlebnissen. „Ich habe mich auch mit dem zuständigen Abgeordneten in Deutschland getroffen und ihm Namen genannt. Leider sind die militärischen Anführer von damals heute immer noch an der Macht.“

In andere Länder zu reisen, mit Menschen aus verschiedenen Kulturen zu arbeiten, Kindern in aller Welt aus ihren Büchern vorzulesen, das ist das, was sich Ute Krause für die kommenden Jahre wünscht. Zugleich ist Berlin seit Jahrzehnten ihre Basis. Hier hat Ute eine Familie gegründet und hier hat sie sich ein Heim geschaffen. „Wenn man als Nomadin aufgewachsen ist, fühlt es sich schön an, einen Ort zu haben, an den man nach seinen Abenteuern wieder zurückkehren kann.“ 

Bücher von Ute Krause

  • "Die Muskeltiere – Hamster Bertram macht Schule" aus der „Die Muskeltiere-Reihe“, zum Selberlesen, ab 7 Jahre
  • "Minus Drei und die wilde Lucy – Die blöde Sache mit dem Ei" aus der „Minus Drei und die wilde Lucy“-Reihe, ab 6 Jahre
  • "Robin und der Ritter Ich-Ich-Ich", Neuausgabe des Kinderbuchklassikers, ab 4 Jahre

Alle erschienen im cbj Verlag


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