Pandemie-Folgen

Wie Corona die Beziehung unter Geschwistern verändert hat

Die ganze Familie zuhause, lange Zeit keine anderen Kontakte. Stärkt das den Zusammenhalt unter den Kindern? Gibt es mehr Konflikte? Eltern und Kinder erzählen, wie sich die Pandemie in ihrer Familie auf die Geschwisterbeziehung ausgewirkt hat.

veröffentlicht am 18.05.2021

„Der größte Wunsch: alle Freunde zum Geburtstag einladen“

Katharina Gregull

Ich war sehr froh, dass unsere Kinder sich gegenseitig gehabt haben. Die beiden Älteren sind insgesamt gut miteinander zurechtgekommen. Wir waren viel draußen in der Natur. Wir wohnen in der Nähe eines Baches, da haben sie gebaut, gegraben und Steine ins Wasser geworfen. Mein Sohn hat viel mit Lego gespielt und Hörbücher gehört. Natürlich gab es auch mehr Streit, einfach dadurch, dass die beiden ständig zusammen waren und keine oder kaum andere Kinder getroffen haben.

Im Dezember haben wir unser drittes Kind bekommen. Das war natürlich unabhängig von Corona etwas Besonderes. Der Große kümmert sich sehr gut um das neue Baby, ist sehr fürsorglich und macht Spaß mit ihm. Für die Mittlere ist es eine neue Herausforderung. Sie interessiert sich weniger und anders für ihre Schwester – aber so ist das nun mal bei Zweijährigen.

Mein Sohn hat in zwei Wochen Geburtstag. Er wünscht sich nichts mehr, als dass er alle seine Freunde einladen kann. Aber das wird leider so noch nicht möglich sein.

Katharina Gregull, Mutter eines Jungen (5) und zweier Mädchen (2; 5 Monate) Benediktbeuern

„Eine Art dunkle Wolke hängt über ihnen“

Anna Porges

Letztes Jahr im März war ich drei Wochen zuhause in Kurzarbeit, mein Betrieb hatte geschlossen. Diese Zeit haben wir alle drei – ich bin alleinerziehend – als Geschenk wahrgenommen, und sie hat sich auf die Beziehung zwischen den Buben sehr positiv ausgewirkt. Die beiden haben zwar viel gestritten, aber das hat ihnen letztendlich gutgetan. Sie hatten die Zeit, das zu tun, sich auseinanderzusetzen. Sie haben ihre Konflikte durchdiskutiert, sich auch mal gehauen, aber ein paar Minuten später haben sie schon wieder zusammen gespielt. Diese Zeit fehlt ihnen im normalen Alltag.

Generell merke ich schon, dass sie nach dieser langen Zeit der Pandemie Ängste haben, Unsicherheit spüren, dass eine Art dunkle Wolke über ihnen hängt. Wenn der eine sieht, dass der andere sich nicht sofort nach der Toilette oder vor dem Essen die Hände wäscht, wird das kommentiert. Eine Zeitlang wollten sie nicht vom anderen berührt werden, wollten keine Umarmungen oder Bussis haben. Die Gespräche zwischen ihnen drehen sich oft um Corona. Sie kriegen mit, dass über das Impfen geredet wird, über das Testen, über Dinge, die man machen oder nicht machen kann. Das sorgt für Verunsicherung. Ich denke, es wird eine Erleichterung sein, wenn wir irgendwann einmal an einem Punkt sind, vielleicht in einem Jahr, wenn das einfach kein Thema mehr sein wird!

Anna Porges, Mutter von zwei Buben (8 und 6), Oberösterreich

„Das Ganze, was man als Eltern sonst drumherum veranstaltet, brauchen sie nicht“

Kim Stacheter

Der ganz krasse Lockdown zu Beginn hat die Kinder sehr stark zusammengeschweißt. Gerade die beiden Großen, Paula und Romy, haben extrem viel miteinander gespielt. Dazu haben sie sonst mit Schule, Kindergarten, Freunden und den vielen Aktivitäten gar nicht die Möglichkeit. Sie waren viel im Garten, haben Rollenspiele gespielt, Mutter-Vater-Kind beispielsweise oder Schule. Die Große hat der Kleinen etwas beigebracht. Das war sehr schön. Jule war noch zu klein, wurde aber auch oft mit einbezogen.

Ich fand es beeindruckend zu sehen, dass die Kinder diese Konstellation – zuhause mit Mama und den Geschwistern – toll fanden. Sie waren total glücklich und haben nichts vermisst. Das Ganze, was man als Eltern sonst drumherum veranstaltet, heute Kinderturnen, morgen Klavier, übermorgen wieder etwas anderes, brauchen sie nicht. Paula hat irgendwann angefangen, ihre Freunde zu vermissen. Seit sie dann ab und zu eine Freundin hier haben konnte, war wieder alles gut. In Relation zu der Zeit, die die Kinder miteinander verbracht haben, gab es auch nicht mehr Streit. Im Gegenteil, ich glaube, dass dieses Miteinander positiv für sie war.

Kim Stacheter, Mutter von drei Mädchen (9, 6 und 3), München

„Genervt haben wir uns eigentlich nicht“

Clara und Anna

Anna: Generell haben wir ein ganz gutes Verhältnis zueinander. Aber wir machen nicht viel zusammen. Das war auch schon vor Corona so.

Clara: Das sehe ich auch so. Wir verstehen uns gut, unternehmen aber nicht viel miteinander, weil wir unterschiedliche Interessen haben. Anna zeichnet sehr gerne und ist sehr kreativ, ich mache lieber Sport und Gärtnern. In der Corona-Zeit hat sich daran nicht wirklich etwas geändert, obwohl wir viel mehr zuhause waren.

Anna: Das sehe ich anders. Ich finde, wir haben im Gegensatz zu sonst mehr miteinander gemacht. Einfach weil wir jetzt viel mehr Zeit haben. Es hat sich schon etwas geändert. Wenn ich zum Beispiel Musik gehört habe, ist Clara dazugekommen und wir haben geredet.

Clara: Wir haben – das hat sich zufällig gerade in dieser Zeit ergeben – beide ein Aquarium bekommen. Das hat natürlich gut gepasst.

Anna: Ansonsten waren wir mit der Familie zum Beispiel Fahrradfahren, sind spazieren gegangen oder haben auch mal mit Abstand die Großeltern besucht. Genervt haben wir uns als Geschwister und auch generell in der Familie eigentlich nicht. Zumindest jetzt im zweiten Lockdown. Im ersten Lockdown, wo wir wirklich alle zuhause waren, war das schon nervig.

Clara: Das stimmt. Im ersten Lockdown war es schlimmer als im zweiten. Jetzt kann Anna zumindest oft in die Schule gehen, und Mama und Papa sind häufiger in der Arbeit. Ich nutze die Zeit, wenn ich alleine bin, und bringe die Post weg, räume die Spülmaschine aus oder setze schon mal einen Topf Nudeln auf, bevor die anderen nach Hause kommen. Das ist okay. Überhaupt war die Corona-Zeit einerseits gut, weil man etwas mit der Familie gemacht hat. Andererseits geht man sich, wenn man die ganze Zeit zusammenhängt, schon auf den Geist.

Anna: Man konnte manche Pläne nicht umsetzen. Das war ein Stimmungskiller und demotivierend. Aber dass man die Familie besser kennenlernen konnte und viel Familienzeit hatte, das fand ich gut.

Geschwister Anna (17, im Bild rechts) und Clara (15), Bonn


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