Selbstwert

Wie Eltern ihren Kindern ein positives Körpergefühl vermitteln können

Möglichst dünn, makellose Haut, volle Lippen: Das ist das Schönheitsideal, das Kindern und Jugendlichen durch Medien und Werbung präsentiert wird. Doch auch Eltern haben Einfluss auf das Körperempfinden ihrer Kinder – im Negativen wie im Positiven.

veröffentlicht am 27.06.2022

Zwei Nachrichten, die in denselben Zeitraum fallen und unterschiedlicher nicht sein könnten. Nachricht 1: Cheyenne Ochsenknecht, Influencerin und Model, hat sich ihre Brüste operieren lassen. Die 21-Jährige habe es gemacht, um sich wieder selbstbewusster zu fühlen und um endlich schwimmen gehen zu können, ohne sich für ihre vormals kleine Oberweite zu schämen. Nachricht 2: Julia Enxing, Professorin für Systematische Theologie am Institut für Katholische Theologie an der Technischen Universität Dresden, widmet sich in ihrem „Wort zum Sonntag“ in der ARD der Bikini-Figur. Sie thematisiert darin das Sehen-und-gesehen-Werden im Freibad und am Badesee, das bei vielen unangenehme Gefühle hervorruft. Ihr Apell lautet, „unsere Körper als Ausdrucksform unserer Individualität“ zu verstehen, durch die wir „eine eigene Sprache“ sprechen.
   
Genau in dieser Diskrepanz wachsen Kinder und Jugendliche in unserer Gesellschaft auf. Den eigenen Körper akzeptieren, so wie er ist, oder den Vorbildern aus Werbung und Medien nacheifern? Und diese Frage stellt sich nicht erst in der Pubertät. „Das geht bereits im Vorschulalter bei Fünf- bis Sechsjährigen los, die sich zu dick finden und abnehmen wollen“, erklärt Carola Bindt, Kommissarische Direktorin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) und Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie. „Das kommt einerseits von den medialen Vorbildern, andererseits startet die Prägung sofort im Elternhaus. Es gibt sehr viele figurbewusste Mütter, die von Geburt an sehr genau darauf achten, was ihre Kinder essen – unter der Perspektive: Wird mein Kind möglicherweise dick? Wird ihm das zum Nachteil gereichen? Und das zieht sich dann durch die ganze Erziehung.“
   
Wie stark der Einfluss von Eltern und Familie auf das eigene Körperempfinden sein kann, weiß Melodie Michelberger aus eigener Erfahrung. „Mit sieben Jahren wollte mir meine Mutter einen Rock nicht kaufen. Sie sagte: ‚Den kannst du nicht tragen, der betont deinen dicken Hintern noch mehr.‘ Da war ich sieben Jahre alt! Und solche abwertenden Kommentare von meiner Mama, meiner Oma, meinen Tanten kamen immer wieder. So fing ich an, mit zwölf Jahren meine erste Diät zu machen, und rutschte dann ziemlich schnell in eine Essstörung, war mit 16 magersüchtig.“ Es war ein langer Prozess, bis die heute 45-Jährige bei sich angekommen war und nicht mehr versucht hat, dem überschlanken Schönheitsideal um jeden Preis zu entsprechen. Heute engagiert sich die Journalistin und Autorin als Fettaktivistin. Ein Begriff, der bewusst gewählt ist: „Dick oder fett wird oft verwendet, um auszudrücken, dass man sich in seinem Körper nicht wohlfühlt. Das sollte man im Sprachgebrauch sofort ändern“, sagt sie bestimmt. „Dick sein oder fett sein – das ist kein Gefühl und schon gar kein negatives, sondern das ist eine Körperform, die genauso viel wert ist wie jede andere Körperform.“ (Mehr im Interview mit Melodie Michelberger.)

Den eigenen Weg gehen statt Influencern blind folgen

Eine Sichtweise, die in der Gesellschaft noch lange nicht angekommen zu sein scheint. Lebenswege wie die von Melodie Michelberger sind leider keine Seltenheit. Vor allem junge Mädchen laufen immer wieder Gefahr, in eine Essstörung zu geraten. Gründe dafür gibt es viele. „Zum einen sind es persönliche Faktoren. Wie sicher fühle ich mich? Wie selbstbewusst bin ich, wenn mich jemand beleidigt? Habe ich schon einmal Ausgrenzung erlebt? Wurde ich schon einmal abgewertet? Das spielt eine große Rolle“, erläutert Thomas Huber, Chefarzt der Klinik am Korso in Bad Oeynhausen, der einzigen Klinik in Deutschland, die sich ausschließlich auf Essstörungen spezialisiert hat. Aber auch die Influencerinnen und Influencer haben Einfluss, führt er weiter aus. „Häufig ist es so, dass die Jugendlichen, die zu uns kommen, in den sozialen Netzwerken Accounts folgen, bei denen es hauptsächlich um Aussehen, Schönheit und vor allem Schlankheit geht – sogar um Konkurrenz, wer am schlankesten ist. Und wenn ich natürlich sowieso jemand bin, der leicht verletzbar ist, schlägt das besonders ins Kontor. Mittlerweile können wir also schon sagen, dass der Konsum solcher Profile förderlich für eine Essstörung ist.“
 
In der Klinik am Korso heißt es daher für die Jugendlichen erst einmal: Digital Detox, Handy-Abstinenz. Die Jugendlichen sollen nicht mehr mit übertriebenen Schönheitsidealen konfrontiert werden. Stattdessen arbeitet ein Team aus Therapeuten, Erziehern und Sozialpädagogen intensiv „an der Wehrhaftigkeit der jungen Menschen, damit sie sich von dem abgrenzen können, was andere Leute meinen, und ihren eigenen Weg gehen“, erklärt Thomas Huber.

Gar nicht so einfach in einem Teenie-Alltag, der oft stark von den sozialen Medien geprägt ist. „Aber man kann die Plattform ja auch nutzen, um positive Botschaften an die Jugendlichen zu bringen“, sagt Amy Stulens, angehende Erzieherin in einer sozialpädagogisch betreuten Wohngruppe der Jugendbildungsstätte und Hilfeeinrichtung Don Bosco Jünkerath. Mit fünf Mädchen hat sie das Projekt „Teenie Talk“ gestartet. Einmal pro Woche treffen sie sich, reden über Schönheitsideale, entwerfen Plakate und überlegen sich mutmachende Posts und Stories für ihren gleichnamigen Insta-Blog. „Natürlich werden die Mädels nach dem Projekt nicht alle super selbstbewusst sein. Das ist mir schon klar“, so Amy Stulens. „Mir geht’s eher darum, dass die Mädels verstehen und erkennen, dass Selbstbewusstsein und Selbstwert Eigenschaften sind, die nicht einfach so da sind, sondern dass das manchmal Zeit braucht. Darüber hinaus ist es Sinn des Blogs, anderen jungen Menschen, auch Jungs, zu zeigen, dass auch andere dieses Thema beschäftigt und es denen ähnlich geht wie einem selbst.“
 
Der 14-jährigen Kamila macht es großen Spaß, beim „Teenie Talk“ mitzumachen. Sie selbst ist vor allem bei Instagram sehr aktiv. „Einen Tag ohne Handy gibt’s bei mir nicht“, erzählt sie. „Ich poste gar nicht viel selbst, aber ich schaue oft, welchen Content andere haben.“ Ein typischer Teenager also. Laut der ARD/ZDF-Onlinestudie 2021 nutzen 55 Prozent der 14- bis 29-Jährigen täglich Instagram, nimmt man die wöchentliche Nutzung dazu, sind es sogar 73 Prozent. Während einer ihrer Projekttreffen haben Kamila und die anderen auch über die Wirkung von Filtern gesprochen und eine App ausprobiert, mit der man Fotos bearbeiten kann. „Das war so lustig. Amy hat ein Foto von sich gemacht ...“, vor Lachen muss Kamila abbrechen und kann erst nach einer kurzen Pause weiterreden. „Wir haben das dann so verändert, dass sie wie eine Oma ausschaut.“

Zuneigung und Aufmerksamkeit statt Kritik und argwöhnischer Blicke

Spielerisch Kindern und Jugendlichen zeigen, dass nicht jedes Foto auf Instagram und Co. dem realen Bild entspricht – das empfiehlt Kinderpsychotherapeutin Carola Bindt auch allen Eltern: „Es ist gut, wenn Mütter und Väter ihren Kindern schon früh die Mechanismen erklären, wie Bilder beeinflusst werden können, und dass das Ideal gephotoshopped wurde.“ Und was können Eltern noch tun, um ihren Kindern ein gesundes Körperempfinden zu vermitteln? „Keine kritischen Bemerkungen über die Körperproportionen bei den eigenen Kindern, keine argwöhnischen Blicke.“ Das kann auch Melodie Michelberger unterstreichen: „Ich hätte mir als junges Mädchen gewünscht, dass nicht alle Erwachsene in meinem Umfeld ständig negativ über meinen und ihren eigenen Körper sprechen. Ich hätte mir jemanden gewünscht, der mal sagt: ‚Hey, du bist toll, so wie du bist. Und schau mal, was du alles mit deinem Körper machen kannst.‘“
 
Eltern können durch Sprache viel bewirken. Doch Chefarzt Thomas Huber relativiert: „Wenn Kinder in eine Essstörung abgleiten, muss man sehr vorsichtig sein, die Schuldigen zu suchen. Wir haben oft mit Eltern zu tun, die der Meinung sind: Mein Kind hat eine Essstörung, dann muss ich doch etwas falsch gemacht haben. Das würde ich so nicht unterschreiben.“ Jedenfalls nicht generell. Aber auch er rät Eltern, „ihr Kind erst einmal so anzunehmen, wie es ist. Und prinzipiell zu versuchen, dem Kind das zu geben, was es braucht, um ein gesundes Selbstwertgefühl aufzubauen. Dazu zählen Zuneigung und Sicherheit, Aufmerksamkeit und Lob.“
 
Mit diesen Zutaten im Gepäck haben Kinder und Jugendliche gute Startbedingungen, um ein positives Körpergefühl zu entwickeln und medial vermittelte Schönheitsideale kritisch zu hinterfragen. Und dann geht vielleicht irgendwann auch der Wunsch der „Wort zum Sonntag“-Sprecherin Julia Enxing in Erfüllung: „Wenn es doch nur so wäre, dass wir uns alle mit unseren Körpern anfreunden, zu ihnen freundlich sein könnten. Wenn wir doch nur alle mit unseren so oder so aussehenden Körpern versöhnt wären und sie nach unserem Willen gestalten und verzieren würden – und nicht nach den Trends der Gesellschaft oder den Gelüsten anderer.“


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