Erste Hilfe

Als Notfallseelsorger im Einsatz nach der Amokfahrt von Trier

Nach der Amokfahrt mit fünf Toten und mehreren Verletzten am 1. Dezember in der Trierer Innenstadt war Pater Aloys Hülskamp als Notfallseelsorger im Einsatz. Zwei Tage später schilderte der Salesianer dem Don Bosco Magazin seine Erfahrungen.

veröffentlicht am 08.12.2020

Ich hatte eine Beerdigung bei uns auf dem Friedhof. Anschließend sah ich, dass die Kollegin, die diese Woche Bereitschaftsdienst hatte, bei mir angerufen hatte. Ich rief zurück und erfuhr, es sei etwas passiert und alle Notfallseelsorger, die Zeit hätten, sollten zum Stadttheater nahe der Fußgängerzone kommen.

Polizei, Rotes Kreuz, Sanitäter und auch die Notfallseelsorger waren schon vor Ort. Insgesamt waren wir etwa 15 Seelsorger. Betroffene aus der Stadt sollten zum Theater gebracht und dort betreut werden. Wir wussten bis dahin nur, dass es sich um eine Amokfahrt gehandelt hatte, aber keiner kannte die Hintergründe. Es gebe Tote und Verletzte, hieß es.

Nach kurzer Zeit wurden die ersten Betroffenen gebracht und einzelnen Personen zugewiesen. Wir Notfallseelsorger haben uns im Stadttheater verteilt, uns ruhige Orte gesucht und mit den Menschen gesprochen. Ich habe mit fünf Betroffenen geredet. Zwischendurch, am Abend und auch gestern habe ich außerdem am Telefon viele Gespräche geführt.

Traumatisiert und geschockt

Die Leute waren traumatisiert, geschockt. Nach und nach wurden immer mehr Details bekannt. Es ist ein Baby dabei, der junge Vater… Erst war von vier Toten die Rede, dann von fünf. Eine Frau hatte erlebt, wie das Auto vorbeischoss, wie ein Mensch vor ihren Augen starb. Ich war als Seelsorger mittendrin, musste funktionieren, habe mit denen gesprochen, die das erlebt haben. Das war sehr emotional, hat mich aufgewühlt. Das ist so, das darf auch sein. Erst als ich anschließend mit dem Fahrrad zurückgefahren bin nach Trier-West über die alte Römerbrücke, habe ich gedacht, was ist da eigentlich passiert, was ist da vorgegangen, was erlebt Trier heute?

Die Aufgabe der Notfallseelsorge war es, in dieser Notsituation da zu sein, ein offenes Ohr zu haben und die Menschen ein Stück weit aufzufangen. Die Polizei kann Sachen aufnehmen und abfragen, aber dann geht es darum, wie es den Menschen geht, wie es weitergehen kann, wie sie nach Hause kommen. Einem Paar habe ich gesagt, Sie werden jetzt abgeholt, lassen Sie sich Zeit, ich melde mich heute Abend noch einmal. Es geht um die Seele der Menschen, dafür ist Notfallseelsorge da.

Als ich heute Morgen wieder mit dem Fahrrad durch die Porta Nigra gefahren bin, standen dort Kerzen ohne Ende. Ich bin mit dem Fahrrad langsam genau die Strecke abgefahren wo das Auto langgefahren ist. Überall, wo Menschen gestorben waren, lagen Blumen und standen Kerzen. In der Stadt ist eine große Betroffenheit. Ich habe gespürt, wie Leute trauern. Es lag eine Stille über der Stadt. Menschen haben geweint, miteinander gesprochen.

Eine Verletzung der Seele

Die Frage, die jetzt sehr viele Menschen bewegt, ist die Frage nach dem Warum. Ich denke, diese Fragen dürfen wir uns jetzt alle stellen. Ich muss da auch nicht immer eine fromme Soße drüber geben. Wir dürfen fragen, warum passiert sowas. Ich habe auch meinen „Chef“ gefragt, was soll das, wie kann das sein. Diese Frage nach dem Warum ist eine wahnsinnig quälende Frage, die es immer bei den Menschen gegeben hat und die es immer geben wird. Die Frage nach dem Warum, Weshalb, Wozu ist eine sehr menschliche Frage. Aber ich weiß selber: Wir müssen lernen, mit solchen Fragen umzugehen. Auch wenn wir keine Antwort bekommen. Wir müssen lernen, diese Frage offen zu lassen.

Ich war am Dienstag sehr gerührt, angetan und beeindruckt von der Solidarität, dem Miteinander aller Menschen, die da waren. Egal ob Polizei, Rettungsdienste, Rotes Kreuz, Malteser, Notfallseelsorger – alle haben an einem Strang gezogen und alles gegeben. Das hat mich sehr berührt. Alle waren bemüht, die Menschen zu stützen, ihnen zu helfen, sie zu begleiten. Heute, zwei Tage später, ist das noch genauso. Es gibt unheimlich viel Hilfsbereitschaft.

Was die Menschen erlebt haben, was wir erlebt haben, das wird uns noch lange beschäftigen. Das kann man auch nicht einfach abhaken. Wir sind keine Maschinen, wo man einen Schalter umlegt und alles ist wieder weg. Wenn ich auf einen Lichtschalter drücke, ist das Licht aus. Das geht aber nicht bei einer solchen Erfahrung. Es ist auch eine Verletzung unserer Seele, die wir hier alle erleben. Diese Verletzung braucht eine Zeit der Heilung und Genesung. Wenn man sich mit einem Messer geschnitten hat, muss die Wunde heilen. Es bleibt eine Narbe. Ich glaube, auch Trier wird immer eine Narbe behalten. Wir müssen damit leben, was an diesem 1. Dezember 2020 passiert ist, und Wege finden, das in unseren Alltag zu integrieren. Ich glaube, wir müssen akzeptieren: So ist das Leben. Das Leben ist nicht nur Auf-Wolke-Sieben-Schweben, ist nicht nur das, was glücklich macht. Zu unserer Realität gehört auch, dass etwas ganz Schlimmes geschehen kann. Auch durch Menschen. Eine absolute Sicherheit werden wir nie haben.

Pater Aloys Huelskamp

Salesianerpater Aloys Hülskamp ist Pfarrer einer Pfarreiengemeinschaft in Trier. Seit rund 15 Jahren arbeitet er bei der ökumenischen Notfallseelsorge im Bistum Trier mit.

Notfallseelsorge ist das Titelthema im nächsten Don Bosco Magazin, das Anfang Januar erscheint – und dann natürlich auch online.


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