Gespräche im Knast

Seelsorge für Frauen im Gefängnis

Doris Schäfer hat täglich mit Strafgefangenen zu tun. Als Seelsorgerin in der JVA Würzburg betreut sie meist die Frauen unter den Häftlingen. Wir haben mit der Pastoralreferentin gesprochen und sie bei ihrer Arbeit begleitet.

veröffentlicht am 01.05.2019

Die Schlüssel schlagen klappernd aneinander, als Doris Schäfer den Bund aus ihrer Hosentasche zieht. Mit einem über zehn Zentimeter langen Schlüssel schließt sie die vergitterte Tür zu einem langen Flur auf und hinter sich wieder zu. Zehn schließt sie allein auf dem Weg von der Torwache bis zu ihrem Büro. An einem Arbeitstag sind es wohl an die 100. Doris Schäfer ist Seelsorgerin der katholischen Kirche in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Würzburg. Gemeinsam mit einem Kollegen und einer evangelischen Pfarrerin betreut sie etwa 550 Gefangene, darunter 80 Frauen.

Ihr Büro wirkt dank großer Fenster hell und freundlich. In einer Ecke ist eine Sitzgruppe mit bequemem Ledersofa und Sessel eingerichtet. Auf dem kleinen Holztisch dazwischen steht eine Kerze, bedruckt mit dem Vaterunser. Doris Schäfer nutzt die Sitzecke gerne für längere Seelsorgegespräche mit Gefangenen. „Hier können sie eine kurze Weile vergessen, dass sie sich im Gefängnis befinden“, sagt sie und lächelt kurz. Die 58-Jährige wirkt streng, was ihre gerade geschnittenen, kinnlangen Haare und die randlose Brille noch unterstreichen. Im Gegensatz zu den Vollzugsbeamten trägt sie jedoch keine Uniform, sondern Jeans und einen kräftig dunkelroten Blazer mit passender legerer Bluse. Am Gürtel trägt sie für den Notfall ein Telefon, das ab und zu rauscht und leise piept. „Das muss ich zu meiner Sicherheit immer bei mir haben“, erklärt Doris Schäfer. „Für einen Notruf habe ich es aber noch nie gebraucht.“

Wo sind die Kinder?

In der JVA ist sie regelmäßig auf den beiden Frauenstationen unterwegs, besonders am späten Nachmittag ab 17 Uhr, wenn die Gefangenen vom Hofgang zurück sind und sich innerhalb ihres Flurs frei bewegen dürfen. Die Frauen freuen sich, Doris Schäfer zu sehen. Die Seelsorgerin grüßt sie kurz und wechselt mit einigen ein paar Worte. Manche kommen von sich aus auf die Pastoralreferentin zu, um eine Frage zu stellen. Möchte eine Gefangene alleine mit ihr sprechen, muss sie einen Gesprächsantrag ausfüllen, mit Namen, Geburtsdatum und ihrem Anliegen. In den meisten Gesprächen geht es um Beziehungen oder um die Familie. Besonders die Frauen beschäftigt, wie es ihren Kindern geht. Wenn sie inhaftiert werden, wissen sie oft nicht, was aus ihnen geworden ist. „Es kommt vor, dass manche Gefangene gleich von der Straße weg verhaftet wurden“, erklärt Doris Schäfer. „Da kann es sein, dass die Kinder alleine zu Hause sind. Manchmal kommen sie auch mit der Mutter in Haft und werden ihr dann weggenommen, ohne dass die Frau weiß, wohin sie gebracht wurden“, erzählt Doris Schäfer weiter. Sie forscht dann nach, wo und ob die Kinder gut untergebracht sind, hört sich bei den Sozialarbeitern um und benachrichtigt die Mütter.

Besonders intensiv betreut Doris Schäfer Gefangene, denen sie die Nachricht vom Tod eines Familienangehörigen überbringen muss. Sie versucht zunächst, mehr über die Umstände des Todes zu erfahren, und nimmt den Häftling anschließend mit in ihr Büro, wo er oder sie mit den Angehörigen telefonieren kann. „Das beruhigt“, sagt Doris Schäfer. Auch, wenn ein Vollzugsbeamter die Nachricht überbringt, ist immer ein Seelsorger dabei. „Wenn der Tod unerwartet ist, rasten manche Gefangene aus“, berichtet die Pastoralreferentin. „Sie fühlen sich machtlos, weil sie im Gefängnis sitzen. Viele haben Schuldgefühle, dass der oder die Angehörige sich über sie geärgert habe und deshalb gestorben sei.“ Wenn eine Gefangene nicht zur Beerdigung gehen darf oder es nicht möchte, weil sie Handschellen tragen müsste und von Sicherheitsbeamten begleitet würde, geht Doris Schäfer mit ihr in die Gefängniskapelle, um gemeinsam eine Kerze anzuzünden und zu beten. „So haben sie das Gefühl, für den Verstorbenen doch etwas tun zu können“, sagt Schäfer, und ihre angeraute Stimme klingt für einen Moment weich.

Über die Tat wollen die meisten nicht sprechen

Über ihre Tat möchten nur wenige Gefangene mit der Seelsorgerin sprechen. Etwa die Hälfte der Frauen ist wegen Betrugs oder Diebstahl verurteilt. Meist handelt es sich um Beschaffungskriminalität für Drogen. „Mir geht es in den Gesprächen um den Menschen. Ich versuche, zu verstehen, was ihn ausmacht und welche Fragen er hat“, erklärt Doris Schäfer. „Ich versuche dann, damit umzugehen. Manchmal muss ich jemanden trösten. Während des Gesprächs merke ich aber oft schon am Verhalten der Person, was ihr Problem ist, das wahrscheinlich auch zur Tat geführt hat.“ Manche wollen beispielsweise anderen ihren Willen aufdrängen. Das erlebt die Pastoralreferentin vor allem bei männlichen Häftlingen. „Die setzen sich hier erst einmal breitbeinig hin und wollen mir die Welt erklären“, sagt sie. Beim Sprechen ahmt sie die Pose nach: Sie fläzt sich in den Sessel, legt einen Arm locker auf die Armlehne und schaut ihr Gegenüber herausfordernd an. Über dieses Verhalten lächelt Doris Schäfer nur kopfschüttelnd und setzt sich wieder aufrecht hin.

Bei Drogenabhängigen beobachtet sie häufig, dass diese gewohnt sind, ihre eigenen Bedürfnisse sehr wichtig zu nehmen. „Sie nehmen, was sie bekommen können. Das haben sie verinnerlicht“, sagt Doris Schäfer. Eine Gefangene bittet sie beispielsweise sehr häufig um Geburtstagskarten. „Ich habe immer solche Karten vorrätig“, erklärt die Seelsorgerin. Die Gefangene könnte die Karten auch von ihrem Arbeitslohn kaufen, aber bei Doris Schäfer bekommt sie sie umsonst. „Ich versuche, ihr ihr Verhalten zu spiegeln. Ich sage dann: Wie, brauchen Sie schon wieder Karten? Wenn ich nur mit Ihnen zu tun hätte, würde ich bald arm werden!“ Ihrer Erfahrung nach spüren die Gefangenen irgendwann selbst, dass Doris Schäfer merkt, wenn sie ausgenutzt wird. Dann möchten sie mit ihr darüber sprechen.

Die Gefangene mit den Geburtstagskarten ist aber bisher nicht auf Schäfers Anmerkungen eingegangen. „Ich denke, sie ist noch nicht so weit, dass sie ihr Verhalten ändern möchte“, sagt sie nachdenklich. „Manche sind erst bei der zweiten Inhaftierung so weit. Andere drehen sich ihr ganzes Leben lang im Kreis, wie meine evangelische Kollegin neulich sagte. Da muss man Geduld haben und versuchen, den Kreis zu durchbrechen.“

"Ich gehe dahin, um Frieden zu finden"

Andere Gefangene haben Lebensmittel oder Kleidung gestohlen, die sie sich von ihrem monatlichen Einkommen nicht leisten können. Von den älteren Gefangenen sitzen manche eine Strafe ab, weil sie Sozialbetrug verübt haben, indem sie jemanden unangemeldet bei sich zur Untermiete wohnen ließen. Da sie Geldstrafen nicht bezahlen konnten, sind sie nun im Gefängnis. „Ich bin gerne mit den Ärmeren in unserer Gesellschaft zusammen, schon seit vielen Jahren“, sagt Doris Schäfer. „Ich lerne von ihnen, dass Leid, Krankheit und Tod zum Leben dazugehören. Das wird in unserer Gesellschaft gerne mal ausgeklammert.“ An ihrer Arbeit in der JVA mag Doris Schäfer deshalb, dass sie nah an die Menschen herankommt und so erfährt, was den Einzelnen ausmacht. „Draußen kann man sich ablenken, wenn es einem schlecht geht. Das ist hier im Gefängnis schwieriger.“

Das spürt Schäfer auch in dem Gesprächskreis, den sie alle zwei Wochen für die gefangenen Frauen anbietet. Dabei geht es zum einen um religiöse Fragen, aber auch um Themen, die die Frauen gerade beschäftigen. Offen sprechen die Frauen darüber, wie es ihnen gerade geht. „Hier versteckt man sich oft, wenn es einem nicht gutgeht. Aber manchmal schafft man es nicht“, sagt eine der Frauen. Sie erzählt, dass eine Mitgefangene ein Wort zu ihr sagte, mit dem sie als Kind schon beschimpft worden war. „Da kam alles von früher wieder hoch“, sagt sie. „Und dann das Eingesperrtsein … das ging mir an dem Tag an die Substanz.“ Doris Schäfer hört aufmerksam zu. Eine andere Gefangene berichtet, dass sie versucht, sich aus Streitereien herauszuhalten. „Ich will nur noch meine Ruhe, wenn ich am Abend in meiner Zelle bin“, sagt sie. „Ich war nun oft genug im Gefängnis. Das hier soll meine letzte Haft werden. Ich will umkehren.“ Doris Schäfer nickt zustimmend. Als sie die Frauen von der Kapelle quer durch das Gefängnis zurück zu ihren Abteilungen bringt, wirken sie in sich gekehrt. Während sie sich auf dem Hinweg angeregt unterhalten und gelacht haben, hängt nun fast jede ihren Gedanken nach. „Ich finde es gut, dass es diesen Gesprächskreis gibt“, erzählt eine Gefangene unterwegs. „Ich gehe dahin, um Frieden zu finden.“ Wenig später werden die Zellen für die Nacht geschlossen.

Die Themen im Gefängnis lassen

Bevor Doris Schäfer nach Hause geht, sortiert sie in ihrem Büro noch einmal die Geschehnisse des Tages. „Für mich ist wichtig, dass ich am Abend keine offenen Fragen habe oder, dass ich zumindest für mich weiß, wie es mit einem Problem weitergeht“, sagt Schäfer. „Wenn ich das geschafft habe, kann ich die Themen hier im Gefängnis lassen.“ Manche Erlebnisse lassen die Seelsorgerin aber auch dann nicht los. Vor einigen Monaten wurde sie kurz vor Feierabend von einem Kollegen aus der psychiatrischen Abteilung der JVA um Hilfe gebeten. In seine Abteilung war eine neue Gefangene gekommen, die unter Verdacht stand, ihr jüngeres Kind getötet zu haben. „Die Frau war völlig verzweifelt. Sie war fest davon überzeugt, dass sie es nicht war. Und sie hatte Angst, dass sie ihr älteres Kind nie wiedersehen würde.“ Doris Schäfer erklärte ihr, dass man ihr das Kind nur dann für immer wegnehmen würde, wenn sie gefährlich für das ältere Kind sei. Durch ihre Anwesenheit beruhigte sich die Frau. „Wie es mit ihr weitergegangen ist, weiß ich leider nicht. Sie ist in ein anderes Gefängnis verlegt worden“, sagt Schäfer. Nach solchen Begegnungen sucht sich Doris Schäfer eine Kollegin oder einen Kollegen im Haus, mit dem sie darüber sprechen kann. Oder sie ruft „draußen“ jemanden an und verabredet sich. „Manchmal ist auch das Gebet eine Hilfe, sodass ich versuche, den Fall am Abend Gott zu übergeben.“ Doris Schäfer hält einen Augenblick inne. Dann atmet sie tief ein und nimmt ihre gewohnte aufrechte Haltung ein.

An diesem Tag sind alle Fragen von Gefangenen geklärt. Auf dem Weg nach draußen nimmt sie ihr Notruftelefon vom Gürtel und stellt es in einem speziellen Raum in eine Ladestation. Sie verabschiedet sich kurz von der Torwache, dann geht die Tür auf und schließt sich hinter Doris Schäfer mit leisem Surren bis zum nächsten Tag.

Ausbildung zum/zur Gefangenenseelsorger/in

In Deutschland und Österreich müssen Gefangenenseelsorger/innen zunächst ein Studium der Theologie oder der Religionspädagogik und anschließend eine Ausbildung zum Pastoral- oder Gemeindereferenten absolvieren. Ergänzend dazu nehmen Gefangenenseelsorger/innen in Deutschland an einer Weiterbildung der Katholischen Gefängnisseelsorge Deutschland e.V. teil. Darin geht es beispielsweise um rechtliche Rahmenbedingungen und um Fähigkeiten und Anforderungen auf sozialer, pastoraler, theologischer und spiritueller Ebene. Zur Weiterbildung gehört auch, eine/n erfahrene/n Gefängnisseelsorger/in eine Zeit lang zu begleiten. In Österreich begleiten angehende Gefangenenseelsorger/innen ebenfalls zunächst einen erfahrenen Kollegen oder eine Kollegin. Ergänzend dazu gibt es einen ökumenischen Einführungskurs und jährliche Fortbildungen.
Quelle: DBK und kathpress.at


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