Pandemie

Jugend und Corona: „Psychische Belastungen haben zugenommen“

Seit mehr als einem Jahr sind Jugendliche aufgrund der Pandemie vielfältigen Einschränkungen ausgesetzt. Wie es ihnen in der Krise geht und warum sie Unterstützung brauchen, erklärt Psychologin Hanna Christiansen.

veröffentlicht am 14.02.2021

Wie geht es Jugendlichen und jungen Erwachsenen nach einem Jahr mit Corona?
Wir wissen, dass die Belastungen bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zugenommen haben. Die COPSY-Studie unter Leitung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf hat ergeben, dass vor Corona etwa 18 Prozent der Kinder und Jugendlichen psychische Belastungen gezeigt haben und seitdem die Rate auf etwa 31 Prozent angestiegen ist. Insbesondere Ängste und Depressionen haben zugenommen. Wir wissen aber noch nicht, ob das anhaltend ist, ob also in einer Zeit ohne Beschränkungen diese Belastungen wieder zurückgehen.

Betreffen diese Belastungen alle Gruppen von Jugendlichen gleichermaßen?
Die oben genannte und andere Studien zeigen: Diejenigen, die schon vor Corona psychisch belastet waren, sind durch Corona stärker belastet. Familien, die Balkon oder Garten haben, kommen besser durch die Krise als Familien, die diese Möglichkeiten nicht haben. Das bestätigt, was wir schon vermutet haben, dass die Familien aus unteren sozialen Schichten stärker betroffen sind. Die soziale Schere geht weiter auseinander. Das zeigt sich auch bei Kindern und Jugendlichen.

Leiden junge Menschen stärker unter den Beschränkungen als Erwachsene?
So generell kann man das nicht sagen. Bei Kindern fallen natürlich all die strukturierten Sozialkontakte, die sonst ihren Alltag prägen, wie Schule, Kindergarten oder Vereinsaktivitäten, weg. Das bedeutet eine stärkere Veränderung des Alltags als beispielsweise bei der Gruppe der Berufstätigen, die ja noch ihren Arbeitstätigkeiten nachgehen, wenn auch vielleicht in veränderter Form.
Wichtig ist, dass man sich vor Augen führt, was die Entwicklungsaufgaben von Kindern und Jugendlichen sind. Das sind mit zunehmendem Alter die Ablösung vom Elternhaus, die Orientierung an den Gleichaltrigen, die Einnahme neuer sozialer Rollen. Das wird durch Corona massiv verhindert oder erschwert.

Wurden und werden die Bedürfnisse junger Menschen in der Krise ausreichend berücksichtigt?
Ich habe den Eindruck, dass vom Frühjahr bis zum Herbst vergangenen Jahres die Familien, Kinder und Jugendlichen mehr oder weniger vergessen worden sind. Das Thema hat keine große Rolle gespielt. Deshalb haben wir aus der Psychologie heraus versucht, Aufmerksamkeit dafür zu gewinnen. Seit dem Herbst mit den Schulöffnungen und den erneuten Schulschließungen scheint es jetzt ein Thema zu sein und ist in aller Munde.
Meiner Ansicht nach ist es versäumt worden, einmal mit den Betroffenen direkt in einen Austausch zu treten und nachzufragen, was braucht ihr, was sind eure Interessen, Bedürfnisse und Wünsche, und wie können wir diese unter diesen Bedingungen aufgreifen? Mit der Industrie werden ständig Gespräche geführt, man tauscht sich aus, sie werden zu Gipfeln eingeladen. Wieso gibt es eigentlich keinen Kinder- und Jugendgipfel oder einen Familiengipfel, wo die Betroffenen gehört werden?

Wie schaffen es Jugendliche und junge Erwachsene damit umzugehen, wenn wegen Corona ein Abschluss, ein Auslandsjahr, der Antritt einer Ausbildungsstelle oder der Berufseinstieg nicht geklappt hat?
Ständig hadern und jammern bringt nicht viel, sondern führt eher dazu, dass man sich noch schlechter fühlt. Ich würde dazu raten zu akzeptieren, dass es jetzt so ist wie es ist, und gleichzeitig zu überlegen, welche Möglichkeiten habe ich jetzt und welche Möglichkeiten werde ich haben, wenn die Pandemie unter Kontrolle ist. Lässt sich beispielsweise ein Auslandssemester nachholen? Ich kann also überlegen, wie ich die Wünsche und Träume, die ich hatte, zu einem anderen Zeitpunkt verwirklichen kann. (Geplatzte Träume – So geht es jungen Menschen in der Pandemie) (Junge Frauen und Männer erzählen, wie sie die Pandemie erleben)

Können Jugendliche aus diesen Erfahrungen auch etwas lernen?
Ja, denn aus Frustration lernt man auch. Frustrationstoleranz ist ein ganz wichtiger Faktor, der uns hilft, im Leben mit Enttäuschungen umzugehen. Es ist normal, dass nicht immer alles klappt. Wenn ich aber jedes Mal zusammenbreche, wenn nicht alles so klappt wie ich mir das vorgestellt habe, komme ich nicht gut durchs Leben. Diese Erfahrungen machen Jugendliche auch unabhängig von Corona in anderen Bereichen. (So arbeitet Don Bosco in Würzburg mit jungen Menschen in der Corona-Zeit)

Ist die aktuelle junge Generation aufgrund der Pandemie-Folgen tatsächlich, wie einige sagen, eine „lost generation“?
Das würde ich nicht sagen. Die Situation mit all ihren Belastungen, hat ja auch einige interessante neue Entwicklungen hervorgebracht. Die Digitalisierung wäre bei uns nicht so schnell vonstattengegangen wie sie es jetzt unter Druck tut. Das zeigt natürlich auch die Schwächen im System, aber es zeigen sich auch kreative Möglichkeiten. Gerade die jungen Leute sind viel flexibler und offener für Neues und können das unter Umständen nutzen. Ich denke aber auch, dass sie dafür Unterstützung brauchen, dass Jugendliche also dabei gefördert werden sollten, kreatives Potenzial zu zeigen.

Porträt Hanna Christiansen

Hanna Christiansen ist Professorin für klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der Philipps-Universität Marburg.


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