Corona

Geplatzte Träume – So geht es jungen Menschen in der Pandemie

Sina Wachter wollte nach dem Abitur als Au-pair nach Australien gehen. Aus dem Traum wurde nichts. Wir haben mit ihr über die Herausforderungen und Chancen der Pandemie gesprochen. Und uns umgehört, wie es anderen Jugendlichen in der Krise geht.

veröffentlicht am 02.03.2021

Es hätte so schön werden können. Nach dem Abitur im Frühjahr 2020 wollte Sina Wachter für ein halbes Jahr als Au-pair nach Australien gehen. Eine Organisation hätte alles für sie organisiert, hätte eine Familie gesucht und Sina auf den Einsatz vorbereitet. Im Juni stand fest: Aus dem Plan wird nichts. Sina Wachter, damals 17 Jahre alt, entschied sich, stattdessen auf eigene Faust durch den Kontinent zu reisen. Bald wurde ihr klar, dass auch das nicht möglich sein würde. Und auch eine Reise nach Asien, die die junge Bambergerin in Betracht gezogen hatte, zerschlug sich wegen der Corona-Pandemie. Schließlich schaffte sie es, für den November ein vierwöchiges Praktikum bei einem privaten Radiosender in ihrer Heimatstadt zu ergattern. Dann kamen der zweite Lockdown und die Absage, zwei Tage bevor sie angefangen hätte.

Wenn sie heute, an einem Dienstagnachmittag Ende Januar, auf diese Monate während der Corona-Zeit zurückblickt, wirkt Sina Wachter sehr gelassen. Die junge Frau mit dem halblangen blonden Haar und der runden Metallbrille sitzt im Wohnzimmer ihres Elternhauses vor einer Naturholzvitrine mit Porzellangeschirr. Der Laptop steht vor ihr auf dem Esstisch. Die Zeit vor dem Abi sei schwer gewesen, sagt sie, die Ungewissheit nach der Schließung der Schulen Mitte März, das Warten, die abgesagten Klausuren, das Lernen alleine daheim. „Ich hatte echt Glück, dass ich’s geschafft habe und es noch nicht so schlimm war. Aber es war trotzdem nicht so, wie man sich’s vorgestellt hat.“ Als sich der Reihe nach all ihre Vorhaben in nichts auflösten, hätten vor allem ihre Familie und ihr Freund ihr Halt gegeben und sie immer wieder aufgebaut.

Das Beste aus der Situation machen

Und auch Sina Wachter selbst hat sich nicht entmutigen lassen, sondern versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Sie jobbte in einem Eisladen. Sie unternahm, wann immer die Bedingungen es zuließen, kurze Reisen, unter anderem nach Amsterdam und Wien. Sie kümmerte sich um die Mischlingshündin Coco, die die Familie im Herbst – nachdem der alte Hund einige Monate zuvor gestorben war – von einer bulgarischen Tierschutzorganisation geholt hatte. Und sie gründete ein „kleines Masken-Business“, wie sie es nennt. Sie nähte und verkaufte Mund-Nasen-Masken. „Ich habe mich komplett alleine um alles gekümmert, um Logistik, um Werbung. Das hat mir viel gebracht“, sagt sie. „Jetzt versuche ich, wieder ein neues Business aufzubauen. Ich besticke Pullis. Man wird erfinderisch, wenn man so viel Zeit hat.“

Ähnliche Erfahrungen wie Sina Wachter haben viele Jugendliche und junge Erwachsene in der Corona-Zeit gemacht. (Junge Frauen und Männer erzählen, wie sie die Pandemie erleben) Pläne mussten verschoben oder aufgegeben werden, Träume sind zerplatzt. Während in den ersten Monaten der Pandemie nur selten Stimmen zu hören waren, die mahnten, die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen in der Krise im Blick zu behalten, schlagen inzwischen zahlreiche Organisationen Alarm. Immer mehr Studien zeigen: Kinder und Jugendliche leiden zum Teil massiv unter den Folgen der Pandemie. Die psychischen Belastungen, vor allem Ängste und Depressionen, haben zugenommen (Interview mit Psychologie-Professorin Hanna Christiansen). Ärztinnen, Psychologen, Politikerinnen, Lehrer- und Elternverbände, Jugendämter und soziale Organisationen melden sich zu Wort und fordern Unterstützung für die junge Generation in und nach der Corona-Zeit.

Dabei betrifft die Pandemie nicht alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen gleichermaßen. „Die CoronaKrise, wie viele Krisen davor auch, hat die Gesellschaft gespalten, hat die Schwachen schwächer gemacht. Das gilt auch für die junge Generation“, sagte der Jugendforscher Klaus Hurrelmann Anfang Februar in einem Podcast des RedaktionsNetzwerks Deutschland. „Diejenigen, die schon vor der Corona-Krise sozial randständig waren, sind jetzt noch weiter weggebrochen.“ Ein Drittel der jungen Generation habe mit sich verschärfenden sozialen und wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Es seien überwiegend junge Männer, viele davon ohne oder nur mit schlechtem Schulabschluss, die durch die Auswirkungen der Corona-Krise und die jetzt drohende Jugendarbeitslosigkeit betroffen seien.

Zusagen wurden kurzfristig zurückgenommen

Einer, der weiß, wie sich die Pandemie auf junge Menschen aus teilweise schwierigen sozialen Verhältnissen auswirkt, ist Andreas Halbig. Der geschäftsführende Direktor der gemeinnützigen Caritas-Don Bosco GmbH in Würzburg kann täglich beobachten, wie es Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf in der Krise geht. (Interview mit Andreas Halbig über die Arbeit mit jungen Menschen in der Corona-Zeit) „Erfreulicherweise sind nach dem ersten Lockdown im vergangenen Jahr die Prüfungen für unsere Teilnehmenden gut gelaufen. Die Quote derer, die bestanden haben, war genauso hoch wie sonst, vielleicht sogar ein bisschen besser“, erklärt Halbig. „Der Knackpunkt ist häufig der unmittelbare Übergang von Ausbildung und beruflicher Qualifikation hin zum Beruf.“ Es gebe junge Frauen und Männer, die ihren Vertrag schon in der Tasche hatten und bei denen das Unternehmen seine Zusage kurzfristig zurückgenommen hat. Da seien Träume zerplatzt, sagt Halbig. „Man hat dreieinhalb Jahre auf etwas hingearbeitet, hat immer wieder Kontakt zu einzelnen Firmen gehabt. Die Jugendlichen haben versucht, sich dort schon einmal einzuarbeiten, die Unternehmen haben entsprechenden Support gegeben. Und dann zieht die Firma im entscheidenden Moment zurück, sagt, wir müssen erst mal schauen, ob wir die Krise überleben. Sie zieht zurück, weil sie nicht anders kann.“ 

Um die betroffenen Jugendlichen aufzufangen, erhalten sie Unterstützung durch das Care Leaver-Projekt der deutschen Salesianerprovinz, ein Projekt für junge Menschen über 18 Jahre, deren Maßnahme abgeschlossen ist und für die die Jugendhilfe nach dem Gesetz nicht mehr zuständig ist. Die Caritas-Don Bosco gGmbH hat eigens eine Sozialarbeiterin eingestellt, die den Kontakt zu den Jugendlichen hält. Ein Integrationsfachdienst hilft den jungen Menschen, einen Job zu finden. Zugleich versuchen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Kontakt zu den Firmen zu halten, damit die Jugendlichen möglicherweise die ursprünglich zugesagte Stelle zu einem späteren Zeitpunkt doch noch antreten können. Und auch die Familien der Jugendlichen hat die Einrichtung im Blick. In einigen käme es zu „Überforderungssituationen“, wie Halbig sagt. Die Eltern hätten damit gerechnet, dass die Jugendlichen durch die Unterstützung im Berufsbildungswerk und die erfolgreichen Abschlüsse bald auf eigenen Beinen stünden. Aber das sei jetzt anders. „Zu unserer Aufgabe gehört es aktuell auch, Hoffnung zu verbreiten, zu sagen, die Pandemie geht vorbei, in der Wirtschaft wird es weitergehen. Wichtig ist es, die Leute nicht hängen zu lassen, auch wenn die Maßnahme eigentlich vorbei ist.“ (Villa Lampe im Cyberspace – Salesianer Don Boscos in Heiligenstadt verlegen Offene Jugendarbeit in virtuellen Raum) (Interview mit Salesianer Mike Goldsmits über digitale Angebote der Villa Lampe)

Pläne schmieden trotz Enttäuschung

Hoffnung zu verbreiten, das ist auch das Anliegen von Alexandra Wachter-Spies, der Mutter von Sina Wachter, die jetzt statt Sina am Esstisch vor dem Laptop sitzt. Sie wünsche ihrer Tochter, dass diese „einige ihrer Träume in abgespeckter Form noch erleben darf“, erklärt die Grundschullehrerin. Dass Sina in der Pandemie so viele Enttäuschungen habe hinnehmen müssen, habe ihr sehr leid getan. Auf der anderen Seite ist sie überzeugt, dass ihre Tochter gerade durch diese Erfahrungen viel gelernt hat. Die heutige Generation der Jugendlichen und jungen Erwachsenen habe nie auf irgendetwas verzichten müssen, habe nie Einschränkungen im Leben gehabt. „Es lief immer alles nach Plan, zumindest aus unserer Familiensicht“, so Wachter-Spies. Sie halte es daher für lehrreich, dass diese Generation aufgrund der Pandemie erfahren habe, dass „im Leben nicht alles so läuft, wie man es sich vorstellt, und dass es Dinge gibt, auf die wir keinen Einfluss haben.“ Diese Erfahrungen werden die jungen Menschen auch nach Corona prägen, ist Wachter-Spies überzeugt. „Ich glaube, dass sie vielleicht ein bisschen demütiger auf sich, auf das Leben und die globalen Zusammenhänge blicken und nicht nur sich selber im Fokus haben.“

Auch Sina kann dieser Zeit durchaus auch etwas Positives abgewinnen. „Ich bin reifer geworden. Ich habe gelernt, es wird nicht immer alles so, wie man es sich vorstellt und wünscht, aber man kann immer versuchen, das Beste draus zu machen“, sagt sie. Neue Pläne hat sie schon geschmiedet. Obwohl die Angst vor neuen Enttäuschungen tief sitzt. Sobald der Lockdown vorbei ist, will sie mit einer Freundin an die Nordsee fahren. Im Juni möchte sie mit ihrem Freund verreisen, im Juli mit einem Kumpel. Weil bis dahin Corona sicherlich noch nicht überstanden ist, wird es wohl bei Zielen in Europa bleiben. Aber das sei für sie okay. „Es geht ja nicht um weiter, größer, besser, sondern darum, eine schöne Zeit zu haben. Und eine schöne Zeit kannst du auch in Italien haben. Da musst du nicht unbedingt nach Costa Rica oder auf die Bahamas.“ Im Herbst, sagt sie, wird sie in Köln mit dem Studium beginnen. Hoffentlich.

Mit den Folgen der Corona-Pandemie für junge Menschen beschäftigen wir uns umfassend im Don Bosco Magazin 3 (April/Mai) 2021. Alle Artikel aus dem Heft zu diesem Thema sowie weiterführende Reportagen, Interviews und Statements stehen online zur Verfügung.


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