Gedankenspiele

Philosophieren mit Kindern

Wer mit Kindern spricht, merkt schnell, dass vermeintlich Bedeutungsloses durchaus eine nähere Betrachtung wert sein kann. Der Erzieher und Theologe Christian Huber erlebt das jeden Tag – und liebt es, mit Kindern zu philosophieren.

veröffentlicht am 21.11.2022

Haben Sie sich schon einmal gefragt, ob Stühle Gefühle haben? Und wenn ja, sind es die gleichen, die wir Menschen haben? Empfindet ein Stuhl Schmerzen, wenn wir uns versehentlich an ihm stoßen oder fühlt er sich schuldig, wenn wir über ihn fallen? Können Bäume sprechen? Wenn ja, welche Sprache sprechen sie und wer kann sie verstehen?

So ein Blödsinn, denken Sie jetzt vielleicht.  Vielleicht aber auch nicht. Philosophie (aus dem Griechischen, übersetzt „Liebe zur Weisheit“) ist eigentlich etwas ganz Alltägliches. Nur ahnen wir manchmal nicht, dass etwas vermeintlich Bedeutungsloses von philosophischer Bedeutung sein könnte. Wer mit Kindern philosophiert, merkt das sehr bald.   

Fragen stellen und nach Antworten suchen

Selbstverständlich meint das Philosophieren mit Kindern nicht das Studium oder die Vermittlung von Philosophiegeschichte wie es beispielsweise an der Universität passiert. Ausgangspunkt der Philosophie ist immer, dass sich jemand Fragen stellt und intensiv nach Antworten sucht. Ganz oft folgt darauf schnell die Erkenntnis, dass es nicht nur einen möglichen Weg gibt, um eine Antwort auf die gestellte Frage zu finden. Abwägungen sind nötig und Gedankenspiele.

Das ist ja alles schön und gut, aber bei bohrenden Fragen von Kindern im Kita-Alter von Philosophieren zu sprechen, führt nun doch ein bisschen weit, mögen Sie denken. Ich bin da ganz eindeutig anderer Meinung. Die Kita bietet den idealen Nährboden für das Aufkommen philosophischer Fragestellungen und Gedanken. Wo sonst sind Kinder mit so vielen Menschen, sowohl anderen Kindern als auch Erwachsenen, längere Zeit zusammen? Permanent herrscht Austausch, in welcher Form auch immer. Kinder, die die Welt gerade für sich entdecken, die aus unterschiedlichsten Elternhäusern und kulturellen Hintergründen kommen, spielen miteinander, kommunizieren, ob mit oder ohne Sprache, und lernen sich auf diese Weise kennen, lernen Neues kennen und entdecken darüber hinaus in diesem Umfeld auch sich selbst.

Philosophieren fördert zahlreiche Kompetenzen

Beim Philosophieren mit Kindern geht es um einen Prozess bzw. um viele Prozesse, an deren Ende nicht unbedingt ein eindeutiges Ergebnis stehen muss. In diesem Fall trifft es das Sprichwort „Der Weg ist das Ziel“ sehr gut. Sich mit einer Fragestellung beschäftigen, ohne dass das Ergebnis eigentlich bereits feststeht. In alle Richtungen denken und abwägen. Gedanklich einmal beweglich und flexibel, eben frei werden. Ist das nicht eigentlich genau das, was wir uns von uns selbst manchmal wünschen würden – und mehr noch von Menschen mit Verantwortung in der Gesellschaft?

Ich werde wahrscheinlich den Satz meines Philosophieprofessors zu Beginn der ersten Vorlesung wohl nie vergessen: „Zunächst, bevor wir irgendetwas lesen, müssen Sie alle lernen, wie man eigentlich denkt, aktiv denkt.“ Wie recht er hatte! Beim Philosophieren werden zahlreiche Kompetenzen, die wir uns für unsere Kinder wünschen, parallel gefordert und gefördert: Interesse an Fragestellungen, Ausdauer beim Finden von Antworten, Toleranz, wenn ein anderer oder eine andere etwas ebenso Richtiges vorbringt, Kreativität und Phantasie, soziale Kompetenz, wenn es darum geht, einander ausreden zu lassen, Kommunikationsfähigkeiten und noch vieles mehr.

Vielfältige Themen und Gelegenheiten

Wie kann das ganz praktisch aussehen? Die Möglichkeiten sind so vielfältig wie die Themen, die Gegenstand eines philosophischen Gesprächs werden können. In meiner Einrichtung erarbeiten die älteren Kinder jedes Jahr das Thema „Gefühle“. Dabei betrachten die Kinder Bildkarten von Menschen, die unterschiedliche Gefühle veranschaulichen. Etwa das Bild einer Frau, die erschöpft aussieht. Mögliche Fragen können sein: Wie sieht diese Frau aus? Wie kommst du darauf, woran erkennst du das? Hast du dich schon einmal so gefühlt? Wann fühlt man sich so? Kann man Gefühle beeinflussen oder ändern? Kennst du Menschen, die sich oft so fühlen?

Auch Feste, wie beispielsweise Sankt Martin eigenen sich übrigens hervorragend, um mit Kindern in ein solches Gespräch zu kommen. Mehr noch, oft sind es die Kinder, die von sich aus ein philosophisches Gespräch suchen: Wie mag sich der Bettler gefühlt haben, so ganz alleine in der Kälte? Was fehlt ihm wohl mehr, etwas anzuziehen oder jemand der ihn gernhat? Oder beides gleichermaßen? Was mag Martin gefühlt haben, als er den armen Mann sah, als er abstieg? Und was, als er den Entschluss gefasst hatte, seinen Mantel zu zerschneiden? Sie wären überrascht, was ich dazu jedes Jahr aufs Neue für wunderbare Gedanken zu hören bekomme. 

Die Kinder machen positive Erfahrungen

Es gibt so viele Themen im Kita-Alltag, die mit wenig Aufwand zum Gegenstand einer philosophischen Runde werden können. Dabei spielt es keine Rolle, ob in einer großen Gruppe, in einer Kleingruppe oder vielleicht auch nur unter sechs Augen gesprochen wird. Was zählt ist, dass die Kinder dabei eine positive Erfahrung machen: Ich wurde gehört. Meine Gedanken wurden ernstgenommen. Ich kann etwas und die Welt, in der ich mich bewege, ist voll von Dingen, die ich näher erforschen möchte. Gibt es eigentlich gute und böse Tiere? Was bedeutet gut und was böse und muss man sich ein für alle Mal festlegen? Können Tiere traurig sein, etwa wenn sie eingesperrt werden? Warum gibt es eigentlich die Welt? Wie lange ist man jung und ab wann alt und warum? Dein Bild ist schön, meines ist nicht schön geworden! Wirklich? Was ist eigentlich Schönheit?

Es gibt so viel, über das es sich lohnt, einmal nachzudenken, auch für Kinder. Unsere Aufgabe ist es, den Kleinen das Gefühl zu geben, dass sie in der Lage sind, Antworten zu finden. Für mich persönlich ist das eine Erkenntnis, die ich jedem Kind von ganzem Herzen wünsche. Probieren Sie es aus. Euch und Ihnen allen viel Spaß beim Philosophieren!


Verwandte Themen

Kreative Kinderhände mit Farben malen bunte Bilder auf Papier
Persönlichkeit
Malen, Musik hören oder den Balkon gestalten – all das hat mit Kreativität zu tun. Gerade Kinder sollten viel Zeit haben, kreativ zu sein und sich auszuprobieren. Und ihre Eltern ebenfalls. Findet unser Autor Christian Huber.
Astronautin Insa Thiele-Eich
Traumberuf
Schon als Kind wollte Insa Thiele-Eich Astronautin werden. Seit 2017 absolviert die Meteorologin und Mutter von drei Kindern eine Raumfahrausbildung. Sie hofft, dass immer mehr Frauen in typischen Männerberufen Fuß fassen.
Kinderhand malt Sonne mit Wachsmalkreiden
Abschied nehmen
Wie Kinder mit dem Tod umgehen, hängt stark von ihrem sozialen Umfeld ab. Die Religionspädagogin Anna-Katharina Szagun beschreibt, was Kindern den Abschied leichter macht und was Auferstehung für sie bedeuten kann.