Demokratie daheim

Wenn Kinder bestimmen wollen

Je älter Kinder werden, desto mehr möchten sie mitentscheiden, was zuhause läuft. Wie das funktioniert und wann Eltern eingreifen sollten.

veröffentlicht am 31.12.2016

Pia steht mit ihrer Mama vor dem Kleiderschrank. Die Siebenjährige will das dünne Blumenkleid anziehen. Doch es ist kalt draußen, und Mutter Alexandra Gergen ist dagegen. „Ich will aber!“, schreit Pia und stampft auf den Boden. „Du wirst krank“, erklärt die Mama. Schließlich einigen sich die beiden: Pia zieht das Kleid an – mit warmen Leggins und einer Jacke. Puh! Problem gelöst.

Alexandra Gergen und ihr Mann Harald pflegen bewusst einen demokratischen Erziehungsstil. Pia und ihr Bruder Niklas, 9, dürfen bei vielen Entscheidungen, die im Familienalltag anstehen, mitbestimmen. Der zweijährige Tristan ist noch zu klein dafür. Für die beiden Großen gilt: Ob es um die Wahl des Urlaubsortes geht oder darum, was es zum Mittagessen gibt, ihre Stimme zählt.

Kinder haben großen Einfluss

Damit liegt die Familie voll im Trend. Eine Studie hat ergeben, dass die Kinder zu Hause einen großen Einfluss haben (siehe Kasten rechts). „Gut so“, findet die Wiener Ehe-, Familien- und Lebensberaterin Christine Gurtner. „Kinder wollen alles, was sie betrifft, in irgendeiner Weise mitbestimmen.“ Die Eltern sollten dieses Bedürfnis ernst nehmen. Schon ab einem Alter von etwa drei Jahren sei es möglich, die Kinder in Entscheidungen einzubeziehen. Je älter sie werden, desto mehr können sie bestimmen.

Bei Kindern bis zu vier Jahren bietet es sich an, zwei Dinge zur Auswahl zu stellen, die sie vor sich sehen, zum Beispiel Apfel oder Banane. Kinder zwischen fünf und sechs Jahren können auch schon zwischen Möglichkeiten entscheiden, die sie sich vorstellen müssen, wie Schwimmbad oder Zoo. Kinder bis zehn Jahre können bei Fragen wie der Zimmereinrichtung oder der Schulart mitreden – und Verantwortung für ihr Verhalten übernehmen. Ab etwa 14 Jahren sollten Kinder in allen Lebensbereichen mitentscheiden dürfen. Wobei es dennoch Regeln, beispielsweise zu Alkoholkonsum oder Ausgehzeiten, geben muss, die nicht verhandelbar sind. In jedem Fall entscheiden die Eltern, was und wie viel ihr Kind bestimmen darf.  

Was die Kleinen überfordert

Generell gilt: Wenn eine Entscheidung die Kinder überfordern würde, wenn die Kinder in Gefahr geraten könnten oder sie die Konsequenzen ihres Handelns nicht abschätzen können, müssen Mutter und Vater eingreifen.

„Wenn die Kinder sich einen Urlaub im All-inclusive-Hotel wünschen, ein solcher Urlaub aber in die Verschuldung führen würde, dann geht das natürlich nicht“, so Christine Gurtner, die in einer Familienberatungsstelle der Erzdiözese Wien tätig ist. Auch bei Schlafenszeiten, Ernährung oder Medienkonsum müssen die Eltern zum Wohl der Kinder oft ein Machtwort sprechen. Massiv überfordern würde man die Kinder von getrennt lebenden Eltern, wenn es um die Besuchsregelungen geht. „Dann geraten die Kinder in einen Loyalitätskonflikt und haben, egal, wie sie sich entscheiden, immer das Gefühl, einem Elternteil wehzutun“, erklärt Christine Gurtner. Diese Entscheidung sollten daher unbedingt die Eltern treffen.  

Leidiges Thema: Smartphone

Bei Familie Gergen funktioniert es meist recht gut mit der Familiendemokratie. „Im letzten Urlaub hat das wunderbar geklappt“, berichtet Alexandra Gergen. Die Familie hatte für fünf Tage eine Ferienwohnung im Berchtesgadener Land gemietet. „Am Vorabend haben wir den Kindern immer verschiedene Sachen zur Auswahl gestellt. Dann haben wir am Vormittag das gemacht, was der eine wollte, und am Nachmittag das, was der andere wollte“, so die 42-Jährige. Eltern und Kinder durften gleichberechtigt ihre Wünsche äußern. Und letztendlich hat sich immer eine Lösung gefunden, mit der alle zufrieden waren.

Nur wegen eines Themas gibt es bei Gergens immer wieder Streit: Fernsehen, Tablet, Computer, Smartphone. „Die Medien sind der Knackpunkt bei uns“, seufzt die Mutter. „Die Kinder können nicht einschätzen, welche Spiele altersgemäß sind, welche Zeitspanne gut ist.“ Vor allem Niklas würde, wenn er dürfte, immer viel länger spielen als die vereinbarte halbe Stunde pro Tag. „Da müssen wir ihm ganz klar Grenzen setzen.“ Auch wenn der Junge schreit und tobt. Die Eltern stehen zu ihrer Vorgabe: 30 Minuten Fernsehen oder Smartphone pro Tag und dann ist Schluss.

Fehlentscheidungen gehören dazu

Beim Thema Medien ist ein klares Nein oft unerlässlich. In anderen Bereichen kann es durchaus sinnvoll sein, die Kinder auch einmal eine Wahl treffen zu lassen, die sich später als Fehlentscheidung herausstellt. „Wichtig ist, mit den Kindern vorher über die Konsequenzen zu sprechen“, so Beraterin Christine Gurtner. „Die Erwachsenen müssen abschätzen, ob es dem Kind zumutbar ist oder nicht und ob das Kind die Konsequenzen bewältigen kann.“ Zum Beispiel: Wenn ich heute nicht lerne, bekomme ich bei der Klassenarbeit morgen eine schlechte Note. Wenn ich jede Woche mein komplettes Taschengeld ausgebe, kann ich mir das ersehnte Auto nicht kaufen. Wenn ich meine Wäsche nicht in die Waschküche bringe, habe ich bald nichts mehr Sauberes zum Anziehen. Eine wichtige Lernerfahrung!

Miteinander sprechen

Um das Miteinander in der Familie zu fördern, ist es hilfreich, gemeinsam bestimmte Regeln aufzustellen, die für alle gelten. Dazu gehört auch, zu klären, welche Konsequenzen es hat, wenn die Regeln nicht beachtet werden. Hilfreich sind außerdem regelmäßige Familienkonferenzen. Dabei treffen sich alle einmal wöchentlich, zum Beispiel samstags nach dem Frühstück. Und sprechen miteinander. Wie war die Woche? Was ist gut gelaufen und was war schlecht? Auch konkrete Pläne und Absprachen werden in der Konferenz getroffen. Was steht nächste Woche an? Wer braucht Hilfe? Was muss besorgt oder vorbereitet werden? „Wenn man das über einen längeren Zeitraum macht, lernen die Kinder, sich auszudrücken, auch Befindlichkeiten auszusprechen“, weiß Christine Gurtner. Bei älteren Kindern, die möglicherweise keine Lust auf die Konferenz haben, lässt sich das Gespräch beispielsweise in eine abendliche Spielerunde einbetten.

Ich verstehe dich!

Egal ob in der Konferenz oder unter der Woche im üblichen Familientrubel, der wichtigste Rat lautet: Miteinander reden! Die Eltern sollten den Kindern „vermitteln, ich verstehe dich, auch wenn ich dir manchen Wunsch verweigern muss“, sagt Christine Gurtner. „Kindern ist wichtig, dass sie in ihren Wünschen und Bedürfnissen ernst genommen werden. Und dass ihnen erklärt wird, ob etwas geht oder nicht oder vielleicht nur teilweise.“ Denn so spüren sie, dass ihre Meinung zählt. Und können oft sogar ein Nein gut akzeptieren.

Pia und ihre Mama haben für das Wochenende einen Einkaufsbummel geplant. Pia darf sich zwei Hosen und ein Kleid aussuchen. Unter einer Bedingung: Warm müssen die Sachen sein!    
   

Cover Jetzt bestimme ich ich ich

Zum Weiterlesen: "Jetzt bestimme ich, ich, ich!" von Juli Zeh und Dunja Schnabel (Carlsen Verlag, € 14,99). Wer sagt eigentlich, dass immer nur Mama und Papa bestimmen dürfen? Die Familie Wiefel probiert aus, ob es nicht anders geht. Schließlich ist Anki jetzt schon groß. Und auch Spätzchen hat seine eigene Meinung. Ein turbulentes Abenteuer, bei dem klar wird, dass Käsebrot zum Abendessen prima ist – aber nicht jeden Tag. Und dass zu einer funktionierenden Familiendemokratie auch die Schildkröte Rainer-Maria ihren Teil beitragen kann.

Für ein harmonisches Miteinander: Familienregeln aufstellen

Eine gute Idee, um den Alltag entspannter zu gestalten und die Wünsche und Bedürfnisse aller Familienmitglieder im Blick zu behalten: Stellen Sie gemeinsam Regeln auf, die künftig in der Familie gelten sollen. Zum Beispiel:
1. Wir hören zu und lassen einander ausreden.
2. Beim Essen benutzt keiner sein Smartphone.
3. Wenn jemand seine Zimmertür geschlossen hat, klopfen wir an.
4. Am Wochenende räumen die Kinder ihre Zimmer auf.
5. Die Kinder dürfen jede Woche insgesamt zwei Stunden fernsehen. Immer vorher Mama oder Papa fragen!


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