Ratgeber

Wie Eltern reagieren können, wenn ihr Kind abdriftet und sich kriminell verhält

In der Regel wollen Eltern für ihr Kind nur das Beste. Doch was tun, wenn das eigene Kind auf einmal Straftaten begeht? Familienpsychologe Martin Mayerhofer gibt Eltern acht Empfehlungen mit auf den Weg, um gemeinsam nach Ursachen und Lösungen zu suchen.

veröffentlicht am 20.02.2024

1. Veränderungen im Verhalten aufmerksam beobachten

Viele Eltern haben Angst, dass sich ihr Kind einer Gruppe angeschlossen hat, die ihm nicht guttut und die andere Moralvorstellungen besitzt als man selbst. Dafür gibt es bestimmte Warnsignale. Sie können sich zum Beispiel folgende Fragen stellen: Hat sich mein Kind in seinem Wesen verändert? Hat es auf einmal einen anderen Tages-Nacht-Rhythmus? Hält es sich nicht mehr an die elterlichen Vorgaben und verhält sich plötzlich oppositionell? Schwänzt es die Schule?

2. Ursachen für diese Veränderungen hinterfragen

Jugendkriminalität ist ein sehr häufig vorkommendes Phänomen – gerade im Pubertätsalter. Meistens ist das eine Phase, die vorübergeht. Es handelt sich also um eine limitierte Delinquenz, eine einmalige Situation. Man muss demnach gut unterscheiden, was die Ursachen für ein bestimmtes Verhalten sind, denn nur dann kann man auch die entsprechenden Maßnahmen ergreifen.

3. Sich als Familie dem Problem stellen

Sehr häufig denken Eltern, dass das Problem allein im Kind oder im Jugendlichen liegt und dass dieses Problem mit entsprechenden Therapie-Maßnahmen gelöst werden kann. Doch auch Sie als Eltern müssen Ihr eigenes Verhalten und das familiäre Umfeld reflektieren. Wichtige Fragen sind dabei: Welche Erziehungskompetenz bringen wir als Eltern mit? Sind wir in der Lage, Werte zu vermitteln? Stehen wir als Eltern dem Kind als stabile Bezugspersonen und positive Vorbilder zur Verfügung? Wie werden Konflikte in der Familie ausgetragen – gewaltfrei oder sowohl verbal als auch körperlich aggressiv? Spielt Arbeitslosigkeit in der Familie eine Rolle oder die Trennung der Eltern? Gibt es möglicherweise andere kriminelle Familienmitglieder? Ganz selten entwickelt sich ein problematisches Verhalten von Kindern ohne Zutun von engen Bezugspersonen. Das ist eine oft schwierige und unangenehme Erkenntnis, die nicht als Schuldprojektion auf die Eltern zu verstehen ist, sondern nur aufzeigt, dass es nicht allein in der Verantwortung des Kindes liegt, das Problem zu lösen. Auch Sie als Eltern sind gefordert.

4. Das Umfeld und situative Faktoren miteinbeziehen

Häufig gibt es bereits eine Vorgeschichte, die zu einem bestimmten Verhalten geführt hat und die betrachtet werden muss. Nehmen wir beispielsweise das Thema „Nachbarschaft“. Wenn in einem Viertel die Devise „Der Stärkere überlebt.“ oder „Du bekommst nichts geschenkt.“ gilt, hat das Auswirkungen darauf, wie sich Kinder und Jugendliche verhalten. Auch wenn ein Kind schon vorgeburtlichem Stress ausgesetzt gewesen ist, in der frühen Kindheit keinen Anschluss zu Gleichaltrigen gefunden hat und ausgeschlossen wurde oder früh zu Zigaretten und Alkohol gegriffen hat, sind das Faktoren, die mitzuberücksichtigen sind.

5. Nicht gleich in Panik verfallen

Wenn das Kind bereits eine Straftat begangen hat, ist es ratsam, auch hier erst einmal die Ursachen zu erforschen. Wie ist es zu diesem Gesetzesübertritt gekommen? Hat eine bestimmte Gruppe mein Kind zu der Straftat angestachelt? War es eine Mutprobe unter Jugendlichen? War es vielleicht eine emotional aufgeladene Situation? Haben Alkohol oder Drogen eine Rolle gespielt? Das muss gemeinsam mit dem Kind reflektiert werden, ohne das Geschehene zu tragisch zu machen. Oft wird aggressives oder kriminelles Verhalten überbetont und überinterpretiert, sodass dann Maßnahmen gesetzt werden, die in keinem Verhältnis zur Tat und den Ursachen stehen.

6. Klar und bestimmt, aber ruhig auftreten

Natürlich soll das Kind verstehen, dass es eine Grenze überschritten hat und dass ein solches Verhalten nicht wieder vorkommen darf. Zu brüllen oder zu schreien hat aber keinen präventiven Charakter und reduziert auch keine Kriminalität. Wichtig ist, dass Sie als Eltern klar und bestimmt auftreten und sich auch transparent über das Geschehene austauschen. Manchmal ist es so, dass nur ein Elternteil daheim ist, wenn die Polizei das Kind nach Hause bringt. Dann darf es auf keinen Fall heißen: „Das sagen wir Deinem Papa (oder Deiner Mama) lieber nicht.“ Aus der Tat darf kein Geheimnis gemacht werden. Sie als Eltern müssen an einem Strang ziehen.

7. Zum Kind stehen, aber nichts unter den Teppich kehren

Egal, was das Kind getan hat: Eltern sollten immer zu ihren Kindern stehen. Das ist ein wesentlicher Punkt. Das bedeutet aber nicht, die Tat unter den Teppich zu kehren oder zu verschweigen. „Zum Kind stehen“ bedeutet, Probleme gemeinsam anzugehen und zum Beispiel bei Mobbing oder Körperverletzungen sich zusammen eine adäquate Wiedergutmachung zu überlegen.

8. Frühzeitig reagieren

Viele Eltern fragen sich, wann sie sich externe Hilfe holen sollen. Je mehr sich ein dissoziales Verhalten verfestigt hat, desto schwieriger wird es, es wieder aufzulösen. Daher sollte so früh wie möglich reagiert werden – zum Beispiel dann, wenn eine Rückmeldung vom Kindergarten kommt, dass das Kind ganz große Probleme hat, sich sozial und emotional einzugliedern, dass es durch Gewaltbereitschaft auffällt und andere Kinder massiv verletzt. Das gilt natürlich auch für entsprechende Rückmeldungen aus der Schule. Spätestens dann sollten Sie als Eltern sich Unterstützung holen – und zwar nicht allein für das Kind, sondern für die ganze Familie. Es geht nicht darum, das Kind „zu reparieren“, sondern sich genau die Bedingungen anzuschauen, die dazu geführt haben, dass das Kind derartige Verhaltensweisen aufzeigt. Nur wenn man diese Bedingungen kennt und versteht, können die richtigen Interventionen gefunden werden.

Oft ist es allerdings so, dass Eltern erst reagieren, wenn die Kinder strafmündig werden. Davor lassen sie kriminelles Verhalten durchgehen. So wird der Weg natürlich schwieriger, kriminelles Verhalten in der Zukunft zu verhindern oder zumindest zu reduzieren.

Portrait Martin Mayerhofer

Martin Mayerhofer ist Kinder-, Jugend- und Familienpsychologe sowie Klinischer Psychologe und Gesundheitspsychologe. Er leitete unter anderem eine Kriseninterventionsstelle für Kinder, Jugendliche und deren Familien, begleitete und initiierte zahlreiche Projekte im Kontext der Kinder- und Jugendhilfe. Seit 2016 hat er eine eigene Praxis in Graz und arbeitet schwerpunktmäßig als Sachverständiger im Bereich Familienpsychologie und Klinische Psychologie.


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