Beichte und Vergebung

Vom Umgang mit Schuld und Schuldgefühlen

Ob im Familienalltag oder im Job: Schuldgefühle kennt jeder. Jesuitenpater und Psychiater Eckhard Frick spricht im Interview über die Beichte, warum sie persönliche Entschuldigungen nicht ersetzen kann und wie wichtig Wiedergutmachung ist.

veröffentlicht am 02.09.2025

Jeder Mensch kennt Schuldgefühle. Warum spüren wir sie so intensiv?
Schuldgefühle sind wie ein inneres Warnsignal: Sie zeigen uns, dass in einer Beziehung etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist – oder geraten sein könnte. In der Regel beziehen wir das auf uns selbst. Doch nicht alle Schuldgefühle entspringen einer realen Schuld. Es ist wichtig, die jeweilige Ursache zu erkennen.

So kommt es häufig vor, dass traumatisierte Opfer – zum Beispiel von Missbrauch – Schuldgefühle übernehmen. Viele KZ-Überlebende empfanden eine Überlebensschuld gegenüber jenen, die im Holocaust getötet wurden. Und schon Kinder können das Gefühl entwickeln, falsch zu sein, wenn ihre natürliche Lebendigkeit unterdrückt wird.

Was hilft, wenn ich wirklich Schuld auf mich geladen habe?
Der erste Schritt ist immer, sich die Schuld einzugestehen. Entscheidend ist dabei, gegenüber wem wir uns bekennen: Sage ich es einem Richter – vielleicht mit dem Gedanken an eine mildere Strafe? Oder einer Vertrauensperson, deren Nähe mir wichtig ist? Oder bekennen wir Gott gegenüber eine Sünde? Wer ehrlich mit sich selbst und anderen ist, öffnet einen Raum für Veränderung. 

Aber fällt gerade das nicht oft besonders schwer?
Ja, vor allem dann, wenn uns eine Schuld eingeredet wird – zum Beispiel von kirchlichen oder staatlichen Autoritäten. Dann wird aus dem freien Bekenntnis ein Zwang. Und der verhindert, dass echte Einsicht wachsen kann. Ein Schuldbekenntnis braucht innere Freiheit. 

Und Mut. Denn wenn ich mich entschuldige, mache ich mich verletzlich ...
Ja, vor allem auch deshalb, weil wir uns nicht einfach selbst entschuldigen können, wie es in der Alltagssprache heißt, sondern weil wir nur um Entschuldigung bitten können und hoffen, dass sie gewährt wird. Eine Entschuldigung kann abgelehnt werden oder sogar eine Auseinandersetzung wieder aufleben lassen. Dann braucht es Geduld. Mal hilft Distanz, um eine andere Perspektive einnehmen zu können, mal eine Mediation, um in einen Vergebungsprozess zu kommen.

Inwieweit kann die Beichte helfen, mit Schuldgefühlen umzugehen?
Wer eine Sünde bekennt, dem wird von Gott vergeben. Das kann heilsam sein, gerade wenn ich woanders keine Vergebung erfahre. Auch beichten setzt voraus, anzuerkennen, dass ich einen Fehler gemacht habe. Das gelingt auch im Beichtgespräch nicht immer sofort. Viele Menschen erleben sich als Opfer und schimpfen über andere. Erst mit der Zeit wächst die Erkenntnis: Ich hatte meinen Anteil.

Kann die Beichte eine persönliche Entschuldigung ersetzen?
Nicht wirklich. Sie kann eine Entschuldigung vorbereiten und entlasten, wenn der andere nicht oder noch nicht bereit ist zu vergeben. Aber wenn ich den direkten Kontakt zu einem Menschen meide und mich nur in der Beichte bekenne, greift das zu kurz. Die Beichte ist dann fruchtbar, wenn sie nicht nur der persönlichen Entlastung dient, sondern mich innerlich wachsen lässt. Sie kann mich für den nächsten wichtigen Schritt stärken: Eine Wiedergutmachung – soweit sie möglich ist.

Welche Rolle spielt dabei die Buße?
Die Buße ist ein äußeres Zeichen - zum Beispiel ein Gebet oder eine Wallfahrt. Sie zeigt an, dass etwas Neues beginnen soll. Wenn es aber einen konkreten Schaden gibt, muss der zusätzlich wieder gut gemacht werden.

Wie gehen wir mit Schuld um, die wir gesellschaftlich auf uns laden – etwa durch ein privilegiertes Leben auf Kosten anderer?
Diese strukturelle Sünde betrifft uns als Teil einer globalen Gemeinschaft. Sie lässt sich nicht einfach durch individuelles Verhalten lösen. Doch kleine Gesten, wie fair einkaufen oder bewusster konsumieren, können helfen, verantwortungsvoll damit umzugehen. Wir werden nie ganz schuldlos leben können - das wäre eine Illusion. Deshalb sollte Schuld ein Anstoß sein, Dinge zu ändern und miteinander zu wachsen.

Dazu gehört eine Kultur der Versöhnung. Wie können wir diese im Alltag fördern?
Indem wir Fehler zugeben – auch als Eltern, Lehrkräfte, Vorgesetzte. Wo Autorität mit purer Rechthaberei verwechselt wird, erstickt das jede Kultur der Versöhnung. Vergebung aber beginnt dort, wo Menschen aufhören, mit dem Finger auf andere zu zeigen – und gemeinsam Verantwortung übernehmen. 

Porträt Eckhard Frick

Jesuitenpater Eckhard Frick ist Arzt, Psychiater und Psychoanalytiker. Er ist Professor für Anthropologische Psychologie an der Hochschule für Philosophie München und Professor für Spiritual Care und psychosomatische Gesundheit am TUM Klinikum der Technischen Universität München.


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